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Pläne für Selbstverwaltung

Türkei: Verbotsdrohung gegen kurdische Partei wegen Vorschlags demokratischer Autonomie

Von Nick Brauns *

Mit indirekten Verbotsdrohungen gegen die im Parlament vertretene prokurdische Partei für Frieden und Demokratie BDP reagieren Vertreter des türkischen Staates auf die Forderung kurdischer Vereinigungen nach »demokratischer Autonomie«.

Auf einer Tagung am vergangenen Wochenende in Diyarbakir hatte der aus Vertretern kurdischer Nichtregierungsorganisationen, Intellektuellen und BDP-Politikern gebildete »Kongreß für eine Demokratische Gesellschaft« DTK den vom inhaftierten Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, Abdullah Öcalan, als Lösung vorgestellten Vorschlag einer demokratischen Autonomie konkretisiert. Vorgeschlagen wurde eine föderale Struktur der bislang strikt zentralistisch ausgerichteten Türkei durch die Aufteilung in 20 Bundesländer. Innerhalb der kurdischen Landesteile soll eine rätedemokratische Ordnung zur weitgehenden politischen und wirtschaftlichen Selbstverwaltung geschaffen werden. Neben kurdischsprachigem Unterricht sind auch eine eigene Fahne und eine noch nicht näher definierte Selbstverteidigung vorgesehen.

Die türkische Nationalversammlung sei der einzige Ort, um die Probleme des Landes zu lösen, hatte Parlamentssprecher Mehmet Ali Sahin von der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP zu Wochenbeginn die Vorschläge des DTK zurückgewiesen. »Wir anerkennen keinerlei andere Kongresse oder Versammlungen. Unsere Kollegen, die solche Wünsche hegen, sollen ihre Situation kritisch analysieren. Andernfalls müssen sie die Konsequenzen tragen.« Der Parlamentssprecher verwarnte zudem BDP-Abgeordnete, die sich in den Gängen des Parlaments auf Kurdisch unterhalten hatten. Nach dieser indirekten Androhung eines Parteiverbots warf der BDP-Vorsitzende Selahattin Demirtas dem AKP-Mann Sahin vor, »im Geiste des Militärputsches« zu sprechen.

Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalçnkaya hat mittlerweile ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, um zu prüfen, ob die Autonomieforderung gegen das Antiterrorgesetz verstößt und ob die BDP Teil des DTK ist. »Sollte die Antwort in beiden Untersuchungen ja lauten, kann ein Verbotsverfahren gegen die BDP eingeleitet werden«, heißt es in der Zeitung Hürriyet Daily News am Donnerstag. Im Falle eines Verbots, könnten erneut einige Kräfte fordern, daß die Waffen sprechen sollen, warnte der BDP-Abgeordnete Bengi Yldz vor einem Wiederaufflammen des Guerillakampfes der PKK, wenn die Regierung die Forderungen der kurdischen Seite nicht ernst nehme.

Während die kemalistische Republikanische Volkspartei CHP unter ihrem kurdischstämmigen Vorsitzenden Kemal Kiliçdaroglu sich in Schweigen hüllt, um weder ihre nationalistischen Wähler noch die umworbenen kurdischen Wähler vor den Kopf zu stoßen, verurteilte der Vorsitzende der faschistischen MHP, Devlet Bahceli, die kurdischen Forderungen als »antidemokratische Rebellion gegen das Gesetz«.

* Aus: junge Welt, 24. Dezember 2010


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