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Erdogan startet Telefonoffensive für Kompromißvorschlag zum iranischen Atomprogramm. "Lula" da Silva verlangt Verhandlungsbereitschaft

Von Knut Mellenthin *

Die Türkei und Brasilien setzen ihre Bemühungen für eine friedliche Lösung des Streits um Irans ziviles Atomprogramm fort. Die beiden Staaten hatten am Montag gemeinsam mit dem Iran einen Kompromißvorschlag vorgelegt, der Bewegung in die seit Oktober 2009 festgefahrenen Verhandlungen bringen soll. Die USA hatten daraufhin am Dienstag mit Zustimmung Rußlands und Chinas einen Resolutionsentwurf in den UN-Sicherheitsrat eingebracht, der neue Sanktionen und die Durchsuchung »verdächtiger« iranischer Schiffe auf hoher See vorsieht.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan führte am Donnerstag Telefongespräche mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin und mit US-Präsident Barack Obama, um sie dafür zu gewinnen, dem Kompromißvorschlag eine Chance zu geben. Nach Presseberichten wollte Erdogan am Freitag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel sprechen. Näheres dazu lag bei jW-Redaktionsschluß nicht vor. Telefongespräche wurden am Donnerstag auch zwischen dem japanischen Außenminister Katsuya Okada und seinen türkischen und brasilianischen Kollegen geführt. Japan hat zur Zeit einen Sitz im UN-Sicherheitsrat.

Gegenüber Journalisten verteidigte Erdogan am Freitag (21. Mai) erneut das von den USA und der EU bestrittene Recht Irans auf Herstellung von schwach angereichertem Uran für friedliche Zwecke. Auch die Türkei, die gerade den Bau eines ersten Atomkraftwerks beschlossen hat, werde dieses Recht vielleicht eines Tages in Anspruch nehmen.

Tags zuvor war der brasilianische Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva in einer Rede vor Bürgermeistern seines Landes ebenfalls auf den Atomstreit eingegangen. Es sei komisch, sagte er, daß »einigen Leuten« jetzt der mit dem Iran ausgehandelte Kompromißvorschlag nicht gefalle, obwohl er genau das enthalte, was diese selbst seit Monaten gefordert hätten. »Es gibt Leute, die keine Politik machen können, wenn sie keinen Feind haben, und es gibt Leute, die Politik machen, indem sie sich Freunde schaffen. (…) Der Iran, den man der ganzen Welt so dargestellt hat, als wäre er der Teufel und nicht zu Verhandlungen bereit, hat sich entschlossen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Ich möchte sehen, ob die anderen jetzt das tun, was sie vom Iran verlangt haben.«

Indessen hat Rußland bestätigt, daß trotz der Sanktionsdebatte im Sicherheitsrat an der geplanten Inbetriebnahme des mit russischer Hilfe gebauten Atomkraftwerks bei der iranischen Stadt Buschehr im August festgehalten werde. Auch Chinas größter Erdölkonzern, die staatliche CNP, hat klargestellt, daß er seine umfangreichen Projekte im Iran fortsetzen werde. Die CNP ist unter anderem an der Entwicklung eines iranischen Naturgasfeldes beteiligt, das zu den größten der Welt gehört. Iran ist mit einem Anteil von zehn bis elf Prozent der drittwichtigste Erdöllieferant Chinas nach Saudi-Arabien und Angola.

Angesichts der Drohung mit neuen Sanktionen meldeten sich inzwischen Abgeordnete des iranischen Parlaments zu Wort, die den mit Brasilien und der Türkei ausgehandelten Kompromißvorschlag in Frage stellen. Die Regierung in Teheran hat jedoch angekündigt, daß sie den Vorschlag in den nächsten Tagen offiziell der Internationalen Atomenergiebehörde mitteilen will.

* Aus: junge Welt, 22. Mai 2010


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