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Hafterleichterung für Öcalan gefordert

PKK droht mit Ende des Waffenstillstands

Von Jan Keetman, Istanbul *

Seit zwölf Jahren sitzt PKK-Führer Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer in Haft. Seit langem fordert er eine menschenwürdigere Behandlung. Die PKK will dem nun Nachdruck verleihen.

Der auf der Insel Imrali vor Istanbul inhaftierte Chef der türkischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, will, dass er seine lebenslange Freiheitsstrafe künftig als eine Art Hausarrest verbüßen kann. Er klagt über eine feuchte Zelle und führt seine Atembeschwerden darauf zurück. Dass Öcalans Bitte um eine Veränderung seiner Haftsituation nicht erfüllt wurde, ist einer der Gründe, warum die PKK-Führung in der Illegalität am Montag das Ende eines seit August andauernden Waffenstillstandes erklärt hat.

Die Chancen des wegen Hochverrats zu verschärfter lebenslanger Haft verurteilten PKK-Führers auf Erfüllung seiner Forderung werden zwar als gering eingeschätzt, aber immerhin gibt es wenigstens den Ansatz einer Diskussion darüber. Der Abgeordnete Ufuk Uras setzte sich sogar mit dem Angebot in Szene, für den Hausarrest ein eigenes Anwesen zur Verfügung zu stellen. Justizminister Sadullah Ergin lehnte dieses Angebot von Uras zwar ab, doch er sprach sich nicht grundsätzlich dagegen aus.

Die »Konjunktur« erlaube dies zurzeit nicht, meinte der Minister lediglich. Weit mehr überraschte jedoch die Unterstützung durch einen Abgeordneten der oppositionellen Republikanischen Volkspartei. Bei einem Besuch in Diyarbakir, einer Hochburg des kurdischen Nationalismus, auf die Frage Hausarrest angesprochen sagte Cetin Soysal, man solle alles diskutieren und alles tun, was dem Frieden diene. Niemanden solle auch nur »die Nase bluten«. Während eines Besuches in London auf die Äußerung Soysals angesprochen, entgegnete sein Parteivorsitzender Kemal Kilicdaroglu, dass ein ergangene Strafe zu verbüßen sei, fügte aber hinzu, dass er nicht wisse, wie Soysal seinen Vorschlag begründet habe.

Mit anderen Worten, weder die Regierung noch die wichtigste Oppositionspartei haben auf Öcalans Vorschlag mit einem »Nie und nimmer!« geantwortet. Der Grund ist, dass in drei Monaten Parlamentswahlen anstehen und viele auf die Stimmen kurdischer Wähler schielen. Der Ton dürfte sich allerdings ändern, wenn die PKK mit dem Ende ihres einseitigen Waffenstillstandes ernst macht. Doch bisher nimmt sie nur eine drohende Haltung ein. Gegen Angriffe würde man sich wirksamer verteidigen, erklärten die Rebellen. Kurz darauf bombardierte die türkische Armee vermutete PKK-Stellungen von Hubschraubern aus.

Eine Umfrage hat vor kurzem ergeben, dass 51 Prozent aller Türken dagegen sind, dass den Kurden weitere Rechte eingeräumt werden. Das ist zwar eine Mehrheit, aber eine erstaunlich dünne. Moderate Fortschritte in der Kurdenfrage erscheinen daher in der nächsten Zeit nicht unmöglich.

* Aus: Neues Deutschland, 3. März 2011


PKK: Wir sind noch da

Von Roland Etzel **

Die Ankündigung der PKK, ihre einseitige Waffenruhe zu beenden, klingt dramatischer, als sie tatsächlich ist. – Das ist die Hoffnung vieler Kurden und ebenso Türken zwischen Ankara und Düsseldorf, und ihre Gründe klingen plausibel. In einem Vierteljahr sind Wahlen in der Türkei, was nicht nur den umtriebigen Ministerpräsidenten Erdogan zu skurrilen Auftritten animiert, sondern auch die Rebellen von der Kurdischen Arbeiterpartei veranlasst, auf sich und die weiter ungelöste Kurden-Frage in ihrem Land aufmerksam zu machen.

Was klingt wie eine Kriegserklärung, wird also von vielen Beteiligten nur für ein in der Wortwahl verunglücktes Lebenszeichen gehalten. Dafür sprechen zum Beispiel die Reaktionen der sonst um martialische Parolen gegenüber den Kurden nie verlegenen Regierung, die die neue PKK-Erklärung kaum zur Kenntnis nahm. Längst gibt es gut funktionierende informelle Kontakte zumindest zwischen dem inhaftierten PKK-Führer Öcalan und Abgesandten Erdogans, die von der einstmaligen Todfeindschaft nicht viel Substanz übrig gelassen haben.

Die Hassfront in der türkischen Bevölkerung gegen Öcalan bröckelt zwar spürbar. Dennoch gäbe es einen Aufschrei, würde Erdogan jetzt Öcalan – fast – freilassen. Selbst von der EU geht in dieser Frage kein Druck aus. Für sie steht die PKK und damit auch Öcalan weiter auf der Terrorliste. Eine auf Hausarrest reduzierte Haft für Öcalan würde zudem neue Konflikte mit den Generälen auslösen. Erdogan hat zwar die letzten Kraftproben mit diesen gewonnen. An neuen Händeln mit ihnen mit ungewissem Ausgang dürfte er aber dennoch kein Interesse haben.

** Aus: Neues Deutschland, 3. März 2011 (Kommentar)


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