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Kurswechsel Ankaras

In der Türkei deutet sich eine neue Strategie gegenüber den Kurden in Syrien an

Von Nick Brauns *

Die islamistische Al-Schabaab hat sich am Montag zu einem Bombenanschlag auf die türkische Botschaft in der somalischen Hauptstadt Mogadischu bekannt, bei dem ein türkischer Polizist und drei Islamisten getötet worden waren. Der Anschlag war nach Ansicht türkischer Analytiker eine Warnung des Al-Qaida-Netzwerks an die türkische Regierung, nachdem diese ihre bisherige Unterstützung dschihadistischer Gruppen im syrischen Bürgerkrieg auf den Prüfstand stellt.

In den vergangenen zwei Wochen war es entlang der syrisch-türkischen Grenze zu schweren Kämpfen zwischen den zu Al-Qaida gehörenden Verbänden der Al-Nusra-Front und des »Islamischen Staats im Irak und Syrien« mit kurdischen Milizen gekommen. Die über die türkische Grenze hinweg mit Panzern angreifenden Dschihadisten konnten ihre Verwundeten in türkischen Krankenhäusern behandeln lassen, während die türkische Armee kurdische Stellungen jenseits der Grenze beschoß. Durch die Granaten wurden auch mehrere Zivilisten auf der türkischen Seite der Grenze getötet. Die kurdischen Kämpfer fügten den islamistischen Angreifern, die Hunderte Zivilisten als Geiseln nahmen, schwere Verluste zu und übernahmen die Kontrolle über die Grenzstadt Serekaniye (Ras Al-Ain). In Sichtweite der türkischen Militärs wurde die Fahne der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), einer Schwesterorganisation der in der Türkei aktiven Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), aufgezogen.

Für Panik sorgte in Ankara auch die Ankündigung der PYD, eine Übergangsregierung für die als Rojava bezeichneten kurdischen Siedlungsgebiete in Syrien zu bilden, die seit einem Jahr von Volksräten kontrolliert werden. Die faschistische MHP-Opposition forderte gar einen Militäreinmarsch in das Nachbarland. Doch dann reiste überraschend Ende letzter Woche der PYD-Vorsitzende Salih Muslim auf Einladung des türkischen Außenministers Ahmet Davutoglus nach Ankara. Geheimdienstvertreter hätten diesen vor der Ausrufung einer Autonomie gewarnt, beschrieb der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan das Ziel des Treffens. Der PYD-Chef seinerseits machte daraufhin deutlich, daß keine territoriale Autonomie, sondern lediglich die Bildung einer provisorischen Verwaltung geplant sei, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. »Bis es eine politische und dauerhafte Lösung in Syrien gibt, wollen wir uns in Rojava selbst verwalten«, erklärte Muslim und sicherte zu, außer den Kurden auch die anderen in der Region lebenden Bevölkerungsgruppen wie Araber, Turkmenen und Assyrer in den bis zu 100 Mitglieder zählenden provisorischen Regierungsrat einbeziehen zu wollen.

Somit zeichnet sich ein Strategiewechsel Ankaras gegenüber den syrischen Kurden ab. Nachdem es der türkischen Regierung nicht gelungen ist, die kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen mit Hilfe der Dschihadisten zu zerstören, will sie nun offenbar die syrischen Kurden mit Versprechen zum Anschluß an die vom Westen und den Golfmonarchien unterstützten Aufständischen bewegen. »Regierungsvertreter haben mir erklärt, daß sie eine kurdische Autonomie in Syrien anerkennen würden, wenn der Hohe Kurdische Rat eine solche erst nach einer Einigung mit dem Syrischen Nationalkongreß ausruft«, erklärte Salih Muslim. Doch bislang lehnt dieses von den Muslimbrüdern dominierte Bündnis das Selbstbestimmungsrecht der syrischen Kurden ab.

Zu Ankaras unerwarteter Gesprächsbereitschaft mit der PYD dürfte auch das Stocken der Friedensverhandlungen mit der PKK geführt haben. So hatte diese ein Ende der von der Türkei unterstützten Angriffe auf die syrischen Kurden als Bedingung für eine Fortsetzung des Friedensprozesses benannt.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 30. Juli 2013


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