Mehr Kohle für das Öl
Was sind die Motive des tschadischen Präsidenten Déby für den Konflikt mit der Weltbank? Und wer bezahlt die Rechnung dafür?
Es hätte das Modell sein
sollen. Und die schlimmen
Erfahrungen aus Nigeria,
Angola und anderen afrikanischen
Staaten vergessen
lassen. Die Weltbank
wollte im Tschad beweisen:
Erdöl in einem verarmten
Land – ja, das
kann der Bevölkerung dienen;
nein, Korruption und
bewaffnete Konflikte sind
nicht zwingende Folgen
der Ölförderung; ja, das
plötzliche Geld kann sinnvoll
und langfristig ausgegeben
werden.
Angelegt war das weltweit
erstmalige Projekt auf
zwanzig, dreissig Jahre.
Doch nach gerade mal
zwei Jahren Erdölförderung
streiten sich der
Tschad und die Weltbank
schon so heftig, dass das
Modell grandios gescheitert
scheint. Vertragsbruch,
ruft die Weltbank.
Neokolonialismus, schreit
die Regierung in N’Djaména
zurück. Warum das
Scheitern? Und was lässt
sich daraus lernen?
Von Y. Bégoto Oulatar, N’Djaména*
Das ist der Bruch zwischen dem Tschad
und der Weltbank. Dabei haben sich beide
noch vor nicht allzu langer Zeit gemeinsam
engagiert, um das Grossprojekt
der Ölförderung im Doba-Bassin im Süden
des Tschad zu verwirklichen. Grund
für den Bruch ist die Revision des tschadischen
Gesetzes 001, das die Verwendung
der staatlichen Erdöleinnahmen regelt
(vgl. Kasten). Die Nationalversammlung
hat diese Revision am 29. Dezember beschlossen,
obwohl die Weltbank ihre Opposition
dagegen signalisiert hatte. Präsident
Idriss Déby hat das revidierte Gesetz
am 11. Januar unterzeichnet – während
offiziell beide Seiten noch den Dialog
suchten. Débys Schritt beantwortete die
Weltbank umgehend mit dem Auszahlungsstopp
aller Kredite für Weltbankprojekte.
Danach fror sie auch noch das
Sperrkonto bei der Citibank in London
ein, auf das sämtliche Erdöleinnahmen
des Tschad eingehen. Die tschadische Regierung
reagierte mit einem Rückzahlungsstopp
für alle gewährten Kredite
sämtlicher Entwicklungspartner. Darüber
hinaus forderte die Regierung vom
Förderkonsortium unter Führung von
ExxonMobil, die dem Tschad zustehenden
Gelder nicht mehr auf das Londoner
Konto zu überweisen.
Der Konflikt zwischen den beiden früheren
Partnern ist eskaliert. Präsident
Déby scheint die Folgen der Gesetzesänderung
falsch eingeschätzt zu haben. Er
riskiert, dass der Tschad von der internationalen
Finanzwelt mit einem Bann belegt
wird – wo doch der Tschad, der zu den
zehn ärmsten Ländern der Welt gehört,
bis heute von dieser internationalen Gemeinschaft
getragen wurde. Das Land befindet
sich in ernsthaften finanziellen
Schwierigkeiten, und die politische und
soziale Lage ist explosiv, vor allem angesichts
der Spannungen mit dem grossen
Nachbarn im Osten, dem Sudan. Auch auf
der Seite der Weltbank ist der Einsatz
hoch: Sie hatte ihr ganzes Prestige in dieses
Projekt gesteckt und es als Modell für
die vernünftige Verwendung von natürlichen
Ressourcen dargestellt. Sie musste
sich dafür mit nichtstaatlichen Organisationen
(NGOs) herumschlagen, die die
Zusammenarbeit der Weltbank mit dem
Regime von Déby angesichts der schlechten
Regierungsführung und schwerer
Menschenrechtsverletzungen ablehnten.
Auch im Westen wurde die Weltbank deswegen
heftig kritisiert.
Falsch gerechnet
Finanziell dürfte die Rechnung der
tschadischen Regierung nicht aufgehen.
Denn die von der Weltbank gestoppten
Kredite im Tschad belaufen sich auf rund
124 Millionen US-Dollar. Die Gelder auf
dem Konto des vom Parlament abgeschafften
Fonds für künftige Generationen,
die der Tschad jetzt ausgeben kann,
betragen hingegen nur etwa 36 Millionen
Dollar.
Dass es im Süden des Tschad Erdölvorkommen
hat, ist seit 1974 bekannt. Damals
schien die Ausbeutung angesichts
der Ölpreise und der geografischen Lage
jedoch noch nicht rentabel. Erst Mitte der
neunziger Jahre änderte sich das. Doch es
bleibt das Problem, wie das Öl an die 1050
Kilometer entfernte Atlantikküste in Kamerun
geschafft werden kann. Ein Konsortium,
bestehend aus dem US-Konzern
ExxonMobil, der niederländisch-britischen
Shell und der französischen Elf,
veranschlagt die für Förderung und Pipeline
notwendigen Investitionen auf rund
3,5 Milliarden Dollar. Diese kolossale
Summe wollen die beteiligten Konzerne
nicht alleine aufbringen. Doch die Suche
nach privaten Investoren verläuft harzig.
Deshalb bittet man die Weltbank und deren
Filiale, die Internationale Finanzkorporation,
um Unterstützung. Da diese Institutionen
rein kommerzielle Projekte
nicht finanzieren, musste der Export des
tschadischen Erdöls in ein Entwicklungsund
Armutsbekämpfungsprogramm integriert
werden. Das Erdöl bietet dem
Tschad eine einzigartige Chance, die Armut
zu reduzieren.
Von nun an führt die Weltbank Verhandlungen
mit dem Konsortium einerseits
und mit den Regierungen von Tschad
und Kamerun andererseits. 1998 verlassen
Shell und Elf das Konsortium, und
Exxon findet neue Partner: die malaysische
Petronas und die US-amerikanische
Chevron. Die Verhandlungen führen
schliesslich zur Unterzeichnung eines Abkommens
über die Verwendung der
Öleinnahmen mit dem Ziel der Armutsbekämpfung.
Der Verteilschlüssel wird
im tschadischen Gesetz 001 vom 11. Januar
1999 festgeschrieben.
Die Bonusaffäre
Das Gesetz 001 ist für die Weltbank unentbehrlich,
um sich trotz der massiven
Proteste tschadischer und internationaler
NGOs, der Oppositionsparteien und aus
Gesellschaft und Bevölkerung an der Finanzierung
des Ölexports zu beteiligen.
Die KritikerInnen befürchten, dass die
tschadische Regierung ihrem schlechten
Ruf gerecht wird und die Einnahmen
zweckentfremdet. Der damalige Weltbankpräsident
James Wolfensohn bezeichnet
diese Auseinandersetzung als
hysterisch. Im Juni 2000 entscheidet sich
die Weltbank für die Finanzierung des
Projekts, und sofort wird mit den Arbeiten
begonnen. Ende 2003, über ein Jahr
früher als vorgesehen, fliesst das erste Öl
durch eine Pipeline nach Kamerun.
Schon bald beweist die tschadische Regierung
ihren Vertragspartnern, dass sie
nicht bereit ist, die neuen Einnahmen
ausschliesslich für die Armutsbekämpfung
einzusetzen. Denn die neuen Konsortiumsmitglieder
Petronas und Chevron
bezahlen als Eintrittspreis einen Bonus
von 25 Millionen Dollar. Die Regierung
kauft mit einem Grossteil davon
Waffen, um die Rebellion im Norden des
Landes zu bekämpfen. Schon damals begegnet
die Regierung den heftigen Protesten
mit dem Argument, dass es um die nationale
Souveränität gehe und um die
Notwendigkeit, sich zu verteidigen. Die
Proteste jedenfalls erreichen nichts für
die Armutsbekämpfung. Die übriggebliebenen
Bonusgelder werden für Prestigeobjekte
der herrschenden Klasse ausgegeben:
für Autos und Traktoren. Die Bonusaffäre
führt zum ersten Riss in den Vereinbarungen
des Finanzierungsabkommens.
Ende 2004, nur ein Jahr nach Beginn
des Ölexports und kaum ein halbes Jahr,
nachdem die ersten Gelder im Tschad eingetroffen
sind, beschuldigt die Regierung
das Konsortium des Betrugs beim Ölverkauf.
Ein Communiqué, das aus einem
Dienst des Präsidenten zu kommen
scheint, aber angeblich nicht die offizielle
Sicht wiedergibt, fordert einen neuen
Schlüssel für die Aufteilung der Einnahmen
unter den verschiedenen Partnern.
Die Transportkosten seien viel zu hoch
veranschlagt und die Tantiemen für den
Tschad – 12,5 Prozent – zu niedrig. Zwischen
Regierung und Konsortium kommt
es zu Spannungen. Eine Schar von AnwältInnen
wird engagiert, um die Beziehungen
zwischen dem Tschad und den
anderen Beteiligten wieder zu verbessern.
Doch schon Anfang 2005 kritisiert Präsident
Idriss Déby die Weltbank offen. Deren
Projekte hätten keine sichtbaren Auswirkungen
im Tschad. Er droht mit der
Revision sämtlicher Projekte, um zu beweisen,
dass sie ineffizient seien und den
Tschad bloss in die Verschuldung führten.
Diesen Vorwurf erneuert er am 20. Dezember
2005.
Zwischenzeitlich zeigen übereinstimmende
Informationen und Aussagen
höchster staatlicher Stellen, darunter des
Premierministers und des Präsidenten,
dass der Tschad das Gesetz 001 ändern
will. Nur die Machenschaften rund um eine
Verfassungsänderung, die Déby ein
drittes Mandat als Präsident ermöglichen
soll, verzögern diese Änderung. Trotzdem
kommt das Projekt voran. Denn schon vor
der Änderung von Gesetz 001 wird im
Budget 2006 ein schöner Teil der Erdöleinnahmen
für andere Zwecke als die im
Gesetz benannten prioritären Sektoren
der Armutsbekämpfung vorgesehen. Die
Justiz, die zivile Verwaltung, die so genannte
Sicherung der Souveränität profitieren
von nun an ebenfalls vom Ölgeld.
Die für den Fonds für künftige Generationen
reservierten 10 Prozent der Öleinnahmen
sind aus dem Budget verschwunden.
Nur noch 65 statt 80 Prozent sind für
die – erweiterten – prioritären Sektoren
vorgesehen, 5 Prozent gehen weiterhin an
die Förderregion. Die restlichen 30 Prozent
fliessen in den allgemeinen Staatshaushalt
und sollen die laufenden staatlichen
Ausgaben finanzieren.
Lieber heute als morgen
Die Regierung begründet das Durcheinanderbringen
des Gesetzes 001 mit der
akuten staatlichen Liquiditätskrise. Man
müsse sich der sozialen Krise stellen, die
durch die verspäteten Lohn- und Pensionszahlungen
entstanden sei sowie
durch die weiter steigende Verschuldung.
Es gehe nicht an, die heutigen Generationen
im Elend leben zu lassen, obwohl
Ressourcen zur Verfügung stünden. Zudem
würden von heutigen Investitionen
auch künftige Generationen profitieren.
Doch die Entwicklungspartner mögen
diesen Argumenten nicht folgen. Vielmehr
sind sie der Ansicht, dass die Ursachen
der schweren Finanzkrise genau
identifizierbar sind. Sie liegen in der desaströsen
und undurchsichtigen Haushaltsführung
der Regierung.
Ab sofort gehen also die Einnahmen,
die bis vor kurzem die Staatskasse füllten,
in eine unbekannte Richtung, und die
internationale Hilfe ist eingestellt. Die
Weltbank hat sich bereit erklärt, zu diskutieren
und gemeinsam mit den Behörden
Mittel und Wege zu suchen, die Finanzkrise
zu lösen, ohne das Gesetz 001 zu ändern.
Die Regierung hat sich darüber hinweggesetzt
– sie beruft sich auf die nationale
Souveränität.
Viele BeobachterInnen sehen andere
Motive für die Gesetzesänderung. Die Regierung
braucht dringend Geld, um die
nächsten Wahlen zu finanzieren. Die traditionellen
Geldgeber wollen das nicht
übernehmen, da es zwischen Regierung
und Opposition keinen Dialog über freie
und transparente Wahlen gibt. Ausserdem
will die Regierung angesichts der
zunehmenden Rebellion im Osten und
der steigenden Spannungen mit dem Sudan
militärisch aufrüsten.
Zurzeit ist es noch nicht möglich, die
Auswirkungen der Sanktionen der Weltbank
auf das Leben der TschaderInnen
zu beurteilen. Womöglich haben die
Mächtigen in N’Djaména einen Bluff versucht,
ohne die Konsequenzen zu erwägen.
Sämtliche Geldgeber werden dem
Beispiel der Weltbank folgen. Und der
Tschad riskiert gerade angesichts der aktuellen
Probleme in den neuralgischen
Bereichen der Gesundheitsversorgung
und der Bildung noch schwierigere Zeiten
zu durchleben.
* Y. BÉGOTO OULATAR ist Chefredaktor der
tschadischen Wochenzeitung «N’Djaména
Hebdo».
Aus: Wochenzeitung WoZ (Schweiz), Nr. 4, 26. Januar 2006;
im Internet: www.woz.ch
MODELL NOCH ZU RETTEN?
Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, sagt der ehemalige Weltbankvertreter im Tschad, der
Schweizer Gregor Binkert. Er gesteht kleine Fehler ein und setzt auf Verhandlungen.
"Die härtesten Sanktionen"
Von Armin Köhli (Interview)
WOZ: Es heisst, dass Sie massgeblich
an der Ausarbeitung des Gesetzes 001
beteiligt gewesen sind [vgl. Kasten]. Dann sind Sie wohl persönlich
erschüttert durch die Änderungen,
die das tschadische Parlament am Gesetz
001 einseitig vorgenommen hat?
Gregor Binkert: Nein, am Gesetz selber
war ich nicht beteiligt, es wurde schon vor
meiner Zeit im Tschad verfasst. Aber ich
war an den Ausführungsbestimmungen
des Gesetzes stark beteiligt. Es ging darum,
alles zum Funktionieren zu bringen.
Das Capacity Building im Finanzministerium,
die Verbesserung der öffentlichen
Ausgaben. Das lief sehr harzig. Dennoch
gab es «süferli» gewisse Fortschritte. Früher
gab es praktisch keinen Budgetprozess,
der Tschad hatte ja auch kaum Einnahmen.
Der Rest wurde durch ausländische
Hilfe finanziert und kontrolliert.
War die Weltbank zu Anpassungen
am Gesetz 001 nicht bereit?
Wir waren offen für Verhandlungen. Das
Gesetz wurde ja 1998 diskutiert und 1999
unterzeichnet, lange bevor Erdöl gefördert
wurde. Man hatte noch keine Erfahrung,
das war weltweit erstmalig. 1998
gab es auch eine Table ronde. Die Regierung
stellte allen internationalen Donatoren
ihr Regierungsprogramm und speziell
ihre Armutsbekämpfungsprogramme
vor. Dort benannte die Regierung die
vier Prioritätssektoren Bildung, Gesundheit,
Infrastruktur und ländliche Entwicklung.
Das Gesetz 001 berief sich genau
auf diesen Konsens der Table ronde.
Das waren die Prioritäten der Regierung,
nicht der Weltbank, und alle fanden das
richtig.
Ab dem Jahr 2000 mussten praktisch
alle Staaten, die von Entschuldungsaktionen
profitiert und die Zahlungsbilanzhilfen
bekommen haben, ein Strategiepapier
zur Armutsbekämpfung ausarbeiten,
das so genannte PRSP (Poverty Reduction
Strategy Paper). Das war im
Tschad ein interessanter Prozess, bei dem
intensive nationale Konsultationen stattfanden.
Viele Teams gingen in die entlegensten
Dörfer. Sie veranstalteten Seminare
zur Frage: Was ist Armut? Wo drückt
der Schuh? Dann verdichtete man das zu
einem Strategiepapier. Aus diesen Konsultationen
wurde deutlich: Zur Reduktion
der Armut braucht es mehr als Gesundheit,
Bildung und so weiter. Ganz
zentral ist beispielsweise auch die Infrastruktur.
Grosse Teile des Tschad sind
während sechs Monaten pro Jahr nicht
zugänglich. Wenn es regnet, kommt man
einfach nicht mehr durch. Sogar zu Fuss
ist es schwierig. Gerade während der Ernte
ist alles zu, und die Bauern können ihre
Produktion nicht verkaufen. Gut, Infrastruktur
gehörte bereits seit der Table ronde
zu den Prioritätssektoren. Aber ein anderes
zentrales Thema ist die Sicherheit.
Im Tschad gibt es eine ganze Reihe ethnischer
Konflikte, die häufig mit Landfragen
und Weiderechten verbunden sind.
Somit ist Sicherheit auch wichtig für die
Armutsreduktion in den ländlichen Gebieten.
Doch meint «Sicherheit» auch
Ausgaben für das Militär? Sicherheit als
Teil der Armutsbekämpfung bedeutet jedenfalls
nicht, dass man gegen externe
Regierungen Kriege führen kann. Und
schliesslich gibt es noch die Frage der
Gouvernanz, also das Problem der Korruption
und der schlechten staatlichen
Dienstleistungen. Dazu gehört auch eine
gut funktionierende Justiz.
Und als dann 2004 die Erdölgelder
zu fliessen begannen, wurde erneut
über das Gesetz diskutiert?
Dass man die Prioritäten im Gesetz 001
an die neue Armutsreduktionsstrategie
des PRSP anpassen müsste, war schon
2003 deutlich. Wir waren offen, das zu
diskutieren. Was die Regierung auch zu
den Prioritätssektoren rechnen wollte,
und da waren wir ebenfalls offen, ist die
zivile Administration in den Provinzen.
Viele Provinzen wurden de facto mehr
oder weniger vom Militär verwaltet. Der
Militärkommandant war derjenige mit
Auto; er war derjenige mit einem Funkgerät
und so weiter. Der zivile Administrator
war darauf angewiesen. Wenn er
beispielsweise in die Hauptstadt weitergeben
wollte: Die Militärs bauen Mist –
dann musste er zum Militärkommandanten
und bei ihm funken. Das zivile
Gegengewicht in den Provinzen war meistens
schwach. Darum leuchtet es mir
auch ein, dass der Aufbau einer zivilen
Verwaltung durchaus zur Armutsbekämpfungsstrategie
gehört und durch
Öleinkünfte finanziert werden soll. Dann
kann man immer noch diskutieren, wie
viel es dafür braucht – das ist die normale
Budgetdebatte. Braucht es ein grosses
Auto, oder reicht auch ein mittelgrosses,
braucht es ein grosses Haus, oder reicht
auch ein mittelgrosses?
Es gab im Gesetz auch Bestimmungen,
die nicht durchdacht waren. Ein Beispiel:
Das Gesetz sah vor, dass das Geld
vom Sperrkonto in London an Kommerzbanken
im Tschad überwiesen wird
und nicht an die Zentralbank. Das ist natürlich
unmöglich. Wenn sehr viel Geld
kommt und der Staat das während beispielsweise
sechs Monaten oder drei Jahren
nicht braucht, dann würden die
Kommerzbanken das Geld einfach
weiterverleihen und dadurch die Inflation
in fantastische Höhen treiben. Das
Geld muss zur Zentralbank. Dann kann
man die Liquidität managen. In den Ausführungsbestimmungen
fanden wir einen
Mechanismus, um dieses Problem zu lösen.
Aber es wäre einfacher gewesen, das
Geld direkt vom Sperrkonto aus an die
Zentralbank zu überweisen.
Und dann wurden neue Ölvorkommen
entdeckt?
Das Gesetz von 1998/99 beschränkte sich
auf die drei Erdölfelder, die damals bekannt
waren. In der Zwischenzeit hat man
in der gleichen Region neue Felder gefunden.
Die Einkommen aus diesen Feldern
sind nicht durch das Gesetz 001 geregelt.
Auch die NGOs haben immer wieder auf
diese Lücke im Gesetz hingewiesen. Ich
führte diese Diskussion vor allem mit dem
damaligen Premierminister. Wir fanden
einen recht guten Konsens, und das hat
die Regierung auch schriftlich bestätigt.
Sie sei einverstanden, die Einnahmen aus
den neuen Erdölfeldern ebenfalls nach
den Prinzipien des Gesetzes 001 zu verwalten.
Aber die Prioritätssektoren sollen
kohärent mit dem PRSP sein.
Wieso hat denn der Dialog trotzdem
nicht funktioniert? Warum hat das Parlament
das Gesetz einseitig geändert?
2004, das erste Jahr der Erdöleinnahmen,
war ein schwieriges Jahr für den
Tschad. Die Regierung und der Internationale
Währungsfonds (IWF) konnten
sich nicht auf ein neues Programm einigen,
und der IWF hat sich faktisch zurückgezogen.
Weil es keine IWF-Programme
gab, konnte die EU zwanzig
Millionen Euro an Zahlungsbilanzhilfe
nicht auszahlen. Die Weltbank konnte
den geplanten Strukturanpassungskredit
nicht auszahlen. Der gesamte Nichterdölanteil
des Budgets 2004 ist kollabiert.
Das löste massive soziale Spannungen
aus. Trotzdem hat sich die Regierung
an das Gesetz 001 gehalten. Der IWF kam
zwar 2005 wieder zurück, aber diese
Spannungen liessen sich nicht so einfach
lösen.
Zweitens kamen mit dem Erdöl viele –
schon lange vorhandene – Ambitionen
hervor. Und drittens gibt es Spannungen
wegen des Darfurkonflikts im benachbarten
Sudan. Das ist wahrscheinlich die
grösste Ursache der Probleme. Je länger
dieser Konflikt nicht gelöst ist, umso
schwieriger wird es für den Tschad. All die
humanitären Probleme, die es jetzt im
Osten gibt – laut Gesetz darf man nichts
vom Erdölgeld für humanitäre Aktionen
ausgeben, für die Flüchtlinge und für andere
Aufgaben, die die internationale Gemeinschaft
nicht finanziert. Dazu kommt,
dass sich Déby selber massiv unter Druck
gesetzt hat, weil er ein drittes Mandat als
Präsident will.
Dafür braucht er Geld?
Ja, aber schlimmer sind die internen Spaltungen
innerhalb der Regierungspartei,
weil viele sagten, es war Teil der Abmachungen
mit Déby, dass er sich nur für
zwei Mandate zur Verfügung stellt. Die
Spaltungen reichen tief in den Clan von
Déby hinein. Diese Spaltungen und der
Darfurkonflikt haben den Tschad in eine
schwierige Lage gebracht.
Der tschadische Ölminister fordert
unterdessen, dass der Erdölkonzern
ExxonMobil den tschadischen Anteil
an den Erdöleinnahmen direkt und
nicht mehr auf das Sperrkonto in London
überweist – oder die Förderung
ganz einstellt.
Alle Abkommen, die Exxon auch unterschrieben
hat, gelten weiter. Einzig das bilaterale
Abkommen Tschad–Weltbank ist
ein Problem. Im Projektabkommen, dem
Vertrag zwischen der Weltbank und dem
Tschad, verpflichtete sich der Tschad, das
Gesetz 001 nicht substanziell zu verändern,
ohne sich mit der Weltbank abzusprechen.
Details wären immer möglich
gewesen, aber was jetzt gelaufen ist, ist eine
substanzielle Änderung. Die einseitige
Änderung hat also den Vertrag zwischen
der Regierung und der Weltbank infrage
gestellt.
Das Projektabkommen ist aber
nicht einklagbar. Worauf basieren die
Sanktionen der Weltbank?
Wo soll man auch klagen und mit welchem
Ziel? Flugzeuge beschlagnahmen
lassen von einer Fluggesellschaft, die es
gar nicht gibt? Die Sanktionen, die die
Weltbank jetzt gewählt hat – alle Projekte
und Auszahlungen zu stoppen und das
Londoner Konto zu sperren –, sind die
härtestmöglichen vor dem definitiven
Bruch mit dem Tschad. Das klare Argument
der Weltbank lautet: Entweder hat
man gemeinsame Ziele, oder man hat sie
nicht. Ein Gesundheits- oder Strassenprojekt
kann das Ziel der Armutsreduktion
nicht erreichen, wenn der grössere
Rahmen nicht stimmt. Aber das Ziel ist
weiterhin, durch Verhandlungen eine
neue Lösung zu finden.
Die einseitige Änderung von Gesetz
001 ist für die Weltbank der schlimmste
denkbare Fall. Und das in einem Modellprojekt.
Was lernt die Weltbank
daraus?
Ich bin sicher, dass das letzte Kapitel noch
nicht geschrieben ist. Darum will ich auch
noch nicht zu viele Lektionen daraus ziehen.
Es hängt auch viel davon ab, wie sich
der komplizierte Darfurkonflikt entwickelt.
Neben den internen Dimensionen
kommen dort Grossmachtsinteressen dazu.
Die Frage ist auch, wie viel Druck Exxon
macht. Im Detail lernen wir schon einiges
daraus. Wie müssten solche Gesetze
in anderen Fällen verfasst werden? Damit
es etwas mehr Flexibilität gibt, damit es
etwas kohärenter ist.
Man glaubte, der Tschad als armer
Staat könne sich den Bruch mit der
Weltbank nicht leisten.
Wir sind noch nicht am Ende angekommen.
Vielleicht kann man wieder einen
akzeptablen Kompromiss finden. Wenn
Ende 2006 immer noch alles schief ist,
muss man natürlich andere Schlussfolgerungen
ziehen. Lassen Sie uns in einem
Jahr noch einmal darüber diskutieren.
* GREGOR BINKERT: Der 49-jährige Schweizer Binkert leitete
das Büro der Weltbank im Tschad
von Oktober 2001 bis September
2004, also unmittelbar vor und während
der ersten Erdölexporte. Heute
arbeitet er als Chefökonom der Weltbank
für die Region Afrika in Moçambique.
Vor seiner Zeit im Tschad
arbeitete er dreieinhalb Jahre im
Schweizer Büro bei der Weltbank in
Washington. Binkert hat in den USA
Entwicklungsökonomie studiert.
DAS GESETZ 001
Grundlage für das Engagement der
Weltbank ist das tschadische Gesetz
001. Es schreibt vor, dass 80 Prozent
der Gelder, die im Tschad ankommen,
für Armutsreduktion eingesetzt werden.
Und zwar in den «Prioritätssektoren
» Bildung, Gesundheit, Infrastruktur
und ländliche Entwicklung.
15 Prozent der 90 Prozent gehen an
das normale Budget des Staates für die
Verwaltung (inklusive Militär). 5 Prozent
gehen direkt an die Förderregion
Logone Orientale. Durch diese Region
führt auch die Exportpipeline.
Ein unabhängiges Gremium überprüft
die 80 Prozent für die Prioritätssektoren
und die 5 Prozent für die
Entwicklungsregion. Kommerzbanken
dürfen nicht auszahlen, wenn
nicht die Bewilligung von diesem
Collège de contrôle et supervision
des ressources petrolières vorliegt.
Die Überweisung von London nach
N’Djaména hingegen muss vom
Collège nicht bewilligt werden.
Die vom tschadischen Parlament
Ende Dezember 2005 einseitig beschlossene
Änderung reduziert die 80
Prozent für die Prioritätssektoren auf
65 Prozent. Dafür wird der Anteil für
die allgemeine staatliche Verwaltung
vergrössert. Gleichzeitig wird die Definition
der Prioritätssektoren ausgeweitet.
Insbesondere werden die Zivilverwaltung
darin aufgenommen
sowie die Sicherheitssektoren und die
Justiz. Zusätzlich wird der Fonds für
künftige Generationen abgeschafft.
WIE FLIESST DAS GELD?
Der Erdölkonzern ExxonMobil überweist
den tschadischen Teil der Erdöleinnahmen
auf ein Sperrkonto bei der
Citibank in London. Dort wird zuerst
der Schuldendienst für die Weltbank
und für die Europäische Entwicklungsbank
abgezogen. Erst dann hat
der Tschad indirekt Zugriff auf das
Geld. Zuerst werden 10 Prozent direkt
für einen Fonds für künftige Generationen
abgezogen. Dieses Geld bleibt
auf einem Spezialkonto in London.
Die restlichen 90 Prozent werden an
die Zentralbank im Tschad überwiesen.
Von dort aus erhalten die Kommerzbanken
– je nach Liquiditätsbedürfnis
– Geld. Die staatlichen Ausgaben
laufen über die Kommerzbanken.
Seit Mitte Januar fliesst kein Geld
mehr: Die Weltbank hat das Konto in
London gesperrt, weil der Tschad
Kreditabkommen gebrochen habe.
Aus: Wochenzeitung WoZ (Schweiz), Nr. 4, 26. Januar 2006;
im Internet: www.woz.ch
Showdown
Jetzt kämpfen beide Seiten mit höchstem Einsatz: Weltbank-Chef Paul Wolfowitz und der tschadische Präsident Idriss Déby. Wolfowitz verteidigt dabei das Prestige der Weltbank, doch das «Modellprojekt» im Tschad ist bereits grandios gescheitert. Die Weltbank wollte beweisen, dass der Abbau natürlicher Ressourcen in einem verarmten Land - das begehrte Erdöl – der lokalen Bevölkerung zugute kommen kann und die entsprechenden Einnahmen die masslose Armut zu lindern vermögen. Ein Weltbankkredit bildete die Grundlage für ein komplexes Vertragswerk zwischen dem Tschad, der Weltbank und dem Förderkonsortium unter Führung des US-Ölriesen Exxon-Mobil. Eine Kampagne tschadischer und internationaler Menschenrechts- und Umweltgruppen vermochte damals alle Beteiligten unter massiven Druck zu setzen und trug zu den strengen Regeln für die Verwendung des Ölgeldes bei.
Doch die grundsätzliche Frage, ob ein autoritäres, korruptes Regime wie jenes von Déby in der Lage und willens ist, die Armut wirklich zu bekämpfen, stellte sich die Weltbank nicht. Nun, kaum anderthalb Jahre nachdem das erste Geld im Tschad eingetroffen ist, hat die Regierung den Schlüssel zur Verwendung der Erdöleinnahmen einseitig geändert. Débys Regime kämpft ums Überleben, innere und
äussere Konflikte setzen ihm zu. Da braucht es mehr Geld, und zwar subito.
Déby hat sich gründlich verrechnet. Und die Weltbank ebenfalls. Die tschadische Gesetzesänderung zeichnete sich seit Monaten ab, und die Weltbank hat kaum darauf reagiert. In der Bank war
man wohl vor allem mit sich selber beschäftig, nämlich mit dem Einzug des
neuen Chefs Wolfowitz. Der reagierte erst nach der einseitigen Massnahme des Tschad, dafür aber ultrahart: Die Weltbank sperrte sämtliche Ölgelder des Tschad. Ohne diese Gelder ist der Fall von
Débys Regime eine Frage von einigen Monaten, auch wenn es sich durch die Vergabe neuer Schürfkonzessionen an einen taiwanesischen Konzern ein paar Millionen gesichert hat. Faktisch heisst das: «Regime Change» durch die Weltbank. Der ehemalige US-Vizeverteidigungsminister Wolfowitz bleibt bei seinen Methoden.Und verliert dabei die strategischen Interessen der USA an der
Erdölregion nicht aus den Augen.
Tschadische Basisgruppen und Oppositionsparteien begrüssen die Härte der
Weltbank. Dabei sind die TschaderInnen sowieso erst mal die VerliererInnen. Denn die internationale Finanzhilfe und die meisten Armutsbekämpfungsprojekte sind suspendiert. Das noch vorhandene Geld wird primär ans Militär gehen.
Déby, der sich in eine antikolonialistische Pose wirft, wird, zumindes zumindest vordergründig,
kriechen müssen. Die Weltbank wird – es geht ja ums Prestige – dann doch
Kompromisse eingehen. Oder Déby wird fallen. Was andere Regierungen aus dem «Modell» Tschad lernen können, wird sich dann weisen. Die Weltbank meiden? Oder – falls es doch zu einem Kompromiss
zu Débys Gunsten kommt – sie einbeziehen, aber nicht allzu ernst nehmen?
Den Kampf entscheiden könnte am Ende Exxon Mobil. Und dieser Konzern hat seinen Sitz in Houston, Texas. Das liegt nicht so weit entfernt von Wolfowitz’ früherem und heutigem Arbeitsort Washington.
Armin Köhli
Aus: Wochenzeitung WoZ (Schweiz), Nr. 4, 26. Januar 2006;
im Internet: www.woz.ch
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