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Keine Ruhe im Gezi-Park

Polizeigewalt in Istanbul / Demos pro und kontra Erdogan in Düsseldorf *

Nicht Spaziergänger, sondern Demonstranten strebten am Wochenende zum Istanbuler Gezi-Park. Über den wachte aber die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas.

Am Istanbuler Taksim-Platz ist die Polizei fünf Wochen nach Beginn der landesweiten Proteste in der Türkei wieder massiv mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Demonstranten vorgegangen. Es soll Dutzende Festnahmen gegeben haben

Nach einem Aufruf des Protestbündnisses »Taksim Solidarität« versuchten am Samstagabend Tausende Menschen, in den von der Polizei seit der Räumung Mitte Juni abgeriegelten Gezi-Park vorzudringen. Sicherheitsleute lieferten sich in der Stadtmitte bis tief in die Nacht Straßenschlachten mit Demonstranten. Der Park hatte am Sonntag wieder eröffnet werden sollen, das ist nun für heute angekündigt.

Die Bewegung »Solidarität Taksim«, die zu der Demonstration am Samstagabend aufgerufen hatte, erklärte, die Bevölkerung wolle die Kontrolle über den Park zurückerobern. »Wir kehren zu unserem Park zurück, um denjenigen, die uns am Zugang gehindert haben, die Entscheidung der Justiz zu übermitteln, die den Bebauungsplan gestoppt hat«, erklärte die Gruppe.

Ein Gericht hatte Anfang Juni geurteilt, dass der Umbau des Gezi-Parks unrechtmäßig sei, weil die Bevölkerung nicht befragt worden sei. Doch wurde das Urteil erst vor wenigen Tagen publik gemacht.

Istanbuls Gouverneur Hüseyin Avni Mutlu sagte am Sonntag lokalen Medienberichten zufolge, mehr als 30 Menschen seien bei den Protesten am Samstagabend festgenommen worden. Zahlen über Verletzte bei den Protesten lagen nicht vor, es waren aber zahlreiche Krankenwagen im Einsatz. Mutlu hatte die Großkundgebung für illegal erklärt.

Bis zum Beginn des Wasserwerfereinsatzes war der Protest friedlich verlaufen. Danach warfen Demonstranten vereinzelt Pflastersteine auf Polizisten und Wasserwerfer. Wegen des Tränengases klagten viele Menschen über gereizte Augen und Atemwege. Auch Kinder waren betroffen und weinten vor Schmerzen. Touristen gerieten zwischen die Fronten.

Türkische Medien berichteten, Männer mit Macheten hätten bei den Protesten Demonstranten angegriffen. Zwei Verdächtige seien festgenommen worden. Auf einem Youtube-Video ist zu sehen, wie ein Mann mit einem Gegenstand, der wie ein langes Messer aussieht, Demonstranten angreift und einer Frau in den Rücken tritt.

Der Gezi-Park ist zum Symbol für die landesweiten Proteste in der Türkei geworden. Sie hatten sich an Regierungsplänen entzündet, eine der letzten Grünflächen im Stadtzentrum zu bebauen. Inzwischen richten sich die Proteste vor allem gegen den autoritären Regierungsstil des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

In Düsseldorf kam es am Sonntag zu einer Großdemonstration von Anhängern des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Eine Gegendemonstration stand unter der Losung »Solidarität mit der Bürgerbewegung in der Türkei«.

* Aus: neues deutschland, Montag, 8. Juli 2013


»Hoffentlich schießen die nicht«

Demonstrationen für und gegen Erdogan in Düsseldorf

Von Anja Krüger, Düsseldorf **


In Düsseldorf gingen am Sonntag Zehntausende auf die Straßen. Die einen für Erdogan, die anderen solidarisch mit der Demokratiebewegung.

So viele Polizisten und Einsatzwagen haben die Düsseldorfer noch nicht an einem Sonntagvormittag auf ihrer Rheinpromenade gesehen. »Die Türken demonstrieren wieder«, sagt eine ältere Dame zu ihren drei Freundinnen, die im Außenbereich eines Brauhauses auf dem Burgplatz sitzen. »Die einen für und die anderen gegen Erdogan«, sagt die Dame. Ihre Freundinnen gucken besorgt. »Hoffentlich schießen die nicht«, sagt eine.

Nein, geschossen wird heute nicht. Rund 650 Polizisten sind in Düsseldorf im Einsatz, vor allem wegen der Demonstration der Anhänger des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Sie findet einen Kilometer vom Burgplatz entfernt rheinabwärts statt. Zehntausende haben sich im Laufe des Vormittags auf dem Rasen vor der Bühne im Rheinpark in Düsseldorf-Gonsheim versammelt. »Demokrasiye Saygi Mitingi« – »Respekt vor der Demokratie« – steht auf der Bühne. Ein Meer aus türkischen Fahnen weht im Wind.

Zu der Pro-Erdogan-Demonstration aufgerufen hat die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die der Erdogan-Partei AKP nahesteht. Sie hat nur in der türkischen Öffentlichkeit in Deutschland für die Kundgebung mobilisiert, es wird fast nur türkisch gesprochen. Das hat seinen Preis: So mancher Passant hält die Kundgebung für eine Protestveranstaltung gegen Erdogan.

Rund 400 Busse aus Deutschland, den Niederlanden und Österreich haben die Demonstranten nach Düsseldorf gebracht. »Wir stehen der türkischen Regierung nahe, sind aber nicht ihr Sprecher«, sagt die stellvertretende UETD-Vorsitzende Filiz Isler gegenüber »nd«. Die von ihrer Organisation veranstaltete Kundgebung habe den Zweck, das Geschehen in der Türkei »aus unserer Sicht« darzustellen und gegen die einseitige Berichterstattung in den Medien Stellung zu beziehen. Dazu hat die UETD den AKP-Abgeordneten Mevlüt Cavusoglu und den Kulturminister Ömer Celik eingeladen. Als Celik am Rande des Platzes aus dem Auto steigt, wird er mit tosendem Applaus begrüßt. Aus allen Richtungen strömen Menschen zu ihm. »Die Türkei ist stolz auf Dich«, skandieren junge Männer auf Türkisch.

Viele habe Plakate mitgebracht, wenige auf deutsch. »Angela, Cem, Guido, Claudia kümmert Euch um die NSU-Morde statt der Türkei«, steht auf einem. Hier im Rheinpark geht es vor allem um Signale an die türkische Öffentlichkeit in Deutschland. Die Erdogan-Anhänger kämpfen um die Deutungshoheit über die Ereignisse. Auf dem Platz werden Zettel verteilt, auf denen »Nein, Kenan Kolats spricht nicht für mich« steht. Es ist der Aufruf für eine Facebook-Kampagne gegen Kolat. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland hat sich klar zur Demokratiebewegung bekannt und das Vorgehen der türkischen Regierung verurteilt.

Zu Beginn habe ihre Organisation durchaus mit den Besetzern des Gezi-Parks sympathisiert, sagt Felis Isler. »Aber wenn Leute demonstrieren wollen, sollen sie es friedlich machen.« Mit den ursprünglichen Motiven der Parkbesetzer, die Bäume in dem Grünstreifen zu schützen, sei die Organisation solidarisch gewesen. »Dafür haben wir immer ein Ohr offen«, sagt sie. »Aber nicht für Vandalismus und den Aufruf zum Militärputsch.« Die Taksim-Bewegung sei von politischen Gruppen missbraucht worden. »Die haben Busse verbrannt und randaliert«, behauptet sie.

Während sich die Erdogan-Anhänger im Rheinpark feiern, sammeln sich auf dem Burgplatz die Sympathisanten der türkischen Demokratiebewegung. Zu der Kundgebung aufgerufen hat das Düsseldorfer Bündnis Taksim-Solidarität. Allerdings ist der Aufruferkreis gegenüber vorher gehenden Solidaritätsveranstaltungen deutlich kleiner. »Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Bedeutung die Aktivitäten der AKP in der Bundesrepublik haben«, sagt Kemal Kiran vom Düsseldorfer Türkeizentrum. Auch gebe es Vorbehalte, eine Kundgebung zu unterstützen, die sich gegen eine andere richte.

Auch auf dem Burgplatz wehen rote Fahnen, allerdings nicht mit weißem Halbmond und Stern, sondern mit den Botschaften der verschiedenen linksgerichteten Gruppen. »Taksim ist überall – Taksim ist Widerstand«, rufen die Protestierenden immer wieder auf Deutsch und Türkisch. Die Ladefläche eines Lasters dient als Bühne. Unter den Rednerinnen ist die Bundestagsabgeordnete der LINKEN Inge Höger. Sie war in der vergangenen Woche in Istanbul und berichtet, dass sich der Widerstand dort verbreitert. Denn viele Kurden, die zunächst zurückhaltend waren, reihen sich jetzt in die Demokratiebewegung ein. »Erdogan versucht den Rückhalt, den er in der Bevölkerung verloren hat, mit solchen Aktionen wie in Düsseldorf zurück zu gewinnen«, sagt sie. Er braucht die Bilder, die seine Unterstützer in Deutschland zeigen.

>** Aus: neues deutschland, Montag, 8. Juli 2013


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