Immer noch Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen
Aus einem Rundbrief der antimilitaristischen Organisation ISKD
Im Folgenden informieren wir über die fortgesetzt katastrophale Lage von politischen Häftlingen in der Türkei, die sich seit mehr als sechs Wochen im Hungerstreik befinden. Die Informationen stammen aus einem Rundbrief des ISKD.
Es befinden sich noch immer rund 400 Gefangene im Todesfasten. Einige sind
im 87. Tag ihres Todesfastens. Die Zahl der unbefristet Hungerstreikenden
wird vom Staat mit 1.030 angegeben. Auch ausserhalb der Gefängnisse haben
Angehörige mit einem Hungerstreik begonnen. Über 1.000 Gefangene sind
inzwischen in drei Gefängnisse vom Typ F verlegt worden. Sowohl während der
Verlegung als auch in den Typ F Gefängnissen sind die Gefangenen
misshandelt worden. Ihnen wird die ärztliche Begleitung verweigert und sie
erhalten zum Teil das Vitamin B 1 nicht, das sie notwendig brauchen, um die
gesundheitlichen Folgen zu begrenzen. Die Lage in den Gefängnissen spitzt
sich also wieder zu.
Ausserhalb der Gefängnisse finden immer noch Aktionen zur Unterstützung der
Gefangenen statt, über die aber in Folge der vom Staatssicherheitsgericht
(DGM) verhängte Pressezensur nicht berichtet wird. Die Bündnisse für die
Unterstützung haben sich in den vergangen Wochen nach den Feiertagsferien
und den Beginn von Anschlägen der DHKP-C (Revolutionäre
Volksbefreiungspartei - Front) auf die Polizei verkleinert. Am vergangenen
Wochenende waren es in Izmir lediglich die sozialistischen Parteien, die
eine Demonstration anmeldeten. Selbst der Menschenrechtsverein IHD hat sich
in Izmir von dieser Aktion zurückgezogen, da in der Vorbereitung keine
Einigung darüber erreicht werden konnte, wie konfrontativ die Aktion sein
soll.
Reaktionen des Staates
Der Staat nutzt die Schwäche der Bewegung weiter aus und reagiert mit
Repression. Ansonsten gibt er sich schweigsam. Der Justizminister äusserte
lediglich, dass die Gefangenen selbst für ihr Leben verantwortlich seien
und die Regierung kein Bedarf sehe, mit GefangenenvertreterInnen Gespräche
zu führen. Allerdings werde diskutiert, mit einer Zwangsernährung in den
kommenden Tagen zu beginnen. Autopsieberichte belegen inzwischen, dass
lediglich zwei der 28 bei der Erstürmung getöteten Gefangenen in Folge von
Selbstverbrennungen gestorben sind. Alle anderen sind durch Angriffe der
Polizei mit Schusswaffen sowie Brand- und Gasgranaten getötet worden.
Vertreter der Regierung machten bald nach der Erstürmung der Gefängnisse
klar, dass die Operation mit dem Namen "Rückkehr ins Leben" lediglich den
Sinn hatte, die nach europäischen Standard errichteten Typ F Gefängnisse zu
eröffnen.
Erste Berichte von den Angriffen
Auf einer Pressekonferenz des IHD berichtete ein von der allgemeinen
Amnestie Begünstigter, wie er die Erstürmung des Gefängnisses in Aydin (ca.
100 km südöstlich von Izmir) und die Verlegung in das Typ F Gefängnis
Sincan bei Ankara erlebt hat. Nach der Erstürmung wurde die
Hungerstreikenden von den restlichen Gefangenen getrennt, zu denen er
gehörte. Mit Bussen wurden sie zur Jandarma nach Aydin gebracht. "Dort
ausgestiegen mussten wir durch einen langen Gang in unsere Zelle.
Vielleicht 30 Meter, aber mir kam es wie hundert vor. Links und rechts an
der Wand standen Jandarma. Sie hatten Schlagstöcke, Baseball-Keulen,
Gartenschläuche, Besenstiele in der Hand. Halt alles, womit man jemanden
schlagen kann. Dann mussten wir durch das Spalier. Du weisst nicht, wo Du
Dich mit dem Armen schützen sollst und kannst nur so schnell es geht die
Strecke überwinden." Er berichtete von weiteren Misshandlungen, Schlägen,
entwürdigenden Untersuchungen, die auch im Typ F Gefängnis Sincan nicht
aufhörten.
Europäischer Standard: Eine Verschlechterung
"Die Politiker werben mit dem europäischen Standard der Typ F Gefängnisse,
aber für das soziale Leben in den Gefängnissen ist das eine erhebliche
Verschlechterung. Alle bestehenden Formen der Selbstorganisation der
Gefangenen werden abgeschafft." sagt Coskun Üsterci von der
Menschenrechtsstiftung (THIV). Als wir die Fernsehbilder von den Gefangenen
sahen, überraschte auf den ersten Blick, dass sie ihre private Kleidung
trugen. Gefängnisuniform lies sich bisher bei den politischen Gefangenen
nicht durchsetzen. In einigen Gefängnissen kochen die Gefangenen selbst.
Sie erhalten von der Gefängnisleitung entweder die Zutaten oder das Geld,
um die Lebensmittel selbst zu kaufen.
"Als ich nach Mamak ins Gefängnis kam, sagte ich dem Direktor, dass ich zu
den politischen Gefagenen will und er fragte mich, ob ich in eine gemischte
Zelle oder in die Zelle mit denen von der DHKP-C möchte. Ich wählte die
Gemischte. In der Zelle waren siebzig Gefangene. Dort haben die einzelnen
Gruppen ihre Betten so zusammen gestellt und mit Laken umwickelt, dass
kleine Räume entstehen. In einem Raum wird geklönt, in einem anderen ist
politischer Vortrag, irgendwo wird gelesen. Besuche zwischen den Gruppen
sind erwünscht. Die Ruhezeiten, das Fernsehprogramm, jede Kleinigkeit wird
von den Gefangenen organisiert. Und obwohl die Gruppen ausserhalb der
Gefängnisse sich zum Teil bekämpfen, geht es im Gefängnis nur nach dem
Konsensprinzip" berichtet Osman Murat Ülke aus seiner Haftzeit.
Das Dreier- und Einzelsystem der Typ F Gefängnisse mag zwar Verbesserungen
für die Hygiene, zum Teil auch für die Licht- und Luftverhältnisse bringen,
bedeutet aber ansonsten die Auflösung dieser Selbstorganisation.
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