Statt eines "Kurdenproblems" nun zwei
Nicht nur die PKK, auch die irakischen Kurden werden in Ankara als Bedrohung empfunden
Von Nico Sandfuchs, Ankara *
Die Zeichen stehen auf Sturm in der Südosttürkei. Erst kürzlich kündigte die Kurdische Arbeiterpartei
PKK an, den einseitig ausgerufenen Waffenstillstand im kommenden Frühjahr zu beenden und den
Kampf gegen die türkischen Regierungstruppen wieder aufzunehmen.
Auch der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan macht angesichts wichtiger Wahlen in diesem
Jahr keinerlei Anstalten, seinen im August 2005 medienwirksam inszenierten Versöhnungskurs
gegenüber der kurdischen Bevölkerung fortzusetzen. »Es gibt ein Kurdenproblem, und ich werde
mich seiner annehmen«, hatte Erdogan damals versprochen. Auch räumte er ein, dass es ein Fehler
gewesen sei, bei der Lösung des »Kurdenproblems« allein auf Gewalt zu setzen. Er wolle die
bestehenden Probleme »mit mehr Demokratie und mit mehr Wohlstand für alle« lösen.
Taten ließ Erdogan seinen Worten allerdings nicht folgen. Nach wie vor ist der Südosten das
Armenhaus der Türkei, und um die politische und kulturelle Freiheit des kurdischen
Bevölkerungsteils ist es noch immer dürftig bestellt.
»Es gibt kein Kurdenproblem«, meinte Erdogan nun kürzlich, und verkündete so das Ende der
Wende in der türkischen Kurdenpolitik, die nie wirklich stattgefunden hat, »Es gibt nur ein
Terrorproblem.«
Doch nicht nur wegen der kompromisslosen Haltung gegenüber den Kurden droht nun neue Gewalt.
Auch der als wahrscheinlich geltende Anschluss der irakischen Ölstadt Kirkuk an die kurdische
Autonomieregion in Nordirak wird in Ankara mit großer Sorge verfolgt. Ein Referendum soll Ende
des Jahres darüber entscheiden, ob Kirkuk – bisher außerhalb des Gebiets, das derkurdischen
Autonomiebehörde untersteht – an die Behörde übergeben wird. Dies könnte, so fürchtet man in der
Türkei, die wirtschaftliche Basis für einen unabhängigen Kurdenstaat bilden, der auch die
Unabhängigkeitsbestrebungen der türkischen Kurden beflügeln würde. In seltener Einmütigkeit
haben türkische Militärs, Regierung und Opposition mit einem Militärschlag gedroht, sollte es
tatsächlich zum Anschluss Kirkuks kommen.
Der Präsident der kurdischen Autonomiebehörde in Irak, Masud Barzani, hat seinerseits bereits
umrissen, wie die Reaktion auf eine türkische Intervention ausfallen würde: »Wir würden die Türken
sicherlich nicht mit Blumen empfangen, sollten sie tatsächlich kommen.«
Auch auf die türkischen Kurden würde eine Intervention in Nordirak schwere Rückwirkungen haben.
»Zwischen den Kurden in der Türkei und in Irak gibt es starke Bindungen«, bekennt Hilmi Aydogdu,
der Chef der kurdischen Partei DTP in der türkischen Provinz Diyarbakir. »Ein Militärschlag in
Nordirak würde die Kurden hier in der Türkei gegen den Staat aufbringen. Die Folge wäre eine
unglaubliche Eskalation der Gewalt. Jeder der 20 Millionen türkischen Kurden würde einen
Militärschlag als gegen sich selbst gerichtet empfinden.« Aydogdu plädiert deshalb eindringlich für
eine friedliche Lösung der Kirkuk-Frage.
Immerhin hat die türkische Regierung jetzt ihre Bereitschaft zu Gesprächen mit den nordirakischen
Kurden signalisiert. Jedoch ist ihr Spielraum begrenzt. So hat Generalstabschef Büyükanit bereits
verlauten lassen, er sehe keinen Sinn in Verhandlungen mit Barzani oder dem irakischen
Präsidenten Dschalal Talabani, einem Kurden, solange diese der PKK Unterschlupf gewährten. Und
auch für die rechte Opposition sind die Pläne der Regierung ein gefundenes Fressen. Bei der
türkischen Wählerschaft ist nämlich erfahrungsgemäß mit einer harten Haltung gegenüber den
Kurden durchaus gut zu punkten.
Diese Erfahrung musste jetzt auch Hilmi Aydogdu machen. Wegen seiner warnenden Worte wurde
er vergangenen Freitag verhaftet. Aydogdu habe gedroht, die Kurden im Land würden sich gegen
die Türkei erheben, so lautet der Vorwurf des »Sonderbeauftragten zur Bekämpfung des
Terrorismus«, Edip Baser.
Durch ihre kompromisslose Haltung hat es die Türkei in den acht Jahren seit der Verschleppung des
seinerzeitigen PKK-Cefs Abdullah Öcalans nicht vermocht, die kurdische Guerilla auf dem
Verhandlungswege aus den Bergen zu holen. Und mit einem harten Auftreten in der Kirkuk-Frage ist
Ankara nun nach Meinung zahlreicher Beobachter drauf und dran, sich ein zweites
schwerwiegendes »Kurdenproblem« zu schaffen.
* Aus: Neues Deutschland, 27. Februar 2007
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