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Hoffnung fürs Tigris-Tal

Illisu-Großstaudamm-Projekt in der Osttürkei vor dem Scheitern? Expertenbericht stellt erhebliche Defizite bei der Erfüllung zwingender Auflagen fest

Von Nick Brauns *

Gerade noch hatte der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan den für Mai angesetzten Baubeginn des Ilisu-Großstaudamms am Oberlauf des Tigris als Herzstück der wirtschaftlichen Förderung der kurdischen Landesteile angepriesen. Doch jetzt stehen dem Projekt massive Verzögerungen bevor -- und vielleicht sogar das Scheitern. Grund dafür ist ein im März veröffentlichter Bericht eines im Auftrage der deutschen, Schweizer und österreichischen Exportkreditagenturen (ECAs) tätigen Expertengremiums, der erhebliche Mängel bei der Umsetzung von Auflagen in den Bereichen Soziales, Ökologie und Kultur nachweist. Von der Erfüllung dieser 153 Auflagen hatten die Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz die Vergabe von Exportrisikogarantien in Höhe von etwa einer halben Milliarde Euro an Firmen im Ilisu-Konsortium wie dem deutschen Baukonzern Züblin und dem österreichischen Maschinenbauer Andritz abhängig gemacht.

Für die Bewohner des Tigris-Tals ist der Expertenbericht ein Hoffnungsschimmer. Sie glauben nicht, daß der Dammbau der Entwicklung des Landes dient, sondern befürchten weitere Vertreibungen der kurdischen Bevölkerung und die Zerstörung ihres kulturellen Erbes. Zudem räumte der Gouverneur der Provinz Batman, Recep Kizilcik, gegenüber Reportern der Financial Times politische Gründe für den Bau ein. Dieser sei »aus Sicherheitserwägungen" für die Regierung »sehr wichtig«. Durch die Aufstauung des Tigris sollen Verbindungswege von kurdischen Guerillakämpfern abgeschnitten und Höhlen, die ihnen als Unterschlupf dienen, überflutet werden. Zudem ließe sich der benachbarte Irak durch eine Drosselung des Wasserzuflusses unter Druck setzen -- etwa in der Frage kurdischer Autonomierechte.

Auch der bisherige Planungstand scheint eher dürftig. So war die Türkei bislang nicht dazu in der Lage, die Zahl der von Umsiedlung betroffenen Menschen aus 199 Dörfern und der Kleinstadt Hasankeyf zu ermitteln. Nach Schätzungen des Expertengremiums droht 65000 statt -- wie angenommen --55000 Menschen die Vertreibung und Vernichtung ihrer Existenzgrundlage als Bauern. Da die Regierung bis heute kein neues Farmland für diese Menschen gesucht hat, bleibt ihnen nur der Gang in die Elendsviertel nahegelegener Großstädte wie Batman und Diyarbakir. Und dort herrscht eine Arbeitslosenrate von über 60 Prozent.

Allein um die Umsiedlungen zu planen und zu bewältigen, müßten 250 Personen mindestens zwei Jahre intensiv arbeiten, bis es zum Baubeginn kommen könnte, meint das Expertengremium. Doch die türkische Regierung begann bereits im Herbst 2007 mit Enteignungen in Dörfern um den Bauplatz herum. Weiterhin kritisiert der Bericht, daß die ökologischen Auswirkungen einer Aufstauung des Tigris bislang nicht erforscht wurden. Zur Rettung einiger antiker Monumente aus der 9000 Jahre alten Stadt Hasankeyf durch einen archäologischen Park habe die türkische Regierung nicht einmal einen Projektplan vorlegen können.

Die Vergabe der Hermes-Bürgschaften müsse unverzüglich gestoppt werden, wenn sich herausstelle, daß der Staudamm nicht internationalen Kriterien entspreche, erklärte nun die deutsche Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, nach Vorlage des Berichts. Bei einem Treffen mit der türkischen Wasserbaubehörde DSI vergangene Woche in Ankara haben die ECAs der Türkei Aufschub bis Anfang Mai gewährt. Bis dahin müssen »Maßnahmen und Termine zur Umsetzung von Schlüsselaufgaben festgelegt sein«, erklärte der Chef der Österreichischen Kreditbank, Rudolf Scholten.

»Der Expertenbericht hat unsere Kritik bestätigt«, meint dagegen der Wasserbauingenieur Ercan Ayboga von der internationalen »Kampagne zur Rettung von Hasankeyf« gegenüber junge Welt. »Dieses Projekt kann nicht durch Auflagen verbessert werde. Es muß sofort gestoppt werden«

* Aus: junge Welt, 1. April 2008


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