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Türkei: Fluten bedrohen Hasankeyf

Ilisu-Staudamm wird zum Testfall für die deutsche Wirtschaftsförderung

Von Ariane Brenssell*

Vor drei Jahren erst wurde der Bau des Ilisu-Damms in der Türkei eingestellt, zu viele menschenrechtliche, ökologische, soziale und friedenspolitische Probleme waren damit verbunden. Dennoch steht er jetzt wieder auf der Tagesordnung.

Er ist ein Lehrstück für die Beharrlichkeit, mit der eine verfehlte Energiepolitik trotz des Wissens um die katastrophalen Folgen fortgesetzt wird: der Ilisu-Staudamm im Südosten der Türkei, einer überwiegend von Kurden bewohnten Gegend. »Denn«, so sagt Arif Arslan aus dem Komitee zur Rettung der – von der Überflutung bedrohten – 12000 Jahre alten Stadt Hasankeyf, »leider wird dieser Damm seit 50 Jahren immer wieder auf die Tagesordnung gebracht, es scheint, als gebe es da irgendeine verdeckte Hand.«

Um den drohenden Baubeginn abzuwenden, ist eine Delegation aus der Türkei nach Europa gekommen. Auftakt ihrer Reise ist Berlin. Sie hofft auf eine breite Öffentlichkeit: »Bei der letzten Kampagne haben wir 28000 Unterschriften gegen den Staudamm gesammelt. Wir würden diese wieder zusammenkriegen«, so Arslan. Die letzte Kampagne war erfolgreich, denn fast alle am Konsortium beteiligten Konzerne zogen sich 2002 auf Grund ungelöster Probleme aus dem Projekt zurück, alle, bis auf den österreichischen Konzern VA Tech, der im Februar dieses Jahres von Siemens übernommen wurde.

Die lange Geschichte von Ilisu geht damit weiter. Ilisu ist ein Kernstück in den Planungen des Südostanatolien-Projekts, kurz GAP (Güneydogu Anadolu Projesi). Die Baugeschichte des GAP beginnt in den 70er Jahren. 1977 wurde der Bau von 22 Staudämmen und 19 Wasserkraftwerken an Euphrat und Tigris in Angriff genommen, mit den erklärten Zielen, die Region zu entwickeln, Energie und 1,7 Millionen Hektar Land für eine exportorientierte Agrarproduktion zu gewinnen. 1984 zog sich die Weltbank aus dem Projekt zurück. Dennoch wurden bislang sechs Staudämme gebaut, mit drastischen Konsequenzen: Wasserverknappung und Verschmutzung in den Nachbarstaaten Syrien und Irak, Vertreibung von mehreren 100000 Menschen, oft ohne entsprechende Entschädigung, Bodenerosionen und Schimmelkrankheiten durch die in Monokulturen angebauten Pflanzen (vornehmlich Baumwolle für den Export), eine Versalzung des Bodens und die Ausbreitung von Tropenkrankheiten durch die Stauseen, die ideale Nährstoffverhältnisse für Malaria- und Bilharziose-Überträger darstellen.

Der Ilisu-Damm stellt einen weiteren Superlativ im Rahmen des GAP dar: Der Tigris soll 65 Kilometer vor der irakischen Grenze gestaut, ein Gebiet von 313 Quadratkilometern mit 52 Dörfern und Kleinstädten überflutet werden. Bis zu 78000 Menschen sind davon betroffen sowie die als einzigartiges Kulturgut anerkannte Stadt Hasankeyf: »Hier sind Bauwerke aus 20 verschiedenen Kulturen erhalten, die Stadt ist ein lebendiges Museum«, so Arslan. Doch es geht nicht allein um Kulturgüter, ergänzt Handan Coskun aus der Delegation. Sie arbeitet in Diyarbakir mit vertriebenen Frauen. Ihr Projekt Dikasum wurde gegründet, weil die Selbstmordrate von Frauen in der Region immens stieg: »Viele Frauen sind traumatisiert, sie haben alles verloren, nichts dafür bekommen und sie haben keine Perspektive«, erläutert sie.

Das Leben am Rand der Städte – oft in Gecekondus (Slums) ohne Wasser und Strom – bringt besonders für Frauen drastische Entrechtungs- und Gewalterfahrungen mit sich. Die Anzahl der Hilfesuchenden zeigt das Ausmaß: »Jedes Wochenende kommen in die drei Anlaufstellen des Projektes in Diyarbakir bis zu 2200 Frauen«. Diese Probleme müssen ernst genommen werden, fordern Arslan und Coskun. Selbst die Exportkreditversicherungen stellten 1999 folgende Bedingungen: Umsiedlungspläne sollten gemacht, ihre Umsetzung durch unabhängige Beobachter begleitet werden, die Wasserqualität und ein angemessener Wasserfluss nach Irak und Syrien sollten gewährleistet werden, Hasankeyf sollte weitgehend erhalten bleiben. Doch keine der Bedingungen ist erfüllt, wenn der Bau von Ilisu jetzt aufgenommen wird. Auch VertreterInnen von den deutschen Nichtregierungsorganisationen WEED und Urgewald sehen vor allem ungelöste Probleme. »Ich sehe die Gefahr, dass das Projekt mit nur minimalen kosmetischen Veränderungen jetzt wieder vorwärts gebracht wird«, erklärt Andrea Plöger von WEED. Dann wäre eine Unterstützung durch die Bundesregierung mit einer Hermesbürgschaft möglich. »Zwar gibt es breite Bedenken und Proteste. Sofern jedoch nur Teillieferungen abgesichert werden, wird nicht unbedingt die Auswirkung des Gesamtprojektes geprüft, so etwas haben wir z.B. beim indischen Tehri-Staudamm erlebt«, erklärt Regine Richter von Urgewald.

Am 20.Juli wird das EU-Kartellamt darüber entscheiden, ob Siemens die Wassersparte der VA Tech behalten kann. Die VA Tech hat noch 2005 an ihren Plänen zum Bau des Ilisu-Damms festgehalten. Erhält Siemens die Genehmigung des Kartellamts, wird Ilisu zu einem weiteren Testfall für die Frage, ob internationale ökologische und soziale Richtlinien der Exportförderung auch in der bundesdeutschen Praxis der Exportkreditvergabe eingelöst werden. Zwar haben sich die Industrieländer im Rahmen der OECD Ende 2003 auf einen gemeinsamen Ansatz für Standards für Exportkredite geeinigt, der nun national umgesetzt werden muss. Doch was der Beschluss wirklich wert ist, bleibt offen. Ilisu könnte einen Fingerzeig liefern.

*Aus: Neues Deutschland, 21. Juni 2005


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