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Raketen ins Pulverfaß

Einsatz der Bundeswehr im türkisch-syrischen Grenzgebiet hat begonnen. Rußland kündigt groß angelegte Marinemanöver im Mittelmeer und Schwarzen Meer an

Von Karin Leukefeld *

Die Bundeswehr hat am Dienstag mit der Verlegung von Patriot-Flugabwehrraketen in das türkisch-syrische Grenzgebiet begonnen. Zusammen mit 30 niederländischen Soldaten flogen 20 Bundeswehrsoldaten vom holländischen Militärstützpunkt Eindhoven in die Türkei ab und landeten am Nachmittag auf der Militärbasis Incirlik. Sie sollen die Stationierung der Waffensysteme vorbereiten. Parallel begann in Travemünde die Verladung von Raketen, Abschußrampen und Radaranlagen.

Sie werden am 21. Januar im türkischen Mittelmeerhafen Iskenderun erwartet. Von dort sollen sie an ihren Bestimmungsort bei Kahramanmaras transportiert werden. Die Stadt liegt etwa 80 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. 27 US-Soldaten waren bereits am 3. Januar in Gaziantep eingetroffen. Die niederländischen Raketen sollen bei Adana stationiert werden. Insgesamt werden etwa 1000 NATO-Soldaten im Rahmen des »Active Fence Turkey« benannten Einsatzes in die Region verlegt. Patriot-Raketen aus den USA, Holland und Deutschland sollen den NATO-Partner Türkei auf dessen Bitte hin vor »Angriffen aus Syrien« schützen. Kommandiert wird der Einsatz von der integrierten Luftverteidigung der NATO im Militärstützpunkt Ramstein. Das Mandat ist zunächst bis Februar 2014 befristet.

Wiederholt hatten Bundeswehr und Regierung betont, es handele sich um einen »defensiven Einsatz«, es gehe nicht um die »Einrichtung einer Flugverbotszone« über Syrien. Mit einem Radius der Radargeräte von mindestens 120 Kilometer kann von den deutschen Systemen der Luftraum zwischen Aleppo und Azaz in Nordsyrien eingesehen werden. Azaz ist Stützpunkt von Islamistengruppen, die einen Grenzübergang zur Türkei kontrollieren und umliegende kurdische Ortschaften drangsalieren.

Unruhe verbreitet die Raketenstationierung im Iran. General Hassan Firouzabadi von den Streitkräften des Landes warnte bereits im Dezember vor der Rückkehr der Kuba-Krise von 1962. Jedes der Patriot-Raketensysteme sei »ein schwarzer Punkt auf der Weltkarte und könnte einen Weltkrieg auslösen.«

Der Politikprofessor und Vorsitzende der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen in Damaskus, George Jabbour, bezeichnete die Lage im Gespräch mit jW als »sehr gefährlich«. Anstelle alle Kräfte für eine »vernünftige politische Lösung und einen Waffenstillstand« zu bündeln, sehe es danach aus, als sei »die Berliner Mauer nach Syrien verschoben« worden, sagte Jabbour. »Wir sehen Patriot-Raketen der NATO im türkisch-syrischen Grenzgebiet und russische Kriegsschiffe in Tartus.« In dem syrischen Mittelmeerhafen ist eine relativ große Gruppierung der russischen Marine stationiert. Am 2. Januar hatte das Verteidigungsministerium in Moskau umfangreiche Manöver im Mittelmeer und im Schwarzen Meer unter Teilnahme von Verbänden der gesamten russischen Flotte für Ende des Monats angekündigt.

Der Bundeswehreinsatz in der Türkei sei Ausdruck einer »tumben Politik der Militarisierung«, kritisierte am Dienstag Sevim Dagdelen, Mitglied im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages und Sprecherin der Fraktion Die Linke für Internationale Politik. Sie warf der Bundesregierung vor, »keine Initiative für eine friedliche Beilegung des Konflikts« in Syrien unternommen zu haben. Statt dessen habe sie »mit ihren Verbündeten Schritt um Schritt die Lage weiter eskaliert«. Vernünftige Außenpolitik sehe anders aus.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 9. Januar 2013


»Patriots« in Position

Die Bundeswehr startet ihren Militäreinsatz für die Türkei

Von Stefan Otto **


Deutschland steht der Türkei bei. Das militärische Gerät ist unterwegs in die südliche Türkei. 20 Soldaten bilden die Vorhut. Im Februar soll das »Patriot«-Abwehrsystem bereit für den Einsatz sein.

Die Hafenarbeiter verrichteten anstandslos ihre Arbeit und verluden das militärische Gerät in Lübeck- Travemünde auf eine Fähre der dänischen Reederei DFDSSeeways. Auch wenn der Fraktionsgeschäftsführer der LINKEN in der Lübecker Bürgerschaft, Ragnar Lüttke, es als Zumutung bezeichnete, »wenn sie durch solche Umschläge helfen sollen, dass sich die Bundesrepublik an militärischen Einsätzen im Ausland beteiligt «. Mit mehr als einem Dutzend Parteimitgliedern protestierte Lüttke gestern unweit des Skandinavienkais in Lübeck gegen den Umschlag von militärischen Gütern in dem Ostseehafen.

Die Verschiffung der rund 300 Fahrzeuge und 130 Container mit militärischer Ausrüstung nahm währenddessen planmäßig ihren Verlauf. Zudem flog ein Vorauskommando mit 20 deutschen und 30 niederländischen Soldaten von Eindhoven in die südtürkische Stadt Adana. Sie sollen den Einsatz der »Patriot«-Raketen rund hundert Kilometer vor der syrischen Grenze vorbereiten. Insgesamt werden rund 350 deutsche Soldaten die Operation begleiten. Der NATO-Partner Türkei hatte das Militärbündnis um Hilfe gebeten, nachdem mehrmals syrische Granaten auf türkisches Gebiet abgefeuert und mehrere Menschen getötet wurden. Der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, Generalleutnant Rainer Glatz, beteuerte bei der Verabschiedung des Vorauskommandos die Solidarität innerhalb der NATO. Der niederländische General Leo Beulen betonte den defensiven Charakter des Einsatzes, an dem sich auch die Niederlande und die USA beteiligen: »Wir gehen dorthin, um die türkische Bevölkerung zu schützen und eine Eskalation des Konflikts zu verhindern.«

Für Unmut sorgen allerdings die AWACS-Aufklärungsflugzeuge der NATO, die den »Patriot«-Einsatz begleiten werden. Das Rostocker Friedensbündnis missbilligt, dass die Flugzeuge weit ins syrische Gebiet spähen und den syrischen Oppositionellen Ziele für ihre Angriffe übermitteln. Somit könne die NATO den Bürgerkrieg in Syrien als Anlass nutzen, um »strategische Positionen zu besetzen « und »Perspektiven für Interventionen zu klären«, befürchten die Friedensaktivisten. Dies könne die Kriegsgefahr im Nahen Osten noch weiter schüren.

Sevim Dagdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der LINKEN im Bundestag, kritisierte die deutsche Regierung in ihrer einseitigen Unterstützung der syrischen Opposition. »Die Bundesregierung hat sich von Anfang an den Sanktionen gegen die syrische Regierung beteiligt.« Die Exil-Opposition sei frühzeitig in ihrem Eskalationskurs unterstützt worden, womit die Weichen in Richtung Bürgerkrieg gestellt worden seien. Schuldzuweisungen seien stets einseitig an das Assad-Regime erfolgt, bemängelte Dagdelen, selbst wenn es seitens des Bundesnachrichtendienstes entlastende Information wie beim Massaker von Hula gegeben habe. Die Abgeordnete vermisst bei der Bundesregierung jegliche Initiative, um den Konflikt friedlich zu lösen.

Mit einer großen Mehrheit hatte der Bundestag Mitte Dezember für die Entsendung der Waffensysteme beschlossen. Das Mandat in der Türkei ist zunächst bis Februar 2014 begrenzt. Die Kosten beziffert die Bundesregierung auf etwa 25 Millionen Euro.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 9. Januar 2013


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