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Mit Bush gen Teheran?

Die USA haben sich durchgesetzt. Die Türkei ist strategisch wieder eingebunden und wird nicht eigenmächtig in den Nordirak einmarschieren

Von Dieter Sauter, Istanbul *

Ist die massive Kriegsdrohung Ankaras in Richtung Nordirak ein voller Erfolg? Auf den ersten Blick scheint es so. Die türkischen Medien können ein aussenpolitisches Zugeständnis nach dem anderen vermelden. Es war schon erstaunlich genug, dass am Wochenende die internationale Konferenz zur «Stabilisierung» des Iraks in Istanbul stattfand. Ausgerechnet in dem Land ­also, das am lautesten mit dem Säbel in Richtung Bagdad rasselt. Und auf der Konferenz gingen weder der Irak noch seine Nachbarstaaten mit der Türkei ins Gericht. Im Gegenteil: In der Abschlussresolution wird dem Aufmarsch der türkischen Armee an der irakischen Grenze gar indirekt die Absolution erteilt. Syrien signalisiert ausserdem seine Zustimmung zu einem Einmarsch der Türkei im Nordirak - und aus Europa hört man nur matte Mahnungen zur Mässigung. Selbst die USA, die am Status quo im Nordirak grosses Interesse haben, scheinen einzuknicken: Washington bezeichnet die Lager der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK als dringendes Problem, und US-Präsident George Bush verspricht der türkischen Armee Geheimdienstinformationen, damit diese mit punktuellen Operationen gegen die PKK im Nord­irak vorgehen kann. Noch am gleichen Tag beugen sich zwei US-Generäle mit dem stellvertretenden türkischen Generalstabschef über die Karten der nordirakischen Berge.

Kontrolle zurückgewonnen

Es scheint also, alles laufe nach Plan. Bloss, nach wessen? Tatsächlich haben die USA der Türkei klargemacht, dass sie auf die PKK Einfluss nehmen können. Pünktlich zum diplomatischen Aufmarsch am Bosporus schweigen die Waffen der PKK. Termingerecht zum Treffen des türkischen Regierungschefs Tayyip Erdogan mit dem US-amerikanischen Präsidenten lässt die PKK gefangene türkische Soldaten frei. Washingtons Zusage, man werde der Türkei Geheimdienstinformationen zur Verfügung stellen, heisst ausserdem nur, dass die USA ihre Erkenntnisse über die PKK der Türkei bisher nicht mitgeteilt haben. Seit 2003 gilt die Türkei als «problematische Partnerin». Damals verweigerte das türkische Parlament den US-Truppen die Erlaubnis, den Krieg gegen den Irak von türkischem Territorium aus zu führen. Auch später legte sich die türkische Regierung immer wieder quer. In Bushs Kampf gegen die «Achse des Bösen» von Syrien und Iran zieht sie nicht mit.

Die Bush-Regierung versucht jetzt offenbar, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Wenn sich US-amerikanische und türkische Generäle zusammensetzen, dann heisst das auch, dass die USA die Kontrolle über das Vorgehen der türkischen Militärs im Nord­irak behalten. Die Rechnung der PKK geht nicht auf. Es wird keinen eigenmächtigen türkischen Vorstoss im Nord­irak geben und damit auch kein weiteres Auseinanderdriften von Washington und Ankara.

Keine Perspektiven im Süd­osten

Gezielte Angriffe der türkischen Luftwaffe könnten dagegen die PKK auf iranisches Territorium treiben. Der US-Regierung kann das nur recht sein. Damit wäre der Anlass für ständige türkische Störmanöver im Nordirak beseitigt, und ein massiver Aufmarsch der PKK in den iranischen Bergen würde es den USA erleichtern, Ankara in den Kampf gegen Teheran einzubeziehen. Allerdings versucht auch die PKK, sich den USA anzudienen: Noch während Bush mit Erdogan sprach, erklärte der Bruder des PKK-Chefs Abdullah Öcalan einem britischen Journalisten, die PKK ziehe in den Iran um - und kämpfe dort mit US-Hilfe auch gegen die Truppen Teherans.

Derweil wird in der Türkei eine Lösung der sogenannten Kurdenfrage mit jedem Tag schwieriger. Noch im Sommer vor zwei Jahren machte die Regierung von Tayyip Erdogan Schlagzeilen, weil sie eingestand, es gebe ein «Kurdenproblem» und der Staat habe in dieser Frage in der Vergangenheit Fehler begangen. Bis heute aber hat die islamisch-konservative Regierungspartei AKP nicht einmal geklärt, was die «Kurdenfrage» eigentlich beinhaltet. Auch die EU, die in vielen Fragen millimetergenaue Vorstellungen davon hat, was sie von der Beitrittskandidatin am Bosporus erwartet, spricht nur allgemein von der «Kurdenfrage» oder von «Minderheitenrechten». Da hilft auch das Schlagwort von der «kulturellen Autonomie» nicht weiter, denn auch darüber wurde bisher kaum konkret gesprochen.

Soll der Südosten der Türkei zweisprachig werden? Oder die ganze Türkei, weil inzwischen ja Millionen Kurd­Innen auch im Westen der Türkei leben? Soll in der Schule die kurdische Sprache gelehrt werden? Verpflichtend für alle oder nur freiwillig? Sollen mit der «kulturellen Autonomie» auch besondere politische Rechte verbunden sein, etwa im Wahlrecht? Und wer soll über diese «kulturelle Autonomie» wachen? Die Gemeinden? Eine eigene Behörde in Ankara? Wer bestimmt die und wie?

Die «kulturelle Autonomie» soll im Dialog erreicht werden, heisst es. Aber die GesprächspartnerInnen sind nicht klar. Für die türkische Regierung kommen Gespräche mit der PKK auf keinen Fall infrage. Auch mit den Abgeordneten der KurdInnenpartei DTP will man erst sprechen, wenn sie die PKK als Terrororganisation bezeichnen, was diese wiederum ablehnen. Heisst politischer Dialog also, dass die Regierung mit den Abgeordneten der eigenen Partei spricht, weil die ja die Wah­len im Südosten des Landes gewonnen haben?

Nur reagieren

Alle kennen den Satz: Wo es Arbeit gibt, gibt es keinen Terror. Wieso nur fragt sich in Ankara niemand, weshalb die jahrzehntelangen militärischen Operationen mit Tausenden getöteter PKK-KämpferInnen - und sogar der Inhaftierung des Führers dieser Organisation - die PKK nicht ernsthaft schwächen konnten? Bisher hat die AKP-Regierung keinen konkreten Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung des Südostens aufgestellt. Stattdessen hört man in Ankara, man müsse zunächst das Terrorproblem lösen - dann könne man auch an den wirtschaftlichen Aufbau der Region gehen.

Somit haben weiterhin die BombenlegerInnen auf der einen und die Generäle auf der anderen Seite das Sagen. Die türkischen Politiker dagegen können nichts als reagieren - mit aussen­politischen Manövern, mit Taktieren gegenüber der eigenen Armee und kräftigen populistischen Sprüchen im Fernsehen.

* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 8. November 2007


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