Schwager in unmöglicher Mission
Somchai Wongsawat zum neuen thailändischen Premier gewählt / Opposition protestiert weiter / Chaos lässt Kompromisswillen wachsen
Von Daniel Kestenholz, Bangkok *
Eine Woche nach dem kuriosen Rauswurf von Thailands umstrittenem Premier Samak Sundaravej
wegen eines unerlaubten Nebenjobs als Fernsehkoch hat das thailändische Parlament am Mittwoch (17. September) den Juristen Somchai Wongsawat mit deutlicher Mehrheit zum neuen Premier gewählt.
Der Versuch, Thailand damit nach chaotischen Wochen zurück in geordnete Bahnen zu lenken, ist
jedoch bereits wegen der Verwandtschaft Somchais gescheitert: Somchai ist ein Schwager des
2006 gestürzten und im August ins Exil geflohenen Expremiers Thaksin Shinawatra, dem die ganzen
Proteste gelten. An eine Auflösung der seit August andauernden Belagerung des Amtssitzes des
Premiers durch Regierungsgegner ist weiter nicht zu denken.
Thaksin-Stellvertreter Samak wurde man los, jetzt habe man einen Premier erhalten, der »noch
mehr Stellvertreter Thaksins« sei als Samak, so Protestführer Somsak Kosaisuk von der
Volksallianz für Demokratie (PAD), die Somchais Wahl eine reine Provokation nennt. Die
Regierungskoalition dagegen will mit Somchai klarstellen, sie sei demokratisch gewählt und lasse
sich »von keinem pseudodemokratischen Mob einschüchtern«, der die Proteste erst aufgeben will,
wenn die angeblich von Thaksin aus London ferngesteuerte Regierung gestürzt und durch eine
»neue Politik« abgelöst sei.
Was genau diese »neue Politik« ist, scheint auch der PAD nicht ganz klar, zumal sie politische
Pamphlete wöchentlich revidiert. Grundgedanke bleibt, dass ein gewähltes Parlament durch ein
mehrheitlich handverlesenes ersetzt gehöre, um Macht über Stimmenkauf und Patronage den
Riegel zu schieben. Der als kamerascheu geltende neue Premier Somchai, der als einer von
wenigen Politikern Thailands keine Gerichtsverfahren gegen sich laufen hat, wird zumindest weniger
Öl ins Feuer von Gegnern gießen als Expremier Samak, der damit prahlte, Aggressivität liege in
seiner Natur. Doch dem Protestdruck will auch der Ehemann einer Schwester Thaksins nicht durch
Neuwahlen nachgeben.
Das Übergangskabinett beschloss diese Woche den Einzug in den alten Flughafen Bangkoks Don
Muang, um die Regierungsgeschäfte dort in einem Provisorium fortzuführen. Die PAD wird
sprichwörtlich im Monsunregen beim belagerten Government House stehen gelassen, wo diese
neue »mobile Chaosaktionen« androht, sollte das Land weiter in der Hand von »Marionetten einer
Marionettenregierung« bleiben.
Doch die sechs Koalitionspartner standen am Mittwoch mit 298 von 236 erforderlichen Stimmen
stramm hinter der regierungsführenden Partei der Volksmacht (PPP), die im Dezember als fair und
frei geltende Wahlen deutlich für sich entschied. Der PAD-Protest ist längst auch nicht mehr das
»Volkspicknick«, als das die Belagerung begann. Die Protestführer baten jetzt Ärzte und
Spezialisten, dem Ausbruch von Epidemien beim »wie ein Saustall stinkenden« Government House
vorzubeugen, so eine lokale Zeitung.
Doch je länger der Protest andauert und die Nation die Folgen der Krise zu spüren kriegt – allein die
Tourismuseinkünfte sind im Vorjahresvergleich um 30 Prozent eingebrochen –, desto lauter werden
die Stimmen für einen Kompromiss. Die PAD verfügt jedoch über mächtige Geldgeber in Bangkoks
Elite, die um ihre Pfründen bangt seit dem Einzug der populistischen »Thaksinomics«, der
Wirtschaftslehre Thaksins, die erstmals die Nöte von Thailands armer Bauernbevölkerung anspricht
und in den Provinzen weiter über solide Unterstützung verfügt.
Die PAD will mit einer Funktionaldemokratie das Rad der Zeit zurückdrehen, indem Militärs,
Bürokraten, Wirtschafts- und Berufsgruppen sowie der Hofstaat das Sagen haben. Die reaktionäre
PAD schafft es dabei, mit einer Mischung aus konservativer Ideologie und linksgerichteter
Terminologie die Bangkoker Mittelschicht zu mobilisieren, die ihrerseits unter dem Joch dieser sich
über dem Gesetz sehenden, halbfeudalen Elite zu stehen bleibt. Ansonsten, so ein Bangkoker
Kolumnist, hätte diese Mittelschicht längst wahre Führer einer wahren Volksbewegung
hervorgebracht. »Die PAD ist eine Variation von Thailands tief verwurzelter hierarchischer
Gesellschaft«, erklärte der in den USA lehrende Südostasien-Historiker Thongchai Winichakul.
»Kurz, sie ist eine Art Misstrauen gegenüber dem Volk.« Wie immer die Konfrontation enden wird –
die Demokratie ist die wahrscheinlichste Verliererin.
Dabei hätte die PAD auch Grund zur Genugtuung. Am Dienstag (16. Sept.) stellte das Oberste Gericht einen
zweiten Haftbefehl gegen den flüchtigen Thaksin aus. Am 21. Oktober fällt das erste Urteil gegen
den tief gefallenen Multimillionär. Beobachter rechnen mit einem sicheren Schuldspruch.
* Aus: Neues Deutschland, 18. September 2008
Somchai Wongsawat, der Schwager Thaksins, ist neuer Premier in Thailand
Mit 298 Stimmen ist am Mittwoch vormittag (17. September) Somchai Wongsawat zum neuen thailändischen Premier, dem 26. in der modernen Geschichte des Landes, gewählt worden. Damit übernimmt der Mann, der den Posten seit der vom Gericht wegen seiner TV-Kochshow erzwungenen Absetzung von Samak Sundaravej schon eine Woche kommissarisch innehatte, diesen nun dauerhaft.
Hoffnungen auf ein schnelles Beilegen der Krise in Bangkok dürften verfrüht sein. Somchai ist der Schwager des bei einem Militärputsch gestürzten Expremiers Thaksin Shinawatra. Dieser war es auch, der den Juristen in seiner ersten Legislaturperiode 1999 als Staatssekretär ins Justiz- und später Arbeitsministerium holte. In der Regierung von Samak, der sich als politischer Erbe und Platzhalter für den mittlerweile wieder im Exil lebenden Thaksin verstand, rückte Somchai zum Erziehungsminister und stellvertretenden Premier auf.
Mit den engen familiären Bindungen ist für die außerparlamentarische Opposition im Grunde klar, daß Thaksin auch weiter Einfluß auf die Regierung nimmt. Die Führer der Volksallianz für Demokratie (PAD) haben bisher nicht erkennen lassen, daß sie gewillt sind, das besetzte Gelände mit dem Amtssitz des Premiers freizugeben, wo 10000 ihrer Anhänger ausharren.
Ebenfalls am Mittwoch hat der Oberste Gerichtshof die Urteilsverkündung in einem Korruptionsprozeß gegen Thaksin auf 21. Oktober vertagt. Der nach London geflohene Angeklagte solle unbedingt dazu anwesend sein, begründeten die Richter ihre Entscheidung. Ob eine Auslieferung aus Großbritannien bis zu diesem Datum erreicht werden kann, ist aber zweifelhaft.
** Aus: junge Welt, 18. September 2008
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