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Dialogvorschlag der Kurden in Diyarbakir

Zwei Tote bei Zusammenstößen mit der Polizei

Von Nico Sandfuchs, Ankara *

Millionen Menschen feierten in der Türkei am Wochenende Newroz. Nachdem die Hauptveranstaltung am Freitag in Diyarbakir friedlich verlaufen war, starben am Wochenende bei Demonstrationen nach den kurdischen Neujahrsfeiern im Südosten des Landes in Van und in Yüksekova zwei Menschen bei Auseinandersetzungen mit der Polizei.

»Ich fühle mich wie ein Schüler vor einer wichtigen Prüfung«, bekannte der Autor Ümit Kivanc in seiner Kolumne für die Zeitung »Taraf«. Er habe keinen Appetit, schlafe schlecht, sei bedrückt. Denn die Zeichen standen unverkennbar auf Sturm vor dem diesjährigen Newroz. Wie Kivanc fürchteten viele, dass es zu schweren Zusammenstößen zwischen der Bevölkerung und den Sicherheitskräften kommen würde.

Seit den neunziger Jahren, dem Höhepunkt des bewaffneten Konfliktes zwischen der PKK und der türkischen Armee, ist gerade das Newroz-Fest immer auch Plattform des kurdischen Protestes gegen die Obrigkeit gewesen, bei dem regelmäßig die Gewalt eskalierte. Von Ankara wurden öffentliche Versammlungen an diesem Tag regelmäßig verboten, weite Teile der kurdischen Bevölkerung hingegen bestanden mit gleicher Vehemenz immer wieder auf der Durchführung der öffentlichen Feiern. Dutzende Tote, Hunderte Verletzte, Tausende Festnahmen – so lautete regelmäßig die traurige Bilanz vieler kurdischer Neujahrsfeste in den neunziger Jahren.

Mit dem vorübergehenden Abflauen der Kämpfe in der Südosttürkei nach der Verhaftung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan im Jahre 1999 ebbte auch die Gewalt bei den Newroz-Feiern deutlich ab. Dass dies allerdings in diesem Jahr so bleiben würde, wagte in den letzten Wochen kaum noch jemand zu hoffen. Denn seit dem vergangenen Jahr eskalieren die Gefechte zwischen Guerilla und Militär wieder; ein Verbot der »Partei der demokratischen Gesellschaft« (DTP), der wichtigsten politischen Vertretung der Kurden in der Türkei, steht unmittelbar bevor, und erst kürzlich intervenierten türkische Truppen in Nordirak – kein gutes Omen für Newroz.

Dass der vergangene Freitag, der Höhepunkt der mehrtägigen Feiern und der Tag, dem Menschen wie Ümit Kivanc mit so großer Beklemmung entgegengefiebert hatten, trotzdem relativ ruhig verlief, war eine kleine Überraschung. Mehr als eine halbe Millionen Menschen versammelten sich allein in Diyarbakir, dem traditionellen Zentrum der Feierlichkeiten. Doch die allseits erwartete Gewalt blieb aus. Zu verdanken ist dies vor allem der Kurdenpartei DTP, die die Feiern organisierte. »Wir wollen nicht, dass weiter sinnlos an der Gewaltspirale gedreht wird«, erklärte Ahmet Türk, Fraktionsvorsitzender der DTP in Diyarbakir. Statt dessen wolle man am diesjährigen Newroz zeigen, wie sich das kurdische Volk eine dauerhafte Friedenslösung vorstelle. Dialog statt militärischer Eskalation, konsequente demokratische Reformen, eine Berücksichtigung der kurdischen Identität in der türkischen Verfassung, der ungehinderte Gebrauch der kurdischen Sprache, eine stärkere Dezentralisierung im Staatsaufbau – so die Eckpunkte eines möglichen Friedensplanes, den die DTP skizzierte.

Ein friedliches Massenfest also statt der erwarteten Gewaltorgie, konkrete Vorschläge für einen Dialogfrieden – Grund genug eigentlich für die türkischen Medien, in der Kurdenfrage einmal mit Erfreulichem aufzuwarten. Doch wer am Samstag die türkischen Zeitungen aufschlug, der sah sich enttäuscht. Den meisten Blättern war das Newroz-Fest von Diyarbakir allenfalls eine Randnotiz wert, eben weil die Gewalt ausblieb. Yavuz Önen vom Türkischen Menschenrechtsverein (TIHV) sieht genau in diesem Umstand einen wichtigen Grund dafür, warum das »Kurdenproblem« noch immer ungelöst ist. »Es ist eine traurige Tatsache, dass man den Kurden nur dann Aufmerksamkeit schenkt, wenn sie einen bewaffnetet Aufstand anzetteln«, erklärt Önen.

Dass er mit seiner Ansicht nicht falsch liegt, zeigte sich bereits einen Tag nach der Massenveranstaltung von Diyarbakir. Bei verbotenen Newroz-Feiern kam es am Wochenende in zahlreichen türkischen Städten zu Zusammenstößen. Zwei Menschen starben, mindestens 400 wurden verhaftet, Hunderte zum Teil schwer verletzt – und plötzlich war den türkischen Medien das kurdische Neujahrsfest doch noch eine Schlagzeile wert.

* Aus: Neues Deutschland, 25. März 2008


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