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Unter falscher Flagge

Ehemalige Kolonialmacht Frankreich dominiert die EUFOR in Zentralafrika: Was geschieht, wenn es zu Kämpfen zwischen Tschad und Sudan kommt?

Von Gerd Schumann *

Laut Plan sollte die EUFOR in Tschad und der Zentralafrikanischen Republik (RCA) am heutigen Montag ihre Sollstärke von 3700 Soldaten erreicht haben. Daraus wird nichts. Letzten Meldungen zufolge liegt der aktuelle Stand bei knapp 2400. Nicht nur deswegen steckt der jüngste, bereits mehrfach verschobene EU-Militäreinsatz im Schlamassel: Derzeit warnen Vereinte Nationen und Afrikanische Union (AU) eindringlich vor kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Sudan und Tschad.

Die mutmaßlich von der tschadischen Regierung gesponserte Darfur-Rebellenorganisation »Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit« (JEM) hatte am 10. Mai die sudanesische Hauptstadt Khartum angegriffen und war erst nach schweren Kämpfen von der regulären Armee zurückgeschlagen worden. Kurz danach kündigte ein JEM-Vertreter weitere Attacken an. Sudan brach die diplomatischen Beziehungen zum Tschad ab. Der AU-Sicherheitsrat zeigte sich »äußerst besorgt«, und UN-Untergeneralsekretär Jean-Marie Guéhenno kommentierte: »Wegen der zunehmend unbeständigen Situation an der Grenze zwischen Tschad und Sudan verschlechtert sich die Sicherheitslage in Darfur rapide.«

Die »unbeständige Situation« tangiert die EUFOR-Truppe direkt. Diese soll nahe der westsudanesischen Krisenprovinz in den Grenzregionen des Ost-Tschad und der Nord-RCA eine 300köpfige internationale Polizeitruppe schützen. Die wiederum soll laut Resolution 1778 des UN-Sicherheitsrates 850 einheimische Polizisten auswählen und ausbilden, die ihrerseits zum Schutz diverser Flüchtlingslager mit etwa 400000 Menschen vorgesehen sind. Soweit der UN-Plan vom 25.9.2007, in dem der EUFOR die Funktion zufällt, das Vorhaben militärisch abzusichern.

Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun - und das im wesentlichen aus zwei Gründen. Der eine betrifft grundsätzlich die Realisierbarkeit der gestellten Aufgabe. Sie wurde bereits vor ihrem offiziellen Beginn im November 2007 angezweifelt, und das nicht nur von militärischen und entwicklungspolitischen Experten. Demzufolge sei es unmöglich, eine riesige Fläche wie die vorgesehene, die sich über Tausende Kilometer vom libyennahen Nordost-Tschad bis in die RCA-Provinzhauptstadt Birao erstreckt, zu kontrollieren. Auf dem mit Rohstoffen gespickten Boden agieren neben der tschadischen und zentralafrikanischen Armee mehrere Rebellenorganisationen sowie eine Vielzahl krimineller Gruppen.

Der zweite Ablehnungsgrund erschüttert die Glaubwürdigkeit der UN-Argumentation, wonach es sich bei EUFOR um eine »Schutztruppe« handelt, noch gravierender. Jede europäische Streitmacht wird aus historischer Erfahrung auf dem afrikanischen Kontinent zwangsläufig als Kolonialarmee wahrgenommen; und das nicht nur, weil »EUFOR Tschad/RCA« - so die offizielle Bezeichnung - wie 2003 und 2006 bereits »EUFOR RD Congo« von Frankreich dominiert wird. Jeglicher militärischer Einsatz Europas - und auch der USA - ist vom imperialistischen Charakter seiner Träger geleitet. Die Bombardierung Khartums 1998 durch die Pentagon-Airforce wird in Sudans Hauptstadt ebensowenig vergessen werden, wie das mehrfache Eingreifen der Pariser Fremdenlegionäre in Tschad und RCA.

Im Fall seiner ehemaligen Kolonien geht es Frankreich aktuell einerseits um die Sicherung seines nahezu uneingeschränkten Einflusses auf die Regierungen in N'Djamena und Bangui: In den vergangenen anderthalb Jahren befolgten sowohl RCA-Präsident Francois Bozizé als auch dessen tschadischer Kollege Idriss Déby mehrfach französische Anweisungen nicht. Sie tanzten ausgerechnet bei so sensiblen Themen wie Öl und Uran und der Verfügungsgewalt darüber, die bis dato weitgehend bei den französischen Öl- und Energieriesen Total und Areva gelegen hatte, aus der Reihe.

Andererseits versucht Frankreich, seine Herrschaft über die strategisch wichtige Achse Tschad--RCA in der Mitte Afrikas zu sichern, gelegen zwischen den Bodenschatzkammern von Darfur und der Große-Seen-Region. Mit EUFOR verdoppelt sich dort das Kontingent französischer Soldaten. Bisher war Paris in Tschad und der RCA mit etwa 1500 Soldaten präsent. Von den geplanten 3700 ­EUFOR-Kämpfern stellt Frankreich allein 2100, von denen allerdings ein Teil von den derzeit im Tschad befindlichen Truppen kommen soll. Kommandiert werden sie vor Ort vom französischen General Jean-Philippe Canascia, der 150köpfige Führungsstab sitzt in Mont Valérien nahe Paris. Großbritannien, Deutschland und Italien zeigten angesichts der absehbaren Dominanz Frankreichs kein gesteigertes Interesse, Hilfstruppen zu schicken. Das übernahmen Irland, die Niederlande, Österreich, Rumänien und Schweden. Auch Belgien, Finnland, Griechenland und Spanien haben Unterstützung zugesagt. Berlin beteiligt sich mit Geld (20 Millionen Euro) und vier ins Pariser Hauptquartier Entsandten.

Daß Frankreich über seine gewachsene Präsenz auch stärker mitmischen will im Wettlauf um die reichhaltigen Ölvorkommen Sudans, liegt auf der Hand. Diesbezüglich könnte sich für das EUFOR-Kontingent auf dem Hintergrund des aktuellen Konflikts zwischen N'Djamena und Khartum jederzeit eine Schicksalsfrage stellen: Halten sich die französischen Soldaten, die in den ehemaligen Kolonien stationiert sind, heraus, falls es zum Krieg kommt? Bisher standen sie immer Gewehr bei Fuß, wenn es galt, ihren Präsidenten Déby zu verteidigen. Und das erst recht, wenn es gegen Khartum geht.

* Aus: junge Welt, 19. Mai 2008


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