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Warnung ignoriert

Türkisches Militär war vor PKK-Angriff auf Posten in Hakkari rechtzeitig informiert. Trotzdem keine Abwehrmaßnahmen

Von Nick Brauns *

Das türkische Militär war rechtzeitig vor dem großangelegten Angriff kurdischer Guerillakämpfer auf einen Armeeposten am 3. Oktober gewarnt worden. Der Angriff von über 300 Guerilleros auf den Posten Aktütün in der Provinz Hakkari kostete mindestens 17 Soldaten und neun Guerillakämpfer das Leben. In den Tagen vor dem Angriff habe der Generalstab detaillierte Geheimdienstinformationen über Guerillaaktivitäten in der Region erhalten, heißt es in einem Bericht der regierungsnahen Zeitung Todays Zaman am Mittwoch. Am Tag vor dem Angriff warnte ein Geheimdienstreport den Generalstab, daß die PKK intensiv mit Vorbereitungen für Angriffe auf Stützpunkte der Sicherheitskräfte entlang der Grenze befaßt sei. Sogar der Name einer Guerillakommandeurin, die den Angriff leitete, wurde genannt. Luftaufnahmen unbemannter Aufklärungsdrohnen zeigen Gruppen von Rebellen rund um den Armeestützpunkt drei Stunden vor dem Angriff.

Möglicherweise hat die Armeeführung die in Aktütün stationierten Soldaten bereitwillig geopfert, um den Guerillaangriff zur innenpolitischen Stimmungsmache nutzen zu können. Im türkischen Parlament stand Mittwoch letzter Woche die Verlängerung des Mandats für grenzüberschreitende Armeeoperationen gegen die PKK zur Abstimmung. Seitdem flog die türkische Luftwaffe mehrfach Angriffe auf Ziele im Nordirak.

Das Versagen der Armeeführung hat jetzt zu einem Machtverlust gegenüber der islamisch-konservativen AKP-Regierung geführt. So beschloß der »Oberste Rat für Antiterrorkampf« laut einer Meldung der Hürriyet vom Mittwoch (15. Okt.), im Innenministerium eine neue »Abteilung für Sicherheit« einzurichten, die künftig die Aufgaben des »Antiterrorkampfes« vom türkischen Generalstab übernehmen wird. Unter der Leitung eines zivilen Beamten sollen dort Vertreter der Streitkräfte, der Militärpolizei, des Geheimdienstes MIT und der Polizei arbeiten.

Am Dienstag hatte eine Delegation der türkischen Regierung unter ihrem Sonderbeauftragten für den Irak, Murat Özcelik, in Bagdad erstmals direkte Gespräche mit dem Präsidenten der von Ankara nicht anerkannten autonomen Region Kurdistan im Nordirak, Massud Barzani, aufgenommen. Die Verhandlungen über eine gemeinsame Bekämpfung der PKK seien »positiv« verlaufen, so Özcelik.

»Die türkische Regierung will die Region Kurdistan mit Krieg überziehen, indem sie die irakischen Kurden beschuldigt, uns Schutz zu gewähren«, warnte dagegen der oberste PKK-Funktionär Murat Karayilan. Ziel der Türkei sei es, Unruhe zu schaffen, um die Position der irakischen Kurden gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu schwächen und eine Angliederung der Erdölstadt Kirkuk an das kurdische Autonomiegebiet zu verhindern. »Wir hoffen auf eine Lösung durch Dialog, aber die Türkei hört uns nicht zu. Wir haben das Recht, sie anzugreifen, um uns gegen ihre gewaltsamen Attacken zu schützen«, rechtfertigte Karayilan die jüngsten Angriffe der Guerilla auf türkische Armee- und Polizeieinheiten.

* Aus: junge Welt, 16. Oktober 2008


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