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Thais fordern: Respektiert meine Stimme!

Thailands "Demokraten" wollen Wähler an der Ausübung ihres demokratischen Rechts hindern

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Nach monatelangen Protesten gegen die Regierung soll in Thailand am Sonntag – gegen den Widerstand der Protestierenden – ein neues Parlament gewählt werden.

Eine alte und eine neue Elite – beide versuchen die schwächelnde Monarchie auszunutzen – kämpfen um die Macht in Thailand, während die Masse der Bevölkerung Reformen, Transparenz und das Ende der Korruption wünscht. Jetzt hängt selbst die unvollkommene Demokratie des Landes am seidenen Faden. Obschon die Wahlen am Sonntag eine Farce sind, scheinen sie der einzige Weg, um demokratische Prinzipien zu retten und Thailand vor der Herrschaft von Demagogen oder der Rückkehr zur Militärherrschaft zu bewahren.

Nach dramatischen Wochen mit Protesten in Bangkok, blockierten Kreuzungen und Anschlägen, nachdem Protestführer Suthep Thaugsuban bereits mehrfach verkündet hat, der »Triumph über das Regime« stehe kurz bevor, kommt es am Sonntag beim Versuch, vorgezogene Wahlen abzuhalten, zum nächsten Kräftemessen zwischen Regierung und Opposition. Versuch deshalb, weil Suthep die Massen aufgerufen hat, die Straßen zu verstopfen und Autos wild zu parken, damit Wahlwillige an der Stimmabgabe gehindert werden. Die Wahllokale selbst will er nicht belagern lassen, allerdings hat er den militanten Flügel der Regierungsgegner keineswegs unter Kontrolle. Auch die mildere Form der Aggression, Thailands Bevölkerung das Stimmrecht zu verwehren, dürfte jedoch am Sonntag in Bangkok und Teilen des oppositionellen Südens für einzelne Gewaltaktionen sorgen. Dagegen werden landesweit 200 000 Polizisten aufgeboten.

Sutheps »Demokratisches Reformkomitee des Volkes« (PDRC) zog sich in diesen Tagen auch Kritik aus dem Ausland zu. Die EU appellierte an die Opposition, Menschen nicht an der Ausübung ihrer demokratischen Rechte zu hindern. Thailänder fordern vielerorts mit Kerzen in der Hand »Respect my vote« – »Respektiert meine Stimme!« Doch für Suthep sind es »Ungebildete«, die das Wahlrecht nicht verdienen.

Trotz Boykotts der Opposition, trotz Mangel an Programmen und Debatten: Die Partei Puea Thai (Für Thais – PTP) unter der amtierenden Regierungschefin Yingluck Shinawatra steht vor einem sicheren Sieg, genauer einem Wahlsieg auf Raten. Denn in etlichen Bezirken konnten sich keine Kandidaten registrieren lassen, andernorts bleiben die Wahllokale wegen Blockaden geschlossen. Werden nicht mindestens 95 Prozent oder 475 der 500 Parlamentsmandate vergeben, würden bis zu drei Nachwahlen fällig, was sich über ein halbes Jahr hinziehen kann – juristische Schlachten um die Legitimität des Urnengangs noch nicht berücksichtigt. Suthep lachte diese Woche über Wahlen, die sowieso annulliert würden, womit er ausplauderte, dass er mit der Unterstützung der Justiz rechnet, die traditionell zur alten Palast- und Blutelite hält. Vizepremier Pongthep Thepkanjana lachte zurück: »Falls nötig, können wir endlos Wahlen abhalten.«

Es wäre übertrieben, den im November begonnenen »Aufstand« gegen eine angeblich vom exilierten Expremier Thaksin Shinawatra gelenkte Regierung in Bangkok als »Massenprotest« zu bezeichnen. Bilder im Fernsehen mögen ein Land in Aufruhr suggerieren, doch ist das weit von der Realität entfernt. Das Leben in Bangkok nimmt weitgehend seinen gewohnten Lauf. Doch für einen Coup braucht es am Ende nur ein paar Leute. Und die entschlossenen Oppositionellen nähern sich dank gezieltem zivilen Ungehorsam Schritt für Schritt ihrem Ziel: einem Chaos, das Militär oder Justiz zum Putsch verführt.

Die Sicherheitskräfte halten sich bisher zurück und bieten den Demonstrierenden keine Gelegenheit, offene Gewalt anzuzetteln. Auch die »Rothemden«, die hinter der Regierung stehen, sehen von Versammlungen in Bangkok ab, um ihre Gegner nicht zu provozieren. Doch trotz aller Gesprächsangebote blockiert die Opposition eine Lösung am Verhandlungstisch. Die Neuauflage des Protestes der »Gelbhemden« im Jahr 2008, die mit denselben Forderungen Bangkoks Flughäfen besetzten, dieser neue Protest »im Namen der Demokratie« droht Thailands fragiler Demokratie den Todesstoß zu versetzen. Die Rufe nach einem Autokraten werden lauter.

»Beide Seiten haben ein gewisses Verständnis von und Sympathien für Demokratie«, sagt Professor Kriengsak Charoenwongsak, ein ehemaliger Abgeordneter der Demokraten, doch tief in ihrem Inneren seien weder Thaksin Shinawatra noch Suthep Thaugsuban Demokraten. Es seien Demagogen, die von der schweigenden Mehrheit profitieren. Diese Mehrheit wolle wahre Demokratie mit Rechtsordnung und Rechenschaftspflicht, sei jedoch nicht laut genug und lasse sich von »lautstarken Minderheiten auf beiden Seiten« kidnappen.

Doch sind die Wahlen erst einmal über die Bühne, soll ein anderer Wind wehen. Die Polizei kündigte an, Suthep nach dem Wahlgang zu verhaften und besetzte Zonen zu räumen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 1. Februar 2014


Schwierige Wahl in Thailand

Bis zu einem amtlichen Endergebnis könnte ein halbes Jahr vergehen

Von Thomas Berger **


Am Sonntag wird in Thailand gewählt. 3,8 Milliarden Baht, umgerechnet rund 90 Millionen Euro, kostet das die Staatskasse – ob es auf absehbare Zeit aber überhaupt ein arbeitsfähiges neues Parlament geben wird, ist fraglich. Schon heute ist klar, daß eine aus den Wahlen hervorgehende neue Regierung wieder in ihrer Legitimität angezweifelt werden wird, weil der generelle Konflikt der beiden großen politischen Lager im Land längst nicht gelöst ist.

Je näher der Wahltag rückt, desto mehr wachsen die Bedenken bezüglich eines halbwegs geordneten Ablaufs. Von den 99000 Wahllokalen landesweit, so Schätzungen, könnten etwa 10000 am Sonntag geschlossen bleiben. Die Protestbewegung unter Suthep Thaugsuban, die seit Wochen mit Massenaktionen vor allem die Hauptstadt Bangkok in Atem hält, hat auch im Süden zahlreiche Bastionen, wo sie eine Stimmabgabe unmöglich zu machen droht. Einwohner der drei muslimisch dominierten südlichsten Provinzen Yala, Pattani und Narathiwat, wo zudem seit zehn Jahren ein separatistischer Konflikt mit bereits weit über 3500 Toten wütet, forderten am Freitag die Freigabe von Stimmzetteln. Die Lieferung wurde von einer Gruppe der Opposition in einem lokalen Postzentrum blockiert.

In der Hauptstadt könnte die Stimm­abgabe für die Bürger, die von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machen wollen, teilweise ebenfalls schwierig werden. Wie es aus Kreisen der Wahlkommission hieß, fehlten noch etwa 4000 Männer und Frauen, damit alle Wahllokale funktionsfähig sein könnten. Nicht auszuschließen ist auch, daß die radikalen Regierungsgegner in einzelnen Stimmbezirken die Einwohner direkt an der Abstimmung zu hindern versuchen werden.

Regierung und Wahlkommission insgesamt sind derzeit noch bemüht, die Schwierigkeiten herunterzuspielen. Kommissionsmitglied Somchai Srisuthiyakorn wagte aber am Freitag eine persönliche Prognose, daß bis zu einem halben Jahr verstreichen könne, um überhaupt ein amtliches Endergebnis zu haben. Überall dort, wo am Sonntag eine Stimmabgabe nicht möglich ist, muß nachgewählt werden. Ohne den Eingang aus allen Stimmbezirken könne die Auszählung für die direkt gewählten Kandidaten ebenso wenig erfolgen wie die Zuteilung der 100 Mandate, die zusätzlich über das Listensystem an die Parteien vergeben werden. Sollte die Zahl der Nachwahlen hoch sein, bliebe der ganze Urnengang, der an einem einzigen Tag erfolgen muß, verfassungsrechtlich angreifbar, so Somchai.

Auf den Wahlzetteln fehlt ohnehin die Demokratische Partei (DP). Die bislang größte parlamentarische Oppositionskraft hatte sich zu einem Boykott entschlossen und unterstützt inzwischen ganz offiziell die Straßenproteste von Suthep. Der ist strikt gegen die vorgezogenen Neuwahlen von Premierministerin Yingluck Shinawatra und will statt dessen auf unbestimmte Zeit eine nicht gewählte Regierung, einen »Volksrat«, installieren.

** Aus: junge Welt, Samstag, 1. Februar 2014


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