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Spuren führen zum türkischen Geheimdienst

Der Mörder dreier Kurdinnen in Paris soll Agent des MIT gewesen sein

Von Martin Dolzer *

In einem am Wochenende veröffentlichten Interview sagte der MIT-Aussteiger Murat Sahin, der mittlerweile in der Schweiz lebt, Günay habe ebenfalls beim MIT gearbeitet. Die Verantwortliche seiner Einheit in Ankara namens Teyze habe ihm Bilder Ömer Günays gezeigt und gesagt: »Das ist unser Mann in Paris. Hast du ihn je gesehen oder kennengelernt? Er wird zu einem Heval (kurdisch für Genosse).« Es gebe keinen Zweifel daran, dass es sich um Günay handelte. Dies wollte Sahin auch gegenüber französischen Behörden aussagen, falls die ihn dazu befragten.

Am 9. Januar waren die Mitbegründerin der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, Sakine Cansiz, das Vorstandsmitglied des Kurdistan Nationalkongresses KNK, Fidan Dogan, und die Jugendaktivistin Leyla Saylemez im kurdischen Kulturzentrum in Paris ermordet worden. Die französische Polizei nahm Ömer Günay nach Auswertung von Videoaufzeichnungen aus dem Zentrum fest und fand Pulverspuren in seinem Rucksack.

Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan sprach sofort von einer PKK-internen Fehde. Der Vizevorsitzende der Regierungspartei AKP, Mehmet Ali Sahin, warnte gar vor ähnlichen Attentaten in Deutschland, da führende kurdische Exilpolitiker nicht ausgeliefert würden.

Der KNK und die Vereinigung der kurdischen Frauen in Europa, in deren Rahmen die drei Ermordeten arbeiteten, bezeichneten das Attentat als gezielte Hinrichtung. EU-Parlamentarier wie Hélène Flautere von den Europäischen Grünen und Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) verurteilten das Attentat aufs schärfste. Es sei zudem ein Versuch, den gerade wieder begonnenen Dialog zwischen der türkischen Regierung und dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan zu torpedieren.

Bis November 2011 lebte Günay mehrere Jahre in Bayern und zog dann nach Paris. Sollte sich die Aussage des Exagenten Sahin bestätigen, ließe sich eine Verwicklung staatlicher türkischer Kräfte in die Morde nicht mehr leugnen. Sahins Arbeit für den Geheimdienst ist gerichtlich dokumentiert. Er war als verdeckter Ermittler in die türkische Stadtguerilla »Revolutionäres Hauptquartier« eingeschleust und vorübergehend festgenommen worden, bevor er sich vom MIT lossagte und in die Schweiz ging. Die Methode, Agenten in Organisationen in Europa einzuschleusen, sei beim MIT gängige Praxis, sagte er. »Ömer Günay muss die Morde mit mindestens zwei bis drei gut ausgebildeten Agenten gemeinsam geplant und durchgeführt haben.«

Unterdessen stellte die Innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, eine kleine Anfrage zum Thema. »Vor diesem Hintergrund ist es unbegreiflich, warum noch keine intensive Zusammenarbeit deutscher und französischer Ermittlungsbehörden zur Aufklärung der Morde von Paris angelaufen ist«, erklärte Jelpke. Tatsächlich haben bisher türkische und kurdische Journalisten Hintergründe aufgedeckt. Remzi Kartal, in den 90er Jahren Parlamentsabgeordneter für die Partei der Demokratie DEP und heute einer der führenden Exilpolitiker, mahnt: »Die türkische Regierung muss auf Sahins Aussage antworten und helfen, die Morde lückenlos aufzuklären, wenn sie ein ernsthaftes Interesse an einem Friedensdialog hat.« Günay hatte sich Berichten zufolge immer wieder in Ankara aufgehalten, ohne seine Familie zu besuchen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 05. Februar 2013


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