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Erdogans Spiel mit dem Feuer

Die Türkei bereitet einen militärischen Schlag gegen Syrien vor - Vormachtstellung soll ausgebaut werden

Von Jürgen Gottschlich, Istanbul *

Die Türkei hat an ihrer Grenze zu Syrien laut Medienberichten einen »Sicherheitskorridor« eingerichtet, in den sie Armeefahrzeuge und Flugabwehrgeschütze schickte. Von offizieller Seite gab es dafür aber keine Bestätigung.

Die Türkei rüstet an der Grenze zu Syrien auf und erhöht ihre Armeepräsenz. Der Abschuss einen türkischen Jets durch syrische Abwehrstellungen war dafür aber wohl nur der Anlass. Das Verhältnis zu Syrien spielt auch aus anderen Gründen eine große Rolle in der türkischen Politik.

Nach der Brandrede von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan vor seiner Parlamentsfraktion, lässt die türkische Armee nun Taten folgen. Seit Tagen werden Panzerverbände und schwere Artillerie an die syrische Grenze verlegt, mit einer klaren Botschaft an Präsident Baschar al-Assad in Damaskus: Ab jetzt wird zurückgeschossen.

Doch damit nicht genug, die Türkei will nun auch die syrische Opposition aktiver unterstützen, also nicht mehr nur dadurch, dass ihre politischen und militärischen Vertreter in der Türkei aufgenommen und versorgt werden, sondern auch mit türkischen Waffenlieferungen. »Wir werden alles dafür tun, Assad zu stürzen«, kündigte Erdogan auch an. Seine Versicherung, man werde Syrien nicht von sich aus angreifen ist nur mehr eine rhetorische Floskel, mit der Erdogan sagt, man warte noch auf den richtigen Augenblick zum Zuschlagen.

Man soll jedoch nicht glauben, dass die Türkei sich nun auf Drängen der syrischen Opposition aus humanitären Gründen zu einer Militärintervention entschlossen hat. Die Bewaffnung und Unterstützung der Opposition dient durchaus eigenen Zwecken. Spätestens seit Ahmet Davutoglu im Mai 2009 Außenminister wurde, verfolgt die türkische Außenpolitik eine immer aktivere Rolle im Nahen Osten. Enttäuscht über die Zurückweisung durch die EU verfolgen Davutoglu und Erdogan das Ziel, die Türkei erstmals seit dem Ende des Osmanischen Reiches 1918 wieder zu einer regionalen Großmacht zu machen. Gestützt auf den wachsenden wirtschaftlichen Erfolg des Landes, wurde die Türkei sowohl auf dem Balkan als auch im Nahen Osten auf vielfältige Weise aktiv.

Davutoglu verkündete eine Politik, die einen friedlichen Ausgleich mit allen Nachbarn zum Ziel haben sollte und bot die Türkei zugleich als Vermittlernation zwischen Christen und Muslimen auf dem Balkan und im arabischen Raum an. Der kühl kalkulierte Konflikt der Türkei mit Israel erhöhte das türkische Prestige in der arabischen Welt enorm, und als der Arabische Frühling begann, schlug Ankara sich rechtzeitig »auf die Seite des Volkes«. Daraus leitet es nun die moralische Autorität her, gegen Assad vorzugehen.

Syrien war für die Türkei schon immer der Schlüssel zum Nahen Osten. Es war das arabische Kernland im Osmanischen Reich. Durch den arabischen Frühling herrscht im Nahen Osten derzeit ein Machtvakuum, das Erdogan und Davutoglu nutzen wollen. Schaffen sie es, Assad zu stürzen, hätten sie entscheidenden Einfluss auf das nachfolgende Regime in Syrien.

Mit einer der Türkei verpflichteten Regierung in Syrien wäre Ankara dann der wichtigste regionale Akteur. Die Situation dafür scheint günstig, weil Assad mittlerweile im größten Teil des Nahen Ostens und im Westen insgesamt verhasst ist und die Türkei von NATO und USA zumindest logistische Unterstützung bei einem Waffengang erwarten kann.

Doch abgesehen davon, dass ein kaltblütig inszenierter Krieg über keine Legitimation verfügt, unterschätzen die Neo-Osmanen um Erdogan und seinen Außenminister Davutoglu wohl die Risiken ihres Spiels mit dem Feuer. Sie wissen weder, wie Iran noch Russland auf eine militärische Auseinandersetzung mit Syrien reagieren würden: Und sie können nicht kalkulieren, wie schnell aus einem Grenzscharmützel ein Flächenbrand werden kann.

Vor allem aber, selbst wenn Erdogan den Sturz von Assad erreichen würde - wie will ausgerechnet die Türkei den guten Hegemon in einem Land wie Syrien abgeben, in dem Sunniten, Alewiten, Christen und Kurden bisher friedlich zusammen lebten, wenn sie schon die Kurdenfrage im eigenen Land nicht lösen kann? Die Großmachtträume in Ankara haben das Potenzial, die Türkei selbst in eine tiefe Krise zu stürzen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 30. Juni 2012


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