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Erdogan-Schelte für Mubarak

Dagegen Lob für den "Bruder" in Syrien

Von Jan Keetman, Istanbul *

Der türkische Botschafter in Kairo ist ins dortige Außenministerium zitiert worden. Ankaras Ministerpräsident Erdogan hatte am Tag zuvor demokratische Reformen in Ägypten gefordert.

Nach einer Woche totaler Funkstille hat sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan voll hinter den Aufstand in Ägypten gestellt und dessen Präsidenten Husni Mubarak zum unverzüglichen Rücktritt aufgefordert. Erdogan verlangte außerdem, weitere Schritte zu ergreifen, um die Forderungen der Demonstranten zu erfüllen. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu hatte am Montag (7. Feb.) noch nachgelegt und erklärt: »Ein politischer Wandel ist mit der gegenwärtigen Regierung unmöglich.«

Die ägyptische Regierung reagierte gereizt. Man verbitte sich derartige Äußerungen aus Ankara. Das Außenministerium hatte dazu den türkischen Botschafter in Kairo einbestellt. Der ägyptische Außenminister Ahmet Abul-Gheit habe seinem türkischen Kollegen Ahmet Davutoglu eine schriftliche Warnung zukommen lassen, wurde dazu aus Kairo mitgeteilt. Nur das ägyptische Volk könne über seinen Weg entscheiden.

Für andere arabische Staaten in der Region findet Ankara dagegen ausnehmend freundliche Worte, insbesondere für die Baath-Regierung in Syrien. »Mein Bruder«, sagte Erdogan am Sonntag (6. Feb.), als er vom syrischen Präsidenten Baschar al-Assad sprach.

Diese demonstrative Nähe zu einer Regierung, die von vielen potenziell ebenfalls als wacklig angesehen wird, ist auch deshalb bemerkenswert, weil Syrien von islamischen Fanatikern in der Türkei bisher in einem Atemzug mit Ägypten genannt wurde. Die Herrschaft der Baath-Partei in Damaskus gilt manchen von ihnen sogar als weit schlimmer als die Mubaraks. Vor allem das Hama-Massaker wird dafür herangezogen. Präsident Hafiz al-Assad, Vater des jetzigen Staatschefs, ließ Anfang der 80er Jahre die Altstadt von Hama zusammenschießen, was auf türkische Protest stieß. Die Schätzungen über die Zahl der Opfer reichten bis zu 40 000 Toten.

Zu keinem Nachbarland hat die Türkei derzeit ein so enges Verhältnis wie zu Syrien, und in keinem Fall war die Verbesserung der Beziehungen in den letzten Jahren so dramatisch. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil die syrisch-türkischen Beziehungen in der Vergangenheit meist recht gespannt waren. Die Wurzeln des türkisch-syrischen Konflikts reichen bis ins Jahr 1938 zurück, als Staatsgründer Atatürk der über Syrien herrschenden Mandatsmacht Frankreich die Hafenstadt Iskenderun und die kleine Mittelmeerprovinz Hatay abtrotzte. Das später souveräne Syrien hat diesen Gebietsverlust nie akzeptiert.

In den 80er Jahren begann die Türkei, durch Staudammbauten Syrien die Wasserzufuhr zu beschneiden. Hafiz al-Assad antwortete mit der Unterstützung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Erst nach einer Kriegsdrohung im Herbst 1998 entschloss sich Assad, PKK-Chef Abdullah Öcalan zur Ausreise aus Syrien zu zwingen, was letztlich zu dessen Flucht nach Kenia und der Verschleppung durch eine türkische Killertruppe führte.

Gute Beziehungen zum NATO-Land Türkei sind für Syrien nicht allein wegen des lebenswichtigen Euphrat-Wassers wichtig. Für beide Länder mit ihrer 800 Kilometer langen gemeinsamen Grenze ist eine Kooperation auch wirtschaftlich interessant. Bei der Inbetriebnahme eines beiden Staaten gehörenden Staudamms an der syrisch-türkischen Grenze am Wochenende erinnerte Erdogan an den gemeinsamen Kampf der Völker der Türkei, Syriens, Libanons und Palästinas zur Vertreibung der Kreuzfahrer vor 1000 Jahren.

Wer wollte, konnte darin eine Spitze gegen Israel sehen. Diese Entwicklungen entsprechen dem Wandel, der sich gegenwärtig in der türkischen Außenpolitik vollzieht.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Februar 2011


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