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Mehr Kohle für das Öl

Was sind die Motive des tschadischen Präsidenten Déby für den Konflikt mit der Weltbank? Und wer bezahlt die Rechnung dafür?

Es hätte das Modell sein sollen. Und die schlimmen Erfahrungen aus Nigeria, Angola und anderen afrikanischen Staaten vergessen lassen. Die Weltbank wollte im Tschad beweisen: Erdöl in einem verarmten Land – ja, das kann der Bevölkerung dienen; nein, Korruption und bewaffnete Konflikte sind nicht zwingende Folgen der Ölförderung; ja, das plötzliche Geld kann sinnvoll und langfristig ausgegeben werden.
Angelegt war das weltweit erstmalige Projekt auf zwanzig, dreissig Jahre. Doch nach gerade mal zwei Jahren Erdölförderung streiten sich der Tschad und die Weltbank schon so heftig, dass das Modell grandios gescheitert scheint. Vertragsbruch, ruft die Weltbank. Neokolonialismus, schreit die Regierung in N’Djaména zurück. Warum das Scheitern? Und was lässt sich daraus lernen?



Von Y. Bégoto Oulatar, N’Djaména*

Das ist der Bruch zwischen dem Tschad und der Weltbank. Dabei haben sich beide noch vor nicht allzu langer Zeit gemeinsam engagiert, um das Grossprojekt der Ölförderung im Doba-Bassin im Süden des Tschad zu verwirklichen. Grund für den Bruch ist die Revision des tschadischen Gesetzes 001, das die Verwendung der staatlichen Erdöleinnahmen regelt (vgl. Kasten). Die Nationalversammlung hat diese Revision am 29. Dezember beschlossen, obwohl die Weltbank ihre Opposition dagegen signalisiert hatte. Präsident Idriss Déby hat das revidierte Gesetz am 11. Januar unterzeichnet – während offiziell beide Seiten noch den Dialog suchten. Débys Schritt beantwortete die Weltbank umgehend mit dem Auszahlungsstopp aller Kredite für Weltbankprojekte. Danach fror sie auch noch das Sperrkonto bei der Citibank in London ein, auf das sämtliche Erdöleinnahmen des Tschad eingehen. Die tschadische Regierung reagierte mit einem Rückzahlungsstopp für alle gewährten Kredite sämtlicher Entwicklungspartner. Darüber hinaus forderte die Regierung vom Förderkonsortium unter Führung von ExxonMobil, die dem Tschad zustehenden Gelder nicht mehr auf das Londoner Konto zu überweisen.

Der Konflikt zwischen den beiden früheren Partnern ist eskaliert. Präsident Déby scheint die Folgen der Gesetzesänderung falsch eingeschätzt zu haben. Er riskiert, dass der Tschad von der internationalen Finanzwelt mit einem Bann belegt wird – wo doch der Tschad, der zu den zehn ärmsten Ländern der Welt gehört, bis heute von dieser internationalen Gemeinschaft getragen wurde. Das Land befindet sich in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten, und die politische und soziale Lage ist explosiv, vor allem angesichts der Spannungen mit dem grossen Nachbarn im Osten, dem Sudan. Auch auf der Seite der Weltbank ist der Einsatz hoch: Sie hatte ihr ganzes Prestige in dieses Projekt gesteckt und es als Modell für die vernünftige Verwendung von natürlichen Ressourcen dargestellt. Sie musste sich dafür mit nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) herumschlagen, die die Zusammenarbeit der Weltbank mit dem Regime von Déby angesichts der schlechten Regierungsführung und schwerer Menschenrechtsverletzungen ablehnten. Auch im Westen wurde die Weltbank deswegen heftig kritisiert.

Falsch gerechnet

Finanziell dürfte die Rechnung der tschadischen Regierung nicht aufgehen. Denn die von der Weltbank gestoppten Kredite im Tschad belaufen sich auf rund 124 Millionen US-Dollar. Die Gelder auf dem Konto des vom Parlament abgeschafften Fonds für künftige Generationen, die der Tschad jetzt ausgeben kann, betragen hingegen nur etwa 36 Millionen Dollar.

Dass es im Süden des Tschad Erdölvorkommen hat, ist seit 1974 bekannt. Damals schien die Ausbeutung angesichts der Ölpreise und der geografischen Lage jedoch noch nicht rentabel. Erst Mitte der neunziger Jahre änderte sich das. Doch es bleibt das Problem, wie das Öl an die 1050 Kilometer entfernte Atlantikküste in Kamerun geschafft werden kann. Ein Konsortium, bestehend aus dem US-Konzern ExxonMobil, der niederländisch-britischen Shell und der französischen Elf, veranschlagt die für Förderung und Pipeline notwendigen Investitionen auf rund 3,5 Milliarden Dollar. Diese kolossale Summe wollen die beteiligten Konzerne nicht alleine aufbringen. Doch die Suche nach privaten Investoren verläuft harzig. Deshalb bittet man die Weltbank und deren Filiale, die Internationale Finanzkorporation, um Unterstützung. Da diese Institutionen rein kommerzielle Projekte nicht finanzieren, musste der Export des tschadischen Erdöls in ein Entwicklungsund Armutsbekämpfungsprogramm integriert werden. Das Erdöl bietet dem Tschad eine einzigartige Chance, die Armut zu reduzieren.

Von nun an führt die Weltbank Verhandlungen mit dem Konsortium einerseits und mit den Regierungen von Tschad und Kamerun andererseits. 1998 verlassen Shell und Elf das Konsortium, und Exxon findet neue Partner: die malaysische Petronas und die US-amerikanische Chevron. Die Verhandlungen führen schliesslich zur Unterzeichnung eines Abkommens über die Verwendung der Öleinnahmen mit dem Ziel der Armutsbekämpfung. Der Verteilschlüssel wird im tschadischen Gesetz 001 vom 11. Januar 1999 festgeschrieben.

Die Bonusaffäre

Das Gesetz 001 ist für die Weltbank unentbehrlich, um sich trotz der massiven Proteste tschadischer und internationaler NGOs, der Oppositionsparteien und aus Gesellschaft und Bevölkerung an der Finanzierung des Ölexports zu beteiligen. Die KritikerInnen befürchten, dass die tschadische Regierung ihrem schlechten Ruf gerecht wird und die Einnahmen zweckentfremdet. Der damalige Weltbankpräsident James Wolfensohn bezeichnet diese Auseinandersetzung als hysterisch. Im Juni 2000 entscheidet sich die Weltbank für die Finanzierung des Projekts, und sofort wird mit den Arbeiten begonnen. Ende 2003, über ein Jahr früher als vorgesehen, fliesst das erste Öl durch eine Pipeline nach Kamerun.

Schon bald beweist die tschadische Regierung ihren Vertragspartnern, dass sie nicht bereit ist, die neuen Einnahmen ausschliesslich für die Armutsbekämpfung einzusetzen. Denn die neuen Konsortiumsmitglieder Petronas und Chevron bezahlen als Eintrittspreis einen Bonus von 25 Millionen Dollar. Die Regierung kauft mit einem Grossteil davon Waffen, um die Rebellion im Norden des Landes zu bekämpfen. Schon damals begegnet die Regierung den heftigen Protesten mit dem Argument, dass es um die nationale Souveränität gehe und um die Notwendigkeit, sich zu verteidigen. Die Proteste jedenfalls erreichen nichts für die Armutsbekämpfung. Die übriggebliebenen Bonusgelder werden für Prestigeobjekte der herrschenden Klasse ausgegeben: für Autos und Traktoren. Die Bonusaffäre führt zum ersten Riss in den Vereinbarungen des Finanzierungsabkommens.

Ende 2004, nur ein Jahr nach Beginn des Ölexports und kaum ein halbes Jahr, nachdem die ersten Gelder im Tschad eingetroffen sind, beschuldigt die Regierung das Konsortium des Betrugs beim Ölverkauf. Ein Communiqué, das aus einem Dienst des Präsidenten zu kommen scheint, aber angeblich nicht die offizielle Sicht wiedergibt, fordert einen neuen Schlüssel für die Aufteilung der Einnahmen unter den verschiedenen Partnern. Die Transportkosten seien viel zu hoch veranschlagt und die Tantiemen für den Tschad – 12,5 Prozent – zu niedrig. Zwischen Regierung und Konsortium kommt es zu Spannungen. Eine Schar von AnwältInnen wird engagiert, um die Beziehungen zwischen dem Tschad und den anderen Beteiligten wieder zu verbessern. Doch schon Anfang 2005 kritisiert Präsident Idriss Déby die Weltbank offen. Deren Projekte hätten keine sichtbaren Auswirkungen im Tschad. Er droht mit der Revision sämtlicher Projekte, um zu beweisen, dass sie ineffizient seien und den Tschad bloss in die Verschuldung führten. Diesen Vorwurf erneuert er am 20. Dezember 2005.

Zwischenzeitlich zeigen übereinstimmende Informationen und Aussagen höchster staatlicher Stellen, darunter des Premierministers und des Präsidenten, dass der Tschad das Gesetz 001 ändern will. Nur die Machenschaften rund um eine Verfassungsänderung, die Déby ein drittes Mandat als Präsident ermöglichen soll, verzögern diese Änderung. Trotzdem kommt das Projekt voran. Denn schon vor der Änderung von Gesetz 001 wird im Budget 2006 ein schöner Teil der Erdöleinnahmen für andere Zwecke als die im Gesetz benannten prioritären Sektoren der Armutsbekämpfung vorgesehen. Die Justiz, die zivile Verwaltung, die so genannte Sicherung der Souveränität profitieren von nun an ebenfalls vom Ölgeld. Die für den Fonds für künftige Generationen reservierten 10 Prozent der Öleinnahmen sind aus dem Budget verschwunden. Nur noch 65 statt 80 Prozent sind für die – erweiterten – prioritären Sektoren vorgesehen, 5 Prozent gehen weiterhin an die Förderregion. Die restlichen 30 Prozent fliessen in den allgemeinen Staatshaushalt und sollen die laufenden staatlichen Ausgaben finanzieren.

Lieber heute als morgen

Die Regierung begründet das Durcheinanderbringen des Gesetzes 001 mit der akuten staatlichen Liquiditätskrise. Man müsse sich der sozialen Krise stellen, die durch die verspäteten Lohn- und Pensionszahlungen entstanden sei sowie durch die weiter steigende Verschuldung. Es gehe nicht an, die heutigen Generationen im Elend leben zu lassen, obwohl Ressourcen zur Verfügung stünden. Zudem würden von heutigen Investitionen auch künftige Generationen profitieren. Doch die Entwicklungspartner mögen diesen Argumenten nicht folgen. Vielmehr sind sie der Ansicht, dass die Ursachen der schweren Finanzkrise genau identifizierbar sind. Sie liegen in der desaströsen und undurchsichtigen Haushaltsführung der Regierung.

Ab sofort gehen also die Einnahmen, die bis vor kurzem die Staatskasse füllten, in eine unbekannte Richtung, und die internationale Hilfe ist eingestellt. Die Weltbank hat sich bereit erklärt, zu diskutieren und gemeinsam mit den Behörden Mittel und Wege zu suchen, die Finanzkrise zu lösen, ohne das Gesetz 001 zu ändern. Die Regierung hat sich darüber hinweggesetzt – sie beruft sich auf die nationale Souveränität.

Viele BeobachterInnen sehen andere Motive für die Gesetzesänderung. Die Regierung braucht dringend Geld, um die nächsten Wahlen zu finanzieren. Die traditionellen Geldgeber wollen das nicht übernehmen, da es zwischen Regierung und Opposition keinen Dialog über freie und transparente Wahlen gibt. Ausserdem will die Regierung angesichts der zunehmenden Rebellion im Osten und der steigenden Spannungen mit dem Sudan militärisch aufrüsten.

Zurzeit ist es noch nicht möglich, die Auswirkungen der Sanktionen der Weltbank auf das Leben der TschaderInnen zu beurteilen. Womöglich haben die Mächtigen in N’Djaména einen Bluff versucht, ohne die Konsequenzen zu erwägen. Sämtliche Geldgeber werden dem Beispiel der Weltbank folgen. Und der Tschad riskiert gerade angesichts der aktuellen Probleme in den neuralgischen Bereichen der Gesundheitsversorgung und der Bildung noch schwierigere Zeiten zu durchleben.

* Y. BÉGOTO OULATAR ist Chefredaktor der tschadischen Wochenzeitung «N’Djaména Hebdo».

Aus: Wochenzeitung WoZ (Schweiz), Nr. 4, 26. Januar 2006;
im Internet: www.woz.ch



MODELL NOCH ZU RETTEN?
Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, sagt der ehemalige Weltbankvertreter im Tschad, der Schweizer Gregor Binkert. Er gesteht kleine Fehler ein und setzt auf Verhandlungen.

"Die härtesten Sanktionen"

Von Armin Köhli (Interview)

WOZ: Es heisst, dass Sie massgeblich an der Ausarbeitung des Gesetzes 001 beteiligt gewesen sind [vgl. Kasten]. Dann sind Sie wohl persönlich erschüttert durch die Änderungen, die das tschadische Parlament am Gesetz 001 einseitig vorgenommen hat?

Gregor Binkert: Nein, am Gesetz selber war ich nicht beteiligt, es wurde schon vor meiner Zeit im Tschad verfasst. Aber ich war an den Ausführungsbestimmungen des Gesetzes stark beteiligt. Es ging darum, alles zum Funktionieren zu bringen. Das Capacity Building im Finanzministerium, die Verbesserung der öffentlichen Ausgaben. Das lief sehr harzig. Dennoch gab es «süferli» gewisse Fortschritte. Früher gab es praktisch keinen Budgetprozess, der Tschad hatte ja auch kaum Einnahmen. Der Rest wurde durch ausländische Hilfe finanziert und kontrolliert.

War die Weltbank zu Anpassungen am Gesetz 001 nicht bereit?

Wir waren offen für Verhandlungen. Das Gesetz wurde ja 1998 diskutiert und 1999 unterzeichnet, lange bevor Erdöl gefördert wurde. Man hatte noch keine Erfahrung, das war weltweit erstmalig. 1998 gab es auch eine Table ronde. Die Regierung stellte allen internationalen Donatoren ihr Regierungsprogramm und speziell ihre Armutsbekämpfungsprogramme vor. Dort benannte die Regierung die vier Prioritätssektoren Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und ländliche Entwicklung. Das Gesetz 001 berief sich genau auf diesen Konsens der Table ronde. Das waren die Prioritäten der Regierung, nicht der Weltbank, und alle fanden das richtig.

Ab dem Jahr 2000 mussten praktisch alle Staaten, die von Entschuldungsaktionen profitiert und die Zahlungsbilanzhilfen bekommen haben, ein Strategiepapier zur Armutsbekämpfung ausarbeiten, das so genannte PRSP (Poverty Reduction Strategy Paper). Das war im Tschad ein interessanter Prozess, bei dem intensive nationale Konsultationen stattfanden. Viele Teams gingen in die entlegensten Dörfer. Sie veranstalteten Seminare zur Frage: Was ist Armut? Wo drückt der Schuh? Dann verdichtete man das zu einem Strategiepapier. Aus diesen Konsultationen wurde deutlich: Zur Reduktion der Armut braucht es mehr als Gesundheit, Bildung und so weiter. Ganz zentral ist beispielsweise auch die Infrastruktur. Grosse Teile des Tschad sind während sechs Monaten pro Jahr nicht zugänglich. Wenn es regnet, kommt man einfach nicht mehr durch. Sogar zu Fuss ist es schwierig. Gerade während der Ernte ist alles zu, und die Bauern können ihre Produktion nicht verkaufen. Gut, Infrastruktur gehörte bereits seit der Table ronde zu den Prioritätssektoren. Aber ein anderes zentrales Thema ist die Sicherheit. Im Tschad gibt es eine ganze Reihe ethnischer Konflikte, die häufig mit Landfragen und Weiderechten verbunden sind. Somit ist Sicherheit auch wichtig für die Armutsreduktion in den ländlichen Gebieten. Doch meint «Sicherheit» auch Ausgaben für das Militär? Sicherheit als Teil der Armutsbekämpfung bedeutet jedenfalls nicht, dass man gegen externe Regierungen Kriege führen kann. Und schliesslich gibt es noch die Frage der Gouvernanz, also das Problem der Korruption und der schlechten staatlichen Dienstleistungen. Dazu gehört auch eine gut funktionierende Justiz.

Und als dann 2004 die Erdölgelder zu fliessen begannen, wurde erneut über das Gesetz diskutiert?

Dass man die Prioritäten im Gesetz 001 an die neue Armutsreduktionsstrategie des PRSP anpassen müsste, war schon 2003 deutlich. Wir waren offen, das zu diskutieren. Was die Regierung auch zu den Prioritätssektoren rechnen wollte, und da waren wir ebenfalls offen, ist die zivile Administration in den Provinzen. Viele Provinzen wurden de facto mehr oder weniger vom Militär verwaltet. Der Militärkommandant war derjenige mit Auto; er war derjenige mit einem Funkgerät und so weiter. Der zivile Administrator war darauf angewiesen. Wenn er beispielsweise in die Hauptstadt weitergeben wollte: Die Militärs bauen Mist – dann musste er zum Militärkommandanten und bei ihm funken. Das zivile Gegengewicht in den Provinzen war meistens schwach. Darum leuchtet es mir auch ein, dass der Aufbau einer zivilen Verwaltung durchaus zur Armutsbekämpfungsstrategie gehört und durch Öleinkünfte finanziert werden soll. Dann kann man immer noch diskutieren, wie viel es dafür braucht – das ist die normale Budgetdebatte. Braucht es ein grosses Auto, oder reicht auch ein mittelgrosses, braucht es ein grosses Haus, oder reicht auch ein mittelgrosses?

Es gab im Gesetz auch Bestimmungen, die nicht durchdacht waren. Ein Beispiel: Das Gesetz sah vor, dass das Geld vom Sperrkonto in London an Kommerzbanken im Tschad überwiesen wird und nicht an die Zentralbank. Das ist natürlich unmöglich. Wenn sehr viel Geld kommt und der Staat das während beispielsweise sechs Monaten oder drei Jahren nicht braucht, dann würden die Kommerzbanken das Geld einfach weiterverleihen und dadurch die Inflation in fantastische Höhen treiben. Das Geld muss zur Zentralbank. Dann kann man die Liquidität managen. In den Ausführungsbestimmungen fanden wir einen Mechanismus, um dieses Problem zu lösen. Aber es wäre einfacher gewesen, das Geld direkt vom Sperrkonto aus an die Zentralbank zu überweisen.

Und dann wurden neue Ölvorkommen entdeckt?

Das Gesetz von 1998/99 beschränkte sich auf die drei Erdölfelder, die damals bekannt waren. In der Zwischenzeit hat man in der gleichen Region neue Felder gefunden. Die Einkommen aus diesen Feldern sind nicht durch das Gesetz 001 geregelt. Auch die NGOs haben immer wieder auf diese Lücke im Gesetz hingewiesen. Ich führte diese Diskussion vor allem mit dem damaligen Premierminister. Wir fanden einen recht guten Konsens, und das hat die Regierung auch schriftlich bestätigt. Sie sei einverstanden, die Einnahmen aus den neuen Erdölfeldern ebenfalls nach den Prinzipien des Gesetzes 001 zu verwalten. Aber die Prioritätssektoren sollen kohärent mit dem PRSP sein.

Wieso hat denn der Dialog trotzdem nicht funktioniert? Warum hat das Parlament das Gesetz einseitig geändert?

2004, das erste Jahr der Erdöleinnahmen, war ein schwieriges Jahr für den Tschad. Die Regierung und der Internationale Währungsfonds (IWF) konnten sich nicht auf ein neues Programm einigen, und der IWF hat sich faktisch zurückgezogen. Weil es keine IWF-Programme gab, konnte die EU zwanzig Millionen Euro an Zahlungsbilanzhilfe nicht auszahlen. Die Weltbank konnte den geplanten Strukturanpassungskredit nicht auszahlen. Der gesamte Nichterdölanteil des Budgets 2004 ist kollabiert. Das löste massive soziale Spannungen aus. Trotzdem hat sich die Regierung an das Gesetz 001 gehalten. Der IWF kam zwar 2005 wieder zurück, aber diese Spannungen liessen sich nicht so einfach lösen.

Zweitens kamen mit dem Erdöl viele – schon lange vorhandene – Ambitionen hervor. Und drittens gibt es Spannungen wegen des Darfurkonflikts im benachbarten Sudan. Das ist wahrscheinlich die grösste Ursache der Probleme. Je länger dieser Konflikt nicht gelöst ist, umso schwieriger wird es für den Tschad. All die humanitären Probleme, die es jetzt im Osten gibt – laut Gesetz darf man nichts vom Erdölgeld für humanitäre Aktionen ausgeben, für die Flüchtlinge und für andere Aufgaben, die die internationale Gemeinschaft nicht finanziert. Dazu kommt, dass sich Déby selber massiv unter Druck gesetzt hat, weil er ein drittes Mandat als Präsident will.

Dafür braucht er Geld?

Ja, aber schlimmer sind die internen Spaltungen innerhalb der Regierungspartei, weil viele sagten, es war Teil der Abmachungen mit Déby, dass er sich nur für zwei Mandate zur Verfügung stellt. Die Spaltungen reichen tief in den Clan von Déby hinein. Diese Spaltungen und der Darfurkonflikt haben den Tschad in eine schwierige Lage gebracht.

Der tschadische Ölminister fordert unterdessen, dass der Erdölkonzern ExxonMobil den tschadischen Anteil an den Erdöleinnahmen direkt und nicht mehr auf das Sperrkonto in London überweist – oder die Förderung ganz einstellt.

Alle Abkommen, die Exxon auch unterschrieben hat, gelten weiter. Einzig das bilaterale Abkommen Tschad–Weltbank ist ein Problem. Im Projektabkommen, dem Vertrag zwischen der Weltbank und dem Tschad, verpflichtete sich der Tschad, das Gesetz 001 nicht substanziell zu verändern, ohne sich mit der Weltbank abzusprechen. Details wären immer möglich gewesen, aber was jetzt gelaufen ist, ist eine substanzielle Änderung. Die einseitige Änderung hat also den Vertrag zwischen der Regierung und der Weltbank infrage gestellt.

Das Projektabkommen ist aber nicht einklagbar. Worauf basieren die Sanktionen der Weltbank?

Wo soll man auch klagen und mit welchem Ziel? Flugzeuge beschlagnahmen lassen von einer Fluggesellschaft, die es gar nicht gibt? Die Sanktionen, die die Weltbank jetzt gewählt hat – alle Projekte und Auszahlungen zu stoppen und das Londoner Konto zu sperren –, sind die härtestmöglichen vor dem definitiven Bruch mit dem Tschad. Das klare Argument der Weltbank lautet: Entweder hat man gemeinsame Ziele, oder man hat sie nicht. Ein Gesundheits- oder Strassenprojekt kann das Ziel der Armutsreduktion nicht erreichen, wenn der grössere Rahmen nicht stimmt. Aber das Ziel ist weiterhin, durch Verhandlungen eine neue Lösung zu finden.

Die einseitige Änderung von Gesetz 001 ist für die Weltbank der schlimmste denkbare Fall. Und das in einem Modellprojekt. Was lernt die Weltbank daraus?

Ich bin sicher, dass das letzte Kapitel noch nicht geschrieben ist. Darum will ich auch noch nicht zu viele Lektionen daraus ziehen. Es hängt auch viel davon ab, wie sich der komplizierte Darfurkonflikt entwickelt. Neben den internen Dimensionen kommen dort Grossmachtsinteressen dazu. Die Frage ist auch, wie viel Druck Exxon macht. Im Detail lernen wir schon einiges daraus. Wie müssten solche Gesetze in anderen Fällen verfasst werden? Damit es etwas mehr Flexibilität gibt, damit es etwas kohärenter ist.

Man glaubte, der Tschad als armer Staat könne sich den Bruch mit der Weltbank nicht leisten.

Wir sind noch nicht am Ende angekommen. Vielleicht kann man wieder einen akzeptablen Kompromiss finden. Wenn Ende 2006 immer noch alles schief ist, muss man natürlich andere Schlussfolgerungen ziehen. Lassen Sie uns in einem Jahr noch einmal darüber diskutieren.

* GREGOR BINKERT: Der 49-jährige Schweizer Binkert leitete das Büro der Weltbank im Tschad von Oktober 2001 bis September 2004, also unmittelbar vor und während der ersten Erdölexporte. Heute arbeitet er als Chefökonom der Weltbank für die Region Afrika in Moçambique. Vor seiner Zeit im Tschad arbeitete er dreieinhalb Jahre im Schweizer Büro bei der Weltbank in Washington. Binkert hat in den USA Entwicklungsökonomie studiert.


DAS GESETZ 001

Grundlage für das Engagement der Weltbank ist das tschadische Gesetz 001. Es schreibt vor, dass 80 Prozent der Gelder, die im Tschad ankommen, für Armutsreduktion eingesetzt werden. Und zwar in den «Prioritätssektoren » Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und ländliche Entwicklung. 15 Prozent der 90 Prozent gehen an das normale Budget des Staates für die Verwaltung (inklusive Militär). 5 Prozent gehen direkt an die Förderregion Logone Orientale. Durch diese Region führt auch die Exportpipeline.

Ein unabhängiges Gremium überprüft die 80 Prozent für die Prioritätssektoren und die 5 Prozent für die Entwicklungsregion. Kommerzbanken dürfen nicht auszahlen, wenn nicht die Bewilligung von diesem Collège de contrôle et supervision des ressources petrolières vorliegt. Die Überweisung von London nach N’Djaména hingegen muss vom Collège nicht bewilligt werden.

Die vom tschadischen Parlament Ende Dezember 2005 einseitig beschlossene Änderung reduziert die 80 Prozent für die Prioritätssektoren auf 65 Prozent. Dafür wird der Anteil für die allgemeine staatliche Verwaltung vergrössert. Gleichzeitig wird die Definition der Prioritätssektoren ausgeweitet. Insbesondere werden die Zivilverwaltung darin aufgenommen sowie die Sicherheitssektoren und die Justiz. Zusätzlich wird der Fonds für künftige Generationen abgeschafft.


WIE FLIESST DAS GELD?

Der Erdölkonzern ExxonMobil überweist den tschadischen Teil der Erdöleinnahmen auf ein Sperrkonto bei der Citibank in London. Dort wird zuerst der Schuldendienst für die Weltbank und für die Europäische Entwicklungsbank abgezogen. Erst dann hat der Tschad indirekt Zugriff auf das Geld. Zuerst werden 10 Prozent direkt für einen Fonds für künftige Generationen abgezogen. Dieses Geld bleibt auf einem Spezialkonto in London.
Die restlichen 90 Prozent werden an die Zentralbank im Tschad überwiesen. Von dort aus erhalten die Kommerzbanken – je nach Liquiditätsbedürfnis – Geld. Die staatlichen Ausgaben laufen über die Kommerzbanken. Seit Mitte Januar fliesst kein Geld mehr: Die Weltbank hat das Konto in London gesperrt, weil der Tschad Kreditabkommen gebrochen habe.



Aus: Wochenzeitung WoZ (Schweiz), Nr. 4, 26. Januar 2006;
im Internet: www.woz.ch



Showdown

Jetzt kämpfen beide Seiten mit höchstem Einsatz: Weltbank-Chef Paul Wolfowitz und der tschadische Präsident Idriss Déby. Wolfowitz verteidigt dabei das Prestige der Weltbank, doch das «Modellprojekt» im Tschad ist bereits grandios gescheitert. Die Weltbank wollte beweisen, dass der Abbau natürlicher Ressourcen in einem verarmten Land - das begehrte Erdöl – der lokalen Bevölkerung zugute kommen kann und die entsprechenden Einnahmen die masslose Armut zu lindern vermögen. Ein Weltbankkredit bildete die Grundlage für ein komplexes Vertragswerk zwischen dem Tschad, der Weltbank und dem Förderkonsortium unter Führung des US-Ölriesen Exxon-Mobil. Eine Kampagne tschadischer und internationaler Menschenrechts- und Umweltgruppen vermochte damals alle Beteiligten unter massiven Druck zu setzen und trug zu den strengen Regeln für die Verwendung des Ölgeldes bei. Doch die grundsätzliche Frage, ob ein autoritäres, korruptes Regime wie jenes von Déby in der Lage und willens ist, die Armut wirklich zu bekämpfen, stellte sich die Weltbank nicht. Nun, kaum anderthalb Jahre nachdem das erste Geld im Tschad eingetroffen ist, hat die Regierung den Schlüssel zur Verwendung der Erdöleinnahmen einseitig geändert. Débys Regime kämpft ums Überleben, innere und äussere Konflikte setzen ihm zu. Da braucht es mehr Geld, und zwar subito.

Déby hat sich gründlich verrechnet. Und die Weltbank ebenfalls. Die tschadische Gesetzesänderung zeichnete sich seit Monaten ab, und die Weltbank hat kaum darauf reagiert. In der Bank war man wohl vor allem mit sich selber beschäftig, nämlich mit dem Einzug des neuen Chefs Wolfowitz. Der reagierte erst nach der einseitigen Massnahme des Tschad, dafür aber ultrahart: Die Weltbank sperrte sämtliche Ölgelder des Tschad. Ohne diese Gelder ist der Fall von Débys Regime eine Frage von einigen Monaten, auch wenn es sich durch die Vergabe neuer Schürfkonzessionen an einen taiwanesischen Konzern ein paar Millionen gesichert hat. Faktisch heisst das: «Regime Change» durch die Weltbank. Der ehemalige US-Vizeverteidigungsminister Wolfowitz bleibt bei seinen Methoden.Und verliert dabei die strategischen Interessen der USA an der Erdölregion nicht aus den Augen.

Tschadische Basisgruppen und Oppositionsparteien begrüssen die Härte der Weltbank. Dabei sind die TschaderInnen sowieso erst mal die VerliererInnen. Denn die internationale Finanzhilfe und die meisten Armutsbekämpfungsprojekte sind suspendiert. Das noch vorhandene Geld wird primär ans Militär gehen. Déby, der sich in eine antikolonialistische Pose wirft, wird, zumindes zumindest vordergründig, kriechen müssen. Die Weltbank wird – es geht ja ums Prestige – dann doch Kompromisse eingehen. Oder Déby wird fallen. Was andere Regierungen aus dem «Modell» Tschad lernen können, wird sich dann weisen. Die Weltbank meiden? Oder – falls es doch zu einem Kompromiss zu Débys Gunsten kommt – sie einbeziehen, aber nicht allzu ernst nehmen?

Den Kampf entscheiden könnte am Ende Exxon Mobil. Und dieser Konzern hat seinen Sitz in Houston, Texas. Das liegt nicht so weit entfernt von Wolfowitz’ früherem und heutigem Arbeitsort Washington.

Armin Köhli

Aus: Wochenzeitung WoZ (Schweiz), Nr. 4, 26. Januar 2006;
im Internet: www.woz.ch



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