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NATO droht mit Krieg

Rasmussen, Obama und Westerwelle kündigen "Konsequenzen" an, falls im syrischen Bürgerkrieg Chemiewaffen zum Einsatz kämen

Von Karin Leukefeld *

Die NATO hat Syrien mit »Konsequenzen« gedroht, falls das Regime im Bürgerkrieg Chemiewaffen einsetzen sollte. Das syrische Außenministerium wies entsprechende Berichte über Pläne, solche Waffen einzusetzen, zurück.

Vor Beginn des Treffens der NATO-Außenminister in Brüssel am Dienstag sagte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, er erwarte »eine sofortige Reaktion der internationalen Gemeinschaft«, sollte die Regierung in Damaskus chemische Kampfstoffe einsetzen. Zuvor hatten bereits US-Außenministerin Hillary Clinton, US-Präsident Barack Obama und Bundesaußenminister Guido Westerwelle ähnliche Warnungen ausgesprochen. Westerwelle hatte am Dienstag morgen Damaskus vor einem »völlig inakzeptablen« Einsatz solcher Waffen gewarnt.

Auf jW-Nachfrage, auf welche Berichte sich die Besorgnis der Bundesregierung stützten, daß die syrische Führung einen Einsatz von Chemiewaffen plane, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes, diese Informationen unterlägen der Geheimhaltung. Die britische BBC hatte unter Berufung auf anonyme Geheimdienstberichte in Nachrichtenagenturen über eine entsprechende Gefahr berichtet. Ausführlich ließ die BBC den Leiter des James-Martin-Zentrums für Studien über die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen in Washington, Leonard Spector, über eine solche Gefährdung spekulieren.

Der Vorsitzende der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, George Jabbour, sagte auf jW-Anfrage, er sehe »keinen Grund für dieses Geschrei«. Die syrische Regierung habe wiederholt versichert, sollte sie chemische Waffen haben, werde sie diese nicht einsetzen. Manche Staaten versuchten offensichtlich, Syrien die Verletzung internationaler Verträge vorzuwerfen, um eine Intervention zu rechtfertigen.

Noch für Dienstag nachmittag hatten die NATO-Außenminister einen Beschluß zur Stationierung von »Patriot«-Luftabwehrraketen in das türkisch-syrische Grenzgebiet vorgesehen. Geplant ist, aus den Niederlanden und Deutschland insgesamt 16 Patriot-Raketensysteme zum Schutz der Türkei in das Grenzgebiet zu verlegen. Westerwelle kündigte noch für diese Woche einen Kabinettsbeschluß dazu an. Vom Bundestag erwarte er »breite parlamentarische Rückendeckung«. Die Entsendung der »Patriot«-Systeme sei »ein klares Signal an das Regime von Assad, mit der Gewalt und den Übergriffen auf das Staatsgebiet der Türkei aufzuhören«, sagte Westerwelle. Der Oberkommandierende der US-Armee in Europa und der 7. Armee, Generalleutnant Mark Hertling hatte Mitte Oktober erklärt, man wisse nicht, ob die Granaten, die aus Syrien in der Türkei eingeschlagen seien, »von der syrischen Armee oder den Aufständischen oder der PKK« stammten.

Der außenpolitische Sprecher der Partei Die Linke im Bundestag, Jan van Aken, bezeichnete die geplante Entsendung deutscher Soldaten mit den Patriot-Raketen in die Türkei an die Grenze zu Syrien als »puren Wahnsinn«.

Am späten Dienstag nachmittag meldete die syrische Nachrichtenagentur SANA, daß durch den Beschuß einer Mörsergranate in einem Vorort von Damaskus 29 Schüler und ein Lehrer getötet wurden. Der Angriff ereignete sich im Wafideen-Lager, wo etwa 25000 Menschen angesiedelt sind, die ursprünglich auf den Golan-Höhen gelebt haben. Offizielle Stellen gehen von einem Angriff der Aufständischen aus.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 05. Dezember 2012


Gewollte Eskalation

Gerüchte über Syriens Chemiewaffen

Von Karin Leukefeld **


Laut anonymen Geheimdienstberichten soll die syrische Armee angeblich damit begonnen haben, chemische Komponenten zu mischen und technisches Zubehör für den Einsatz von Chemiewaffen in Stellung zu bringen. »Soll«, »angeblich«, »anonyme Quellen« – aus gezielt gestreuten Gerüchten werden Kriegsgründe, wir erinnern uns an die Mär von den rollenden Biowaffenlaboren des Irak. Das syrische Außenministerium hat wiederholt erklärt, chemische Waffen – sollte das Land über diese verfügen – würden unter sicherer Kontrolle der Armee stehen und »unter keinen Umständen« gegen die Bevölkerung eingesetzt werden.

Was hilft es? Seit Mitte des Jahres stellen die USA und Israel öffentlich Mutmaßungen über die Gefahr Syriens an. Die Darstellung geht dahin, daß das Land immer instabiler wird, die Regierung die Kontrolle verliert und Chemiewaffen »in die falschen Hände geraten« könnten. Die israelische Regierung drohte mehrfach mit einem Eingreifen, um zu verhindern, daß Chemiewaffen in die Hände der libanesischen Hisbollah gelangen. Die US-Administration sprach ihrerseits wiederholt von einer »roten Linie«, die Syrien nicht überschreiten dürfe. Präsident Barack Obama warnte Ende August, ein Angriff gegen Baschar Al-Assad und seine Regierung sei möglich, um »die Region, einschließlich Israel« davor zu schützen, daß »syrische Chemie- und biologische Waffen (….) in die falschen Hände« geraten könnten. Im Oktober verlegte das Pentagon 150 Spezialkräfte aus Militär und Geheimdienst nach Jordanien. Offiziell sollten sie Amman bei der Betreuung der syrischen Flüchtlinge helfen. Inoffiziell sollen sie im Falle eines Falles die chemischen Waffen in Syrien »sichern«. Tatsächlich sind sie laut »Freier Syrischer Armee« mit der Ausbildung und Bewaffnung von Aufständischen befaßt.

Pünktlich nun zur Tagung der NATO-Außenminister in Brüssel waren die Drohungen und Vorhaltungen gegenüber Syrien verschärft worden. Noch vor der Entscheidung über die Stationierung von »Patriot«-Raketensystemen im türkisch-syrischen Grenzgebiet erklärte Generalsekretär Rasmussen, er erwarte »eine sofortige Reaktion der internationalen Gemeinschaft«, falls Damaskus chemische Kampfstoffe einsetzen sollte.

Syrien wirft seinen Nachbarstaaten, vor allem der Türkei vor, Aufständische in speziellen Lagern auszubilden und sowohl die Kämpfer als auch Waffen ungehindert über die Grenze gelangen zu lassen. Die Darstellung wird von der Bevölkerung im Grenzgebiet und von Journalisten bestätigt, die sich bei den Aufständischen »eingebettet« haben. Mehrmals hat Damaskus versucht, ein bilaterales Militärkomitee mit Ankara einzurichten, um die Grenze gemeinsam zu schützen. Sowohl Rußland als auch Iran warben um Zustimmung. Vergeblich. Keiner der NATO-Partner drängt Ankara und Aufständische zum Einlenken – lieber schickt man Raketen und Soldaten.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 05. Dezember 2012

Dokumentiert

Im Folgenden dokumentieren wir einen Text von Seth McNayr, Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der Vereinigten Staaten bei der NATO, der 5. Dezember 2012 auf DipNote erschien, dem offiziellen Blog des US-Außenministeriums. Die deutsche Übersetzung besorgte der Amerika Dienst.

US-Außenministerin Clinton beim Treffen der NATO-Außenminister

Von Seth McNayr

Am 4. Dezember 2012 nahm US-Außenministerin Hillary Rodham Clinton in Brüssel an ihrem neunten und letzten Treffen der NATO-Außenminister teil. Sie begann ihren wie gewöhnlich arbeitsreichen Tag mit einem Treffen mit den Mitarbeitern des US-Außenministeriums und ihren Familien in der US-Botschaft in Belgien. Anschließend traf sie sich mittags im NATO Hauptquartier am anderen Ende der Stadt mit dem NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Danach kam sie zu ihren ersten bilateralen Gespräch mit ihrem bulgarischen Amtskollegen, Nikolai Mladenow, zusammen.

Außenministerin Clinton traf sich anschließend mit anderen NATO-Außenministern zu einem Arbeitsessen des NATO-Russland-Rates (NRC), bei dem auch der russische Außenminister Lawrow anwesend war, und bei dem viele Themen von strategischem Interesse erörtert wurden. Insbesondere beim Thema Afghanistan haben die NATO und Russland in den vergangenen Jahren durch Initiativen wie die gemeinsame Schulung von Offizieren im Kampf gegen Terrorismus und Drogenhandel, Helikopterschulungen, die Finanzierung von Ersatzteilen für die afghanische Luftwaffe, die NATO-Russia Cooperative Airspace Initative und erweiterte Transitvereinbarungen für Güter aus und nach Afghanistan via Russland per Schiene, Straße und über den Luftweg, Wege für eine Kooperation gefunden.

Während einer Pressekonferenz bemerkte Generalsekretär Rasmussen, die Außenminister hätten die Gelegenheit genutzt, Minister Lawrow zu versichern, dass eine Stationierung von Patriotraketen in der Türkei einen defensiven Charakter hätte und eine Flugverbotszone oder offensive Maßnahmen irgendeiner Art nicht unterstützt würden.

Nach dem NRC-Mittagessen tagten die Minister des Nordatlantikrats (NAC), um über eine Reihe von NATO-Themen zu sprechen. Lady Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, nahm ebenfalls an den Gesprächen über die EU-Kooperation mit dem Kosovo teil. Außenministerin Clinton traf sich anschließend mit ihrem polnischen Amtskollegen, Außenminister Radoslaw Sikorski.

Sie können die Reise der Außenministerin unter www.state.gov verfolgen und mehr über das US-Engagement in der NATO erfahren, indem Sie die Website unserer Vertretung dort besuchen.

Originaltext: Secretary Clinton Attends NATO Foreign Ministers Meeting; siehe: http://blogs.state.gov/index.php/site/entry/secretary_clinton_attends_nato_foreign_ministers_meeting

Herausgeber: US-Botschaft Berlin, Abteilung für öffentliche Angelegenheiten; http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/





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