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Schlappe für Erdogan

Sozialdemokratische Opposition gewinnt Wahl im türkisch besetzten Nordzypern

Von Nick Brauns *

Der Wahlsieg der sozialdemokratischen Opposition bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in der Türkischen Republik Nordzypern (KKTC) am vergangenen Sonntag ist zwar Zeichen einer Emanzipation der Wähler von der für einen Großteil ihres Haushalts aufkommenden Regierung in Ankara. Doch alle zur Wahl angetretenen Parteien befürworten eine internationale Anerkennung der von 30000 türkischen Soldaten besetzten KKTC, die bislang nur von Ankara erfolgte. Lediglich die linke Neue Zypernpartei (YKP) und die Sozialistische Partei Zyperns (KSP), die für eine Vereinigung der Insel und den Abzug aller NATO-Truppen eintreten, hatten zum Wahlboykott aufgerufen. Die Beteiligung lag bei 70 Prozent.

Die sozialdemokratische Republikanisch-Türkische Partei (CTP), die der kemalistischen CHP-Opposition in der Türkei nahesteht, gewann 38,4 Prozent der Wählerstimmen und stellt künftig 21 Parlamentarier im 50-köpfigen Parlament. Dagegen verlor die Nationale Einheitspartei (UBP), die als Partner der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im »Mutterland« Türkei gilt, 17 Prozentpunkte und kam auf 27,3 Prozent. Die von Serdar Denktasch, dem Sohn des langjährigen nordzypriotischen Präsidenten Rauf Denktasch, geführte konservative Demokratische Partei (DP) bekam 23,1 Prozent und die sozialdemokratisch ausgerichtete Partei der gesellschaftlichen Demokratie (TDP) steigerte ihre Stimmen auf 7,4 Prozent.

Die 2009 an die Regierung gewählte UBP war bereits im Juni entmachtet worden, nachdem acht anschließend zur DP gewechselte UBP-Abgeordnete Ministerpräsident Irsen Kücük vorwarfen, zu Ankara-hörig zu sein und ihm bei einer Vertrauensabstimmung die Gefolgschaft verweigerten. Seitdem hatte die CTP-Politikerin Sibel Siber übergangsweise die Amtsgeschäfte geführt. Auf Grund des Präsidialsystems wird sich ihr Parteichef Özkan Yorgansioglu für die Bildung einer sozialdemokratisch geführten Regierung aber mit Staatspräsident Dervis Eroglu arrangieren müssen. Dieser gehört zwar der UBP an, doch sein Verhältnis zu Erdogan gilt als so angespannt, daß der türkische Premier mit Hilfe seines Geheimdienstes MIT versucht hatte, Kücük als seinen »starken Mann« innerhalb der UBP zu installieren.

Die Mehrzahl der 170000 Wahlberechtigten sind keine gebürtigen Zyprioten, sondern Siedler vom türkischen Festland. Die nordzypriotische Gewerkschaftsbewegung spricht daher von einer »zivilen Invasion«. Alleine in den Wochen vor der Parlamentswahl wurden nach Gewerkschaftsangaben weitere 4000 Staatsbürgerschaften an Türken vergeben. Nach dem Motto »Wer zahlt, bestimmt die Musik« hatten die Hinzugekommenen traditionell im Sinne der jeweiligen Regierung in Ankara abgestimmt. Schließlich ist der Staat der größte Arbeitgeber in der kaum industrialisierten und unter einem EU-Embargo leidenden KKTC. Für einen Großteil der Gehälter und Pensionen kommt die türkische Regierung auf. Doch rigide Sparmaßnahmen, die Ankara seiner Kolonie im Mittelmeer verordnete, hatten in den letzten Jahren zu Unmut geführt. Gegen diese von der UBP umgesetzten Kürzungen, die eine 40prozentige Senkung der Gehälter und eine Heraufsetzung des Rentenalters um zehn Jahre im öffentlichen Dienst sowie Privatisierungsmaßnahmen beinhalteten, gab es 2011 zwei Generalstreiks.

Nach einem von der griechischen Militärdiktatur 1974 angezettelten Putsch in Nikosia und blutigen Auseinandersetzungen zwischen der griechisch-zypriotischen Bevölkerungsmehrheit und der türkisch-zypriotischen Minderheit hatte die türkische Armee wenig später den Nordteil der Insel besetzt. Die Teilung der aufgrund ihrer NATO-Stützpunkte geopolitisch wichtigen, erst seit 1960 unabhängigen Insel war von der britischen ehemaligen Kolonialmacht und der US-Regierung provoziert worden, nachdem sich der zypriotische Präsident, Erzbischof Makarios III., der Sowjetunion angenähert hatte und nach Ansicht Washingtons »ein Kuba im Mittelmeer« drohte.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 1. August 2013


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