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Gefährliche Aussöhnung

Israelische Regierung begründet »Normalisierung« der Beziehungen zur Türkei mit der Lage in Syrien

Von Knut Mellenthin *

Fast am Ende von Barack Obamas Nahostreise wurde deren einziges praktisches Ergebnis gemeldet. Auf dem Ben Gurion International Airport, kurz vor seinem Weiterflug nach Jordanien, habe der US-Präsident am Freitag rasch noch ein Telefongespräch zwischen den Regierungschefs Israels und der Türkei, Benjamin Netanjahu und Recep Tayyip Erdogan, vermittelt, berichten die Medien. Netanjahu habe sich für den Überfall auf das Schiff »Mavi Marmara« der Free-Gaza-Flotte am 31. Mai 2010 entschuldigt, bei dem israelische Soldaten neun Türken getötet hatten, von denen einer zugleich auch Staatsbürger der USA war. Damit soll nun der Weg für eine »Normalisierung« des Verhältnisses zwischen beiden Staaten frei sein, beginnend bei der Wiederherstellung voller diplomatischer Beziehungen in den nächsten Wochen.

In Wirklichkeit war das Gespräch der beiden Regierungschefs kein spontaner Einfall Obamas, sondern das Ergebnis einer sorgfältig geplanten Choreographie, der monatelange Verhandlungen vorausgegangen waren. Schließlich mußten für die »Entschuldigung« eine Form und ein genauer Wortlaut gefunden werden, die für beide Seiten akzeptabel und im eigenen Land zu verkaufen sind. John F. Kerry, der schon vor seiner Ernennung zum Außenminister der USA etliche Male zwischen Ankara und Jerusalem hin und her gereist war, hat für diesen »ersten Schritt zur Aussöhnung« sehr viel mehr getan als sein Präsident, der sich wieder einmal routiniert in Szene zu setzen wußte.

Der Bruch, der nun schrittweise geheilt werden soll, war von der türkischen Regierung ausgegangen. Allerdings erfolgte er nicht etwa als direkte Reaktion auf den blutigen Zwischenfall, sondern erst mehr als ein Jahr später, am 2. September 2011. Erdogan und sein Außenminister Ahmet Davutoglu gaben damit ihrer Enttäuschung über den Untersuchungsbericht einer von der UNO eingesetzten Kommission Ausdruck, die im Streit zwischen Israel und der Türkei vermitteln sollte. Erst als das nicht gelang und die Kommission sich allzu stark der israelischen Seite zuneigte, fiel die türkische Entscheidung, die diplomatischen Beziehungen auf die Ebene zweiter Sekretäre – der Rang entspricht dem eines deutschen Legationsrats – herunterzustufen. Gleichzeitig gab Ankara die Suspendierung der militärischen Zusammenarbeit, einschließlich gemeinsamer Manöver und des Kaufs israelischer Rüstungsgüter, bekannt. Die Türkei drohte darüber hinaus, die Rechtmäßigkeit der israelischen Blockade gegen das Gaza-Gebiet vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag überprüfen zu lassen.

Eine »Normalisierung« der Beziehungen machte Erdogan damals von drei Bedingungen abhängig: Erstens müsse Israel eine »formale Entschuldigung« aussprechen; zweitens müsse Israel den Angehörigen der Opfer Entschädigungszahlungen leisten; drittens müsse die Blockade des Gazastreifens aufgehoben werden. Für die »Entschuldigung« hat Netanjahu nun einen Wortlaut gewählt, den Erdogan offenbar akzeptieren konnte, der es aber gleichzeitig dem israelischen Generalstabschef Benny Gantz erlaubt, den Überfall auf die »Mavi Marmara« als »professionell und ethisch« zu verteidigen. Zur Blockade enthält die offizielle Erklärung von Netanjahus Büro nur die Aussage, daß Israel diese bereits gelockert habe. Nicht einmal die Entschädigungszahlungen scheinen wirklich unproblematisch zu sein. Vor Publikum hat Erdogan am Sonntag versichert, daß es eine Normalisierung nur geben werde, »wenn Israel seine Verpflichtungen erfüllt«.

Ebenfalls am Sonntag erläuterte Netanjahu, daß er sich für die »Entschuldigung« hauptsächlich mit Blick auf die Entwicklung in Syrien entschieden habe. Er hätte in diesem Zusammenhang auch noch den Iran erwähnen können. Die am Freitag angeschobene israelisch-türkische »Aussöhnung« signalisiert nicht Frieden und Sicherheit in der Region, wie es in einer ersten Stellungnahme des Weißen Hauses hieß, sondern verstärkte Kriegsgefahr

* Aus: junge Welt, Dienstag, 26. März 2013


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