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Das Schweigen brechen

Thailand: Vergewaltigung und Ermordung einer 13jährigen treiben gesellschaftliche Debatte voran

Von Thomas Berger *

Kaum ein anderer Vergewaltigungsfall hat Thailands Öffentlichkeit so aufgerüttelt wie der jüngste: Der brutale Mißbrauch eines 13jährigen Mädchens und seine anschließende Ermordung am 6. Juli in einem Nachtzug von Surat Thani im Süden nach Bangkok durch einen Bahnmitarbeiter. Immer mehr Menschen in dem südostasiatischen Land rufen seither nach einer Verschärfung des Strafmaßes für Sexualverbrechen bis hin zur Todesstrafe. Die Medien erinnern in ihren Beiträgen daran, daß es sich keineswegs um eine tragische Ausnahme handelt. Vielmehr ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen auch in Thailand weit verbreitet.

Inzwischen mußte Prapat Chongsanguan, der Gouverneur der Staatsbahn SRT, seinen Hut nehmen. Die Militärregierung in Bangkok verkündete seine Absetzung. Nachfolger ist Ormsin Chivapruck, ein früherer Chef der thailändischen Post. Prapat hatte vor seinem Rauswurf noch verkündet, künftig solle pro Zug ein Wagen komplett für weibliche Reisende reserviert werden. Solche »Women-only«-Waggons gibt es bereits in Indien, beispielsweise in den Vorortzügen der Wirtschaftsmetropole Mumbai oder in der U-Bahn der Hauptstadt Delhi. Sie helfen Frauen, sich gerade im Gedränge des Berufsverkehrs sicherer zu fühlen.

Ungeachtet solch praktischer Schritte debattiert Thailand über den jüngsten Vorfall und dessen gesamtgesellschaftliche Implikationen. Ein Kommentar in der englischsprachigen Tageszeitung Bangkok Post listete mehrere andere Vergewaltigungsfälle aus der jüngsten Vergangenheit auf, die vor dem Tod der 13jährigen vermutlich nicht von der Öffentlichkeit wahrgenommen worden wären. So hatte eine Großmutter erst vor wenigen Tagen Anzeige gegen ihren Mann erstattet, als sie zufällig mitbekommen hatte, daß er seine Enkelin, heute 14, offenbar seit Jahren mißbraucht. Bei der Reparatur seines Telefons waren Audiodateien gefunden worden, die nahelegen, daß das Mädchen bei der ersten Vergewaltigung gerade einmal zehn oder elf war. Ebenfalls erst aus den Tagen datiert die Anzeige einer Frau gegen ihren neuen Ehemann, der seine Stieftochter vergewaltigt hatte. In der Provinzstadt Chon Buri entkam ein elfjähriges Mädchen knapp einer Gruppenvergewaltigung durch acht ältere Schüler. Sie hatten das Mädchen während einer Schulpause in einen leeren Klassenraum verschleppt. Es war reiner Zufall, daß rechtzeitig Hilfe eintraf.

Zu den Aktivisten einer landesweiten Kampagne, die jetzt mindestens eine abschreckende Verschärfung des Strafrechts oder sogar die Todesstrafe für solche Verbrechen fordern, gehören auch Prominente wie Panadda Wongphudee, Schauspielerin und eine frühere »Miss Thailand«. Sie wolle mehr Sicherheit auch für ihre eigene Tochter erreichen, sagte sie zu den Motiven für ihr Engagement.

Hinrichtungen seien keine Lösung. Es gehe um eine Änderung familiärer Rollenbilder, eine Abkehr von der patriarchalen Vorherrschaft der Männer und um Aufklärung schon im Kindesalter, machte Caspar Peek, Repräsentant des UN-Bevölkerungsfonds ­UNFPA für Thailand, deutlich. Die ebenfalls englischsprachige Tageszeitung The Nation zitierte ihn vergangenen Freitag mit der Aussage, Schulen sollten neben der sexuellen Aufklärung auch thematisieren, daß die Selbstbestimmung und das Einverständnis des anderen entscheidend seien. Solche Botschaften müßten dann im familiären Kontext vertieft werden, sagte Peek.

Der UN-Vertreter wies zugleich darauf hin, daß nur ein kleiner Teil der Fälle überhaupt publik werde, weil viele Betroffene das gesellschaftliche Stigma fürchteten. Ein Mädchen werde bei solchen Verbrechen »nicht nur emotional und physisch zum Opfer. Zusätzlich muß es auch noch beschämt sein. Es ist schrecklich, was Mädchen und Frauen in dieser Gesellschaft angetan wird.«

Rund eine halbe Million Thailänderinnen sind nach Angaben von Peek bereits Opfer sexueller Gewalt geworden. Gerade ihretwegen dürfe die jetzt entstandene Debatte nicht wieder einschlafen, sondern müsse zu konkreten Maßnahmen führen, fordert nicht nur Caspar Peek.

* Aus: junge Welt, Freitag 18. Juli 2014


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