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Trauer und Racheschwüre

Großdemonstration nach Morden an kurdischen Politikerinnen in Paris

Von Nick Brauns *

Mehrere zehntausend Kurden haben am Samstag in Paris auf einer Großdemonstration dreier ermordeter kurdischer Politikerinnen gedacht. Die Mitbegründerin der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Sakine Cansiz, die Vertreterin des Kurdistan Nationalkongresses Fidan Dogan sowie die junge Aktivistin Leyla Söylemez waren in der Nacht zum Donnerstag in den Räumen des Kurdischen Informationszentrums nahe des Pariser Ostbahnhofs von unbekannten Tätern mit Kopfschüssen regelrecht hingerichtet worden. Die PKK beschuldigt dunkle Kräfte im türkischen Staatsapparat, hinter den Morden zu stecken, um die derzeit laufenden Friedensverhandlungen zwischen ihrem inhaftierten Vorsitzenden Abdullah Öcalan und türkischen Staatsvertretern zu sabotieren.

An der Großdemonstration beteiligten sich Kurden aus mehreren europäischen Staaten, Mitgliedern türkischer sozialistischer Organisationen, aber auch Politiker der prokurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP) aus der Türkei. Neben zahlreichen Bildern der Ermordeten sowie PKK-Fahnen wurden Transparente mit Aufschriften wie »Die Kurden lassen sich nicht einschüchtern« aber auch »Rache!« gezeigt. »Die kurdischen Frauen und das kurdische Volk werden nicht ruhen, bis sie die Mörder ergriffen haben, erklärte die BDP-Vorsitzende Gültan Kisanak. »Wir geloben, den Kampf für Freiheit und Frieden bis zum Ende fortzusetzen.« Von den französischen Behörden, die das Kurdische Informationszentrum überwachen ließen, verlangten die Demonstranten vollständige Aufklärung.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigte am Wochenende den französischen Präsidenten Francois Hollande, sich mit von Interpol gesuchten Mitgliedern einer »Terrorgruppe« zu treffen. Hollande hatte zuvor erklärt, eine der ermordeten Frauen sei ihm persönlich bekannt, weil sie regelmäßig Treffen initiiert habe. Gemeint ist offenbar die als Diplomatin tätige Fidan Dogan.

US-Geheimdienste hatten die ermordete PKK-Mitbegründerin Sakine Cansiz seit Jahren im Visier. Das beweist ein von der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichtes Geheimdokument der US-Botschaft in Ankara. Das Dokument vom Dezember 2007 befaßt sich mit Bemühungen von türkischen und US-Behörden, Geldflüsse an die PKK im Gebiet der Kurdischen Regionalregierung (KRG) im Nordirak zu unterbinden. Die als »Finanzexpertin« und »Strategin« charakterisierte Cansiz sowie der mutmaßliche PKK-Kader Riza Altun werden in dem Papier zu »Top-Zielen« erklärt, deren Gefangennahme die PKK-Aktivitäten begrenzen und signalisieren würde, daß Europa keine sichere Zone für deren Geldsammlungen ist. Daher solle Druck auf die EU-Staaten ausgeübt werden, damit diese »Maßnahmen gegen die beiden berüchtigten PKK/KRG-Finanzexperten in Europa, Riza Altun und Sakine Cansiz« ergreifen.

Cansiz, die nach 12jähriger Haft in der Türkei in Frankreich politisches Asyl erhalten hatte, war im Frühjahr 2007 während eines Besuchs in Hamburg aufgrund eines türkischen Interpolhaftbefehls mehrere Wochen in Auslieferungshaft genommen worden. Ihre von einem Gericht angeordnete Freilassung sowie die zuvor erfolgte des in Österreich wegen eines Paßsvergehens verhafteten Altun hatten für Proteste türkischer Behörden gesorgt.

* Aus: junge Welt, Montag, 14. Januar 2013


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