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Mit der EU in den Tschad

Frankreich drängt auf militärisches Eingreifen in den grenznahen Regionen zu Darfur. Stärkerer Einfluß auf die Entwicklung im ölreichen Sudan als Ziel

Von Gerd Schumann *

Den wichtigsten Vorschlag unterbreitete China. Die Beseitigung der Armut sei ein schlüssiges Konzept, um die Sudan-Krise zu bewältigen – so jüngst der Vertreter Pekings auf der Pariser »Darfur-Konferenz« in Paris. Er konterkarierte damit die seit 2003, als es zu ersten Kämpfen in der sudanesischen Westprovinz kam, geführte Debatte um Sanktionen und militärische Optionen der »Weltgemeinschaft«. Und er blieb damit auf sich gestellt. Konferenzgastgeber Frankreich, eine der vormaligen Kolonialmächte in der Region, fiel in den westlichen Chor aus Drohungen gegen die Regierenden in Khartum ein. Nicolas Sarkozy: »Wenn sie sich widersetzen, werden wir entschlossen bleiben müssen. Es gibt Opfer und Verantwortliche.«

Besuch in Paris

Das war am 25. Juni. Gut zwei Wochen später setzte Frankreichs Präsident als seinen Beitrag, Druck auf den Sudan auszuüben, den Tschad als zukünftigen Stationierungsort von EU-Truppen auf die internationale Agenda. Die Argumente für ein militärisches Eingreifen hatte zuvor Bernard Kouchner, Sarkozys Außenminister und 1971 Mitgründer von Médecins sans frontières (MSF, Ärzte ohne Grenzen), geliefert. Es gehe um die mehr als 300 000 Flüchtlinge aus dem Sudan sowie aus unsicheren Gebieten des Tschad selbst, die grenznah zum Darfur auf tschadischem Boden leben – unterversorgt und ständig in Gefahr, von bewaffneten Banden überfallen zu werden. Kouchner nutzte seine durch das MSF-Engagement in Afrika aufgebaute Reputation in Sachen humanitärer Hilfe. Die politisch-militärische Komponente ins Gespräch zu bringen, blieb seinem Chef vorbehalten. Dieser empfing am Mittwoch vergangener Woche Javier Solana, den EU-Außenbeauftragten, und beriet Konkreteres. Demnach soll die als »Friedenstruppe« deklarierte EU-Militärmission, deren Truppenstärke noch nicht öffentlich diskutiert wird, »rund sechs Monate bis zur Ankunft einer UN-Polizeitruppe in der Region« bleiben. Derzeit versucht Paris, sein Vorhaben auf diplomatischer Ebene blitzschnell unter Dach und Fach zu bringen. So erklärte der französische UN-Botschafter Jean-Marc de La Sabliere am Wochenende, Ziel Frankreichs sei es, bis Ende Juli und mit der Zustimmung des Tschad bei der EU und den UN zu einem Beschluß zu kommen.

Der UN-Sicherheitsrat beriet dazu erstmals am Freitag (13. Juli) – ohne Ergebnis. Am kommenden Donnerstag empfängt Sarkozy im Elysee-Palast Idriss Déby, der mehr ist als einfach nur sein tschadischer Amtskollege: Er schuldet Paris ewigen Dank, weil die in der zentralafrikanischen Republik stationierten französischen Elitetruppen im April 2006 seinen Sturz verhinderten. Damals rückten Aufständische auf die Hauptstadt N'Djamena vor, um den Diktator abzusetzen. Ohne die logistische Unterstützung durch die über 1200 französischen Elitesoldaten inklusive des Einsatzes von Kampfflugzeugen wäre der Präsident nicht zu retten gewesen. Er gilt allerdings nicht erst seitdem als zuverlässiger Freund der ehemaligen Kolonialherrschaft und unterhält beste Beziehungen nach Paris auch was Ölgeschäfte angeht. Aktuell mag ihm Sarkozys Plan, eine bewaffnete EU-Truppe in Darfur-nahen Gebieten zu plazieren, besonders gefallen und kommt seinem Interesse entgegen, dort aktive innenpolitische Gegner kleinzuhalten und möglichst zu vernichten.

Hybridtruppe nach Darfur

Sarkozy seinerseits strebt nach größerem internationalen Gewicht – in Europa ebenso wie im Verhältnis zu den USA. Diesem Ziel könnte der Tschad formidabel dienen. Von dort aus kann auf die Entwicklung im ölreichen Sudan besser Einfluß genommen werden, zumal in Tschads Nachbarland wichtige Ereignisse bevorstehen. Insbesondere nimmt der UN-Einsatz in Darfur konkret Gestalt an. Aus der derzeit stationierten AMIS-Mission der Afrikanischen Union (AU) mit 7000 Soldaten soll eine »Hybridtruppe« aus AU- und außerafrikanischen anderen UN-Mitgliedern unter der Bezeichnung UNAMID mit knapp 26000 Soldaten und Polizisten werden – unter besonderer Berücksichtung der US-geführten ­NATO. Bis Anfang 2008 soll die Truppe stehen, der eine Schlüsselrolle bei den Auseinandersetzungen um die zukünftige Gestalt des Sudan zukommt: Spätestens 2011 soll in einem Referendum über die Eigenständigkeit des ölreichen Südsudan abgestimmt werden.

Dem imperialistischen Charakter jedes NATO-Staates entspricht es, bei der zu erwartenden Machtaufteilung mitzumischen. Das erzeugt auch Mißtrauen untereinander, und Frankreichs Tschad-Plan sorgte sowohl in der EU als auch bei den Vereinten Nationen für »leichte Irritationen« (FAZ). Die Bedeutung der UNAMID könnte leiden, hieß es. Auch Berlin zeigte sich verschnupft und verkündete, sich im Tschad nicht mit Soldaten beteiligen zu wollen. Bei der Begegnung von Angela Merkel mit Sarkozy am gestrigen Montag sollte das Thema ausgeklammert bleiben. Von der Agenda der EU-Außenminister am 23. Juli indes wird es sich wohl nicht mehr verdrängen lassen. Vom Kampf gegen die Armut – oder anderen zivilisierten Lösungen – wird indes nicht geredet werden.

* Aus: junge Welt, 17. Juli 2007


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