Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Pariser Schadensbegrenzung mit wirtschaftlichen Hintergedanken

Frankreich sorgt sich um Zugang zu Rohstoffquellen und Militärbeziehungen zu Tschad

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Die Affäre um den Versuch einer französischen Hilfsorganisation, mehr als 100 Kinder aus einem Lager von Darfur-Flüchtlingen in der Republik Tschad auszufliegen und Familien in Frankreich anzuvertrauen, weitet sich zum politischen Skandal aus.

Will man es positiv sehen, handelt es sich bei der Organisation »Arche de Zoé« um eine Gruppe von entschlossenen, aber unerfahrenen und naiven Idealisten, die die Hilflosigkeit der internationalen Öffentlichkeit und die Tatenlosigkeit von UNO und westlichen Regierungen angesichts des Bürgerkrieges, der Massenmorde und Vertreibungen in der Darfur-Region nicht länger hinnehmen wollten. Die Helfer hatten seit Monaten angekündigt, dass sie mehrere tausend Waisenkinder nach Europa in Sicherheit bringen wollten. Ob die von ihnen dafür eingesammelten Spenden wirklich nur humanitären Zwecken dienten oder ob auch merkantile Interessen mitspielten, werden die Ermittlungsverfahren, die jetzt in Tschad und in Frankreich laufen, zeigen. Es stellte sich bereits heraus, dass fast alle der betroffenen Kinder keine Flüchtlinge aus der sudanesischen Darfur-Region sind, sondern aus Tschad selbst stammen. Zudem sind die meisten von ihnen auch keine Waisen.

Bevor das gecharterte Flugzeug am vergangenen Donnerstag in der Provinzstadt Abéché im Osten Tschads mit der ersten Gruppe – 81 Jungen und 22 Mädchen, die meisten zwischen drei und sechs Jahren alt – abheben konnte, um sie zu den schon auf dem französischen Provinzflughafen Vatry wartenden Familien zu bringen, wurde die Aktion zum Fiasko. Auslöser für das Eingreifen der Polizei war wohl das französische Außenministerium, das seit Monaten über die Pläne der Organisation Bescheid wusste und versucht hatte, die Verantwortlichen von dem Vorhaben abzubringen. Im letzten Augenblick gab es einen Wink an die Regierung in N’Djamena.

Nach dem Signal aus Paris wurden die sechs Verantwortlichen von »Arche de Zoé«, aber auch drei französische Journalisten, die über die Aktion berichten wollten, und die sieben spanischen Besatzungsmitglieder der Chartermaschine verhaftet. Am Mittwoch wurde zudem der belgische Pilot der Gruppe unter Anklage gestellt und inhaftiert. Die neun Franzosen stehen jetzt unter der Anklage der Kindesentführung und des Betruges, den Spaniern wird Beihilfe vorgeworfen. Ihnen allen drohen Haftstrafen von bis zu 20 Jahren. Der Präsident Tschads, Idriss Déby, der in Begleitung zahlreicher Journalisten in Abéché aufgetaucht war, verglich die Evakuierungsaktion der Hilfsorganisation mit dem Sklavenhandel der Kolonialmächte. Er bezichtigte die Festgenommenen sogar der Zusammenarbeit mit Pädophilenringen und des geplanten Organhandels.

Diese maßlose Polemik hat selbst jene renommierten französischen Kinderhilfsorganisationen empört, die die unverantwortliche Aktion von »Arche de Noé« scharf verurteilen und schwerwiegende Konsequenzen für die seriöse Hilfstätigkeit befürchten. Sie erinnern daran, dass sich Präsident Déby bisher herzlich wenig um das Schicksal der Flüchtlingskinder in seinem Land gekümmert hat und in die Milizen, die seine Macht stützen, tausende Kindersoldaten gepresst wurden. Dagegen stellte sich die französische Regierung und vor allem die Staatssekretärin für Menschenrechtsfragen, Rama Yade, die den Krisenstab des Außenministeriums leitet, sofort an die Seite von Präsident Déby. In einem Telefonat mit Idriss Déby bezeichnete auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die Aktion als »rechtswidrig und inakzeptabel«.

Der Eifer, sich von den eigenen Bürgern im Ausland demonstrativ zu distanzieren, hat in Frankreich zunächst Verwunderung ausgelöst. Tatsächlich jedoch sind die Motive klar. Paris hat gewichtige außenpolitische und wirtschaftliche Interessen in der Republik Tschad, einem der ärmsten Staaten Afrikas, der aber über Erdöl und andere Bodenschätze verfügt. Außerdem sind in dem Land 1000 französische Militärs stationiert, die vor Jahren Tschads Präsidenten vor einem Staatsstreich gerettet haben und die bei Bedarf auch anderen befreundeten Staatschefs in Afrika zu Hilfe kommen sollen. Vor allem jedoch stellt Paris im November die Hälfte des europäischen Militärkontingents Eufor, das im Osten Tschads und im Norden der Zentralafrikanischen Republik im Auftrag der UNO mit 3000 Soldaten die Hilfe für die Darfur-Flüchtlinge absichern soll. Präsident Déby hat dem zwar offiziell zugestimmt, aber intern durchblicken lassen, dass er entsprechende Kompensationen in Form von Finanzhilfe und Waffenlieferungen erwartet.

Wie sehr die versuchte Evakuierung durch »Arche de Zoé« die komplizierten Beziehungen und Verhandlungen zwischen N’Djamena und Paris gestört hat, zeigte sich in dem Eifer, mit dem Tschads Präsident Déby das Thema aufgriff und medienwirksam für sich instrumentalisierte. Aber auch der tschadische Oppositionsführer Yorongar Ngarlejy äußerte sich empört: »Während Frankreich neue drakonische Einreisebestimmungen einführt, darunter ein DNA-Test als Bedingung für ein Visum, kommt ein Flugzeug nach Abéché und will 103 Kinder nach Frankreich holen – ohne ein einziges Papier.«

* Aus: Neues Deutschland, 1. November 2007


Zurück zur Tschad-Seite

Zur Frankreich-Seite

Zurück zur Homepage