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Anachronistischer Haftbefehl

KON-KURD-Vertreter in Brüssel festgenommen / Querschuss gegen Friedensprozess zwischen Staat und PKK in der Türkei

Von Martin Dolzer *

Nach dem Friedensappell des inhaftierten Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan will die türkische Regierung laut Presseberichten den Kurdenkonflikt in der Türkei bis zum November endgültig beilegen. Die Zeitung »Hürriyet« berichtete am Dienstag von einem entsprechenden Dreistufen-Plan, der in Ankara vorbereitet werde. Dieser Entspannungsprozess scheint allerdings nicht nur Freunde zu besitzen, wobei unklar ist, ob die gegenläufige Tendenzen Ergebnis einer Doppelstrategie von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan entspringen oder das Werk politischer Gegner Erdogans in der Kurdenfrage sind, auch außerhalb der Türkei

Am Dienstag. wurde auf dem Brüsseler Flughafen der stellvertretende Vorsitzende der Konföderation der Kurdischen Vereine Europas (KON-KURD), Yilmaz Orkan, festgenommen. Der Exilpolitiker befand sich gerade auf dem Weg zum Weltsozialforum in Tunesien. Aufgrund des gleichen Haftersuchens aus Spanien, dass zur jetzigen Festnahme führte, waren bereits am 6. Februar sechs kurdische ExilpolitikerInnen in Spanien und 17 in Frankreich vorübergehend festgesetzt worden.

Der Dachverband der kurdischen Vereine in Deutschland kritisierte die Festnahme scharf:„In der internationalen Politik wurde der Friedensaufruf Abdullah Öcalans am 21. März als historischer Schritt gewertet. In einer solchen Phase ist die Festnahme des stellvertretenden Vorsitzenden von KON-KURD das falsche Signal aus Europa. Der sensible Beginn dieses historischen Friedensprozesses und die Hoffnung der türkischen und kurdischen Bevölkerung sollten unterstützt werden.“

Der LINKE-Europaabgeordnete Jürgen Klute äußerte sich empört: „Kurden und Türken scheinen heute so entschlossen wie nie, Frieden zu schließen und damit die Tür zu einer echten Demokratisierung der Türkei zu öffnen. Wie soll die Türkei Verhaftungen wie die von Yilmaz Orkan verstehen? Dass Europa diese Entwicklung ignoriert und kein Interesse hat an Frieden und Demokratie im Nahen Osten? Das wäre beschämend, die belgische Justiz sollte ihn möglichst schnell freilassen.“

Nach dem Öcalan-Appell vom 21. März hatte die PKK einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen und ihren Rückzug vom türkischen Staatsgebiet bis Ende dieses Jahres angekündigt. Die türkische Regierung stellt gerade eine Kommission von beidseitig anerkannten „weisen Persönlichkeiten“ zusammen, die den Rückzug der PKK und den Friedensprozess absichern soll. Zudem kündigten die Verantwortlichen in Ankara an, die türkischen Gesetze an die Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg anpassen und die Verfassung demokratisieren zu wollen. Das würde u.a. die völlige Freigabe der kurdischen Sprache bedeuten, deren Gebrauch derzeit als Offizialsprache noch immer nicht mit dem Türkischen gleichberechtigt ist. In einem weiteren Schritt solle dann die Rückkehr von PKK-Mitgliedern in die türkische Gesellschaft vorbereitet werden.

Seit 2009 waren in der Türkei mehr als 9000 vornehmlich kurdische Politiker und Menschenrechtler verhaftet worden. Darunter sechs Parlamentsabgeordnete, 37 Bürgermeister, 36 Anwälte, mehr als 100 Stadträte und unzählige Frauenrechtlerinnen. Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter der LINKEN sowie ihr Vertreter in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, bezeichnete die jetzige Verhaftung Orkans als Handlung, die den begonnenen Friedensprozess aufs heftigste konterkariere, und forderte: „Wichtige Schritte in Richtung Frieden wären die Freilassung Abdullah Öcalans und der kurdischen politischen Gefangenen, angefangen mit den Kranken, den Abgeordneten und den BürgermeisterInnen.“ Des weiteren, so Hunko, sollte in den Staaten der EU endlich ein positives Signal in dieser Frage gesetzt und das PKK-Verbot aufgehoben werden.

* Aus: neues deutschland (online), Freitag, 29. März 2013

Dokumentiert: Pressemitteilung:

Verhaftung behindert den Friedensprozess mit der PKK

„Die Verhaftung kurdischer Exilpolitiker in Europa konterkariert den begonnenen Friedensprozess aufs Heftigste“, kommentiert der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (DIE LINKE) die Festnahme des stellvertretenden Vorsitzenden der Konföderation der kurdischen Vereine Europas (KON-KURD), Yilmaz Orkan. Die belgische Polizei hatte ihn heute Morgen auf dem Brüsseler Flughafen festgenommen als der Exilpolitiker sich auf dem Weg zum Weltsozialforum in Tunesien befand.

Yilmaz Orkan wurde in Folge eines Haftbefehls aus Spanien festgenommen, aufgrund dessen bereits am 6. Februar sechs kurdische ExilpolitikerInnen in Spanien und 17 ExilpolitikerInnen in Frankreich vorübergehend festgenommen worden waren.

„Die europäischen Regierungen könnten in dem gerade begonnenen Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und der PKK unter anderem durch die Beendigung ihrer Politik der Kriminalisierung eine positive Rolle spielen. In einer derart sensiblen Phase ist die Festnahme von Yilmaz Orkan völlig inakzeptabel. Wir fordern seine sofortige Freilassung“, kommentiert Heidrun Dittrich, DIE LINKE.

Ende Dezember haben die türkische Regierung und Abdullah Öcalan den Friedensdialog wieder aufgenommen. Nach 30 Jahren bewaffneten Konflikts rief Öcalan am 21. März anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes Newroz in Diyarbakir zum Frieden auf und forderte die Guerilla der PKK auf, sich aus der Türkei zurückzuziehen. Die PKK verkündete daraufhin am 23. März einen einseitigen Waffenstillstand und kündigte ihren Rückzug vom türkischen Staatsgebiet bis Ende des Jahres an.

Die türkische Regierung stellt momentan eine Kommission von „weisen Persönlichkeiten“ zusammen, die den Rückzug der PKK und den Friedensprozess absichern sollen. Sie hat zudem angekündigt, die Gesetze an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg anzupassen. Das würde auch die völlige Freigabe der kurdischen Sprache beinhalten. In einem weiteren Schritt solle dann die Rückkehr von PKK-Mitgliedern in die türkische Gesellschaft und der endgültige Gewaltverzicht der PKK mit einer Abgabe der Waffen vorbereitet werden.

International wird der Aufruf Öcalans und der nun beginnende Friedensprozess als historischer Schritt gewertet. Die türkische und kurdische Bevölkerung hofft nach 30 Jahren bewaffneten Konflikts auf Frieden.

„Ich begrüße die Friedensinitiative der kurdischen Bewegung und der PKK, sowie den von der türkischen Regierung angekündigten Dreistufen-Plan der demokratischen Reformen. Wichtige Schritte in Richtung Frieden wären jedoch auch die Freilassung Abdullah Öcalans und der kurdischen politischen Gefangenen, angefangen mit den Kranken, den Abgeordneten und den BürgermeisterInnen . In Europa sollte als positives Signal das PKK-Verbot aufgehoben werden.“, so Hunko.

Heidrun Dittrich, Mitglied des Bundestags (MdB) DIE LINKE
Andrej Hunko, MdB DIE LINKE, Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats
Ulla Jelpke, MdB DIE LINKE
Cansu Özdemir, Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft, DIE LINKE
Yilmaz Kaba, Landesvorstand DIE LINKE Niedersachsen
Dr. Werner Ruf, Friedensforscher
Dr. Peter Strutynski, Friedensforscher
Martin Dolzer, Soziologe





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