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Truppen für den Diktator

Tschad: Während der EU-Militäreinsatz vorläufig gestoppt wird, schickt die ehemalige Kolonialmacht Frankreich Elitesoldaten. Rebellen marschieren auf N`Djamena

Von Gerd Schumann *

Noch bevor die am Mittwoch offiziell gestartete EU-Militärintervention im Tschad richtig angelaufen ist, steht sie zur Disposition. Am Freitag wurde die weitere Stationierung des auf 3700 Soldaten ausgelegten Kontingents von Brüssel gestoppt. Drei Flüge mit Soldaten aus Österreich und Irland fielen aus – »verschoben«, hieß es zwar im Hauptquartier des vom UN-Sicherheitsrat gestützten »robusten Einsatzes«. Doch könnte sich die zur Schau gestellte Zuversicht des in Mont Valérien bei Paris angesiedelten EUFOR-Oberkommandos schnell als Zweckoptimismus herausstellen.

Im Tschad bewegen sich Tausende Untergrundkämpfer seit Mitte der Woche in Richtung der Hauptstadt N`Djamena. Am Donnerstag passierten sie die Stadt Ati, einen geostrategisch wichtigen Knotenpunkt 250 Kilometer östlich von N`Djamena, gelegen auf dem Hauptverbindungsweg zwischen Hauptstadt und Abéché im Osten des Landes, nahe der Basis für den EU-Einsatz und nahe der Grenze zur sudanesischen Krisenprovinz Darfur. Bereits am Freitag, so ein Korrespondent des Radiosenders France Info, hatten sich die Rebellen N`Djamena bis auf 50 Kilometer genähert, und es kam es dann zu ersten Gefechten mit Regierungstruppen. Geheimdienstberichten zufolge hätten sich »Tausende Rebellen« auf den Weg gemacht, die Hauptstadt zu besetzen.

Dieses wiederum führte zu hektischen Mobilisierungsmaßnahmen der im Tschad stationierten französischen Truppen: Die ehemalige Kolonialmacht, die derzeit mit etwa 1300 Soldaten in dem an Bodenschätzen reichen Land vertreten ist, verstärkte am Freitag seine Truppen um rund 150 Mann. Paris’ kriegerische Reaktion auf die Rebellenoffensive war absehbar: Bereits im April 2006 war der Sturz von Idriss Déby, Tschads Präsident, nur mit Hilfe von französischen Elitetruppen verhindert worden. Auch damals rückten Aufständische auf die Hauptstadt vor, um den Diktator abzusetzen. Ohne die logistische Unterstützung durch die Trikolore-Truppe mit Kampfflugzeugen wäre Déby nicht zu retten gewesen.

Dieser gilt nicht erst seitdem als zuverlässiger Freund der ehemaligen Kolonialherrschaft und unterhält beste Beziehungen nach Paris, auch was Ölgeschäfte angeht. Zuletzt befand sich Déby im völligen Gleichkang mit dem EU-Vorhaben, für zunächst ein Jahr 3700 EUFOR-Soldaten im Osttschad zu plazieren: Mit ihnen, so sein Kalkül, würde er diverse innenpolitische Gegner kleinhalten und möglichst sogar vernichten können.

Das war zumindest den Aufständischen der UFDD (Vereinte Kräfte für Demokratie und Entwicklung) bewußt, eine der vier großen Rebellentruppen. Sie empfand die EUFOR-Truppe, dessen Gros mit 2 100 Mann von Frankreich gestellt wird, offensichtlich als Feind und kündigte folgerichtig Ende November, als die EU-Einmischung in Tschad absehbar wurde, eine Waffenruhe mit der Tschad-Regierung auf. Auf eine solche hatten sich beide Seiten am 25. Oktober während der Darfur-Verhandlungen in der libyschen Hafenstadt Sirte verständigt. Und seit die EU ihre »Schutztruppe« am Montag schließlich billigte, rückten aus dem südlichen Tschad mehrere Rebellengruppen mit schwerem Geschütz auf N’Djamena vor –ihre Antwort auf das Zusammenspiel zwischen ehemaliger Kolonialmacht und deren Statthalter Déby.

Die europäische Militärintervention befördert so den innertschadischen Krieg und trägt zur weiteren Destabilisierung der Region bei – wohlgemerkt: inklusive Darfur! Der vorgebliche Auftrag, Hunderttausende Flüchtlinge im Grenzgebiet zu Sudan »zu schützen«, verkehrt sich in sein Gegenteil. Hilfsorganisationen verließen am Freitag fluchtartig die Region. Und die Kolo­nialmacht Frankreich schickte Kampftruppen. In dem Mandat, das die EUFOR vom UN-Sicherheitsrat erhalten hat, ist von einem Einsatz gegen die Rebellen freilich keine Rede.

* Aus: junge Welt, 2. Februar 2008


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