Es soll die "demokratischste Wahl" in einem südostasiatischen Land seit Menschengedenken sein, die am Sonntag, den 7. Januar 2001 in Thailand stattfindet - so befinden es wenigstens die Medien hierzulande, und so sehen es auch gern die Politiker in Thailand selbst. Asienexperten sehen das partiell etwas anders, wie die beiden folgenden Berichte belegen. Der erste ist der "jungen welt" entnommen und erschien am 4. und 5. Januar 2001; der zweite Artikel stammt aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 6. Januar 2001.
Wenn am kommenden Samstag in Thailand ein neues Parlament gewählt wird, steht bislang eines fest - die politische Landkarte wird sich deutlich ändern. Dem derzeitigen Premierminister Chuan Leekpai wird der Boden unter den Füßen heiß, kann er sich doch einer Wiedererlangung der Mehrheit für seine Koalition keineswegs sicher sein. So sehr sich aber auch neue Kräfte auf dem Spielfeld tummeln und die Schlacht um den Wählerwillen zu gewinnen trachten, ist aber eines ganz der Tradition ergeben - die oft unfairen Spielmethoden. Stimmenkauf, Korruption und dunkle Machenschaften gehören bereits jetzt zur Genüge zu dieser Wahl. Da kann es nur ein kleiner Trost sein, daß erstmals eine Wahlkommission im Amt ist, die zumindest bei den größten Fouls die rote Karte zeigt, wenn sie auch nicht jeden kleinen Vorfall mitbekommt oder ahnden kann.
Bislang bestimmte eine kleine Elite, wie es mit dem Land weitergehen soll, bestehend aus hohen Offizieren, städtischer Oberschicht, Unterweltbossen und Landlords. Nun zumindest haben die Wähler die Chance, diesmal auch eine Reihe junger und unbelasteter Personen in das höchste Entscheidungsgremium zu schicken. Auf den Straßen von Bangkok, Chiang Mai und anderen Städten ist zu spüren, daß das Volk vielleicht erstmals in der jüngeren thailändischen Geschichte weiß, welche Macht es in seinen Händen hält. Obgleich über Jahrzehnte zementierte Präferenzen für die eine oder andere der tonangebenden Gruppen nicht binnen weniger Monate verschwinden, sehen sich die altgedienten Politiker plötzlich Fragen und einem neuen Selbstbewußtsein der Massen gegenüber. Vor allem hängt nicht mehr der Schatten eines drohenden neuen Militärputsches über dem Urnengang, sollte den Generälen das Ergebnis nicht zusagen. Der Oberkommandierende der Armee höchstselbst hatte im Herbst 2000 öffentlich verkündet, daß er voll hinter den demokratischen Spielregeln stehe. Einigen Offizieren, die im Hintergrund mit der Idee eines erneuten Coups liebäugelten, nahm er damit den Wind aus den Segeln.
Indes: Daß sich auch die Linke des Landes wieder hervorwagen kann, soweit geht die neue Offenheit noch nicht. Wohl gibt es ganz vereinzelt den einen oder anderen unter den Kandidaten in den ländlichen Gebieten, den man als Sozialdemokraten oder Sozialisten bezeichnen könnte. Doch generell bestimmt noch immer die Angst einer »kommunistischen Unterwanderung«, wie sie in den Jahren des politischen Konfliktes mit Kambodscha und Vietnam oft genug an die Wand gemalt worden war und dem Militär mit als Grund zur Machtergreifung diente.
Heute sitzt Thailand mit allen anderen Staaten der Region am ASEAN-Tisch, wo es nicht um den Streit der Ideologien, sondern nur noch um wirtschaftliche Aspekte geht. Die Wirtschaft ist denn auch einer der Punkte, die im Wahlkampf die größte Rolle spielen. Die Nachwirkungen der Krise in Asien von 1997/98 sind noch immer zu spüren. Zwar hat sich Thailand besser erholt als einige der anderen Betroffenen, doch mühen sich Banken und Industrie noch immer, wieder ganz auf die Beine zu kommen. Die Kandidaten überschlagen sich fast mit Konzepten, von denen allerdings die wenigsten ausgereift sind und die meisten auf eine einfache Formel hinauslaufen: Weiter wie bisher. Das heißt im Klartext, mit Subventionen die angeschlagenen Großbanken und Konzerne zu stützen, derweil die einfachen Leute auf der Straße, die oft einen Großteil ihres Vermögens verloren haben, im Regen stehen. Die Landflucht in Richtung der ohnehin schon völlig übervölkerten Hauptstadt hält an. Unzählige suchen in der Metropole Bangkok ihr Glück, vergrößern aber zumeist nur das Heer der Unterprivilegierten, die am Hafen oder in anderen Elendsvierteln ihr Dasein fristen. Oder landen, wenn es sich um Mädchen handelt, in einem der Bordelle von Südostasiens ältestem und insgesamt immer noch größten Rotlichtviertel.
Thailands Arme haben nach Jahren relativer Sprachlosigkeit zu neuen Formen öffentlichkeitswirksamer Artikulation gefunden. Da demonstrieren Lehrer und machen auf die desolate Lage des Bildungswesens auf verschiedenen Sektoren aufmerksam, da finden sich Kleinbauern aus mehreren Provinzen des Landes in Bangkok ein, um mittels eines »Parlaments der Armen« die Mächtigen zu zwingen, sich einmal mit ihren Problemen des tagtäglichen Überlebenskampfes auseinanderzusetzen. In letzterem Fall reagierte die Politik zögernd, aber sie reagierte wenigstens. Abgesandte fast aller großen Parteien ließen sich herab, sich die Sorgen, Nöte und Lösungsvorschläge der Protestierer anzuhören. Eine neue Form des Dialogs, die manche Entscheidungsträger aus ihrem Elfenbeinturm geholt und den Massen der Armen in Stadt wie Land neues Selbstbewußtsein verliehen hat. Nach jahrzehntelangem Raubbau an menschlichen und natürlichen Ressourcen, der die nationalen Minderheiten in einen Kampf um den Erhalt ihrer Kulturen gestürzt und das halbe Land waldlos gemacht hat, bieten die Menschen dem ungebremsten Wachstumswahn von Industrie und Tourismusgewerbe kämpferisch die Stirn.
Gesucht: Integre Kandidaten
Egal, für wen sie am kommenden Wochenende stimmen -
sicher sein können sich Thailands Wähler in den meisten
Fällen darin, daß ihr Favorit unter den Kandidaten keine reine
Weste hat. Einer der aussichtsreichsten Bewerber um den
Premiersposten und damit stärkster Rivale des derzeitigen
Amtsinhabers Chuan Leekpai hat es dieser Tage wieder einmal
bewiesen. Thaksin Shinawatra, Medientycoon und Chef der
erst vor einigen Monaten gegründeten Thai Rak Thai Partei
(Thailänder für Thailand), ist von der
Untersuchungskommission für Korruptionsfälle schuldig
gesprochen worden, Teile seines Vermögens und deren
Herkunft verschwiegen oder falsch angegeben zu haben.
Sollte dieses Urteil vom Verfassungsgericht bestätigt werden, das Thaksin nun anrufen will, droht ihm ein politisches Betätigungsverbot in höheren Positionen für fünf Jahre. Thaksin indes gibt sich siegessicher, will nicht einmal parteiintern einen Stellvertreter für den Notfall ernennen und sieht sich bereits als neuen Mann an der Spitze der Regierung. Schon während des gesamten letzten Jahres waren Vorwürfe bezüglich der Redlichkeit seiner immensen Vermögenswerte immer wieder scheinbar völlig von ihm abgeprallt. Und ein Großteil der Öffentlichkeit hielt zu ihm, verkörperte er doch zumindest innerhalb des Establishments so etwas wie frischen Wind, eine neue Art des Politikers.
Dieser Rückhalt scheint nun zu schwinden. In einer Umfrage sprachen sich immerhin 76 Prozent der Befragten dafür aus, er möge den Urteilsspruch der Korruptionskommission annehmen, und 57 Prozent sehen für ihn und seine Partei einen politischen Rückschlag. Doch der Wirtschaftsmagnat, der vermutlich einer der reichsten Männer Thailands ist, hat immer ein As im Ärmel. Daß die Vizechefin des Gremiums selbst über die Gesetzesvorgaben strauchelte und wegen nicht ordnungsgemäß angegebener Beteiligungen an Unternehmen zurücktreten mußte, schreibt er sich als dicken Pluspunkt zu.
Thaksin nach dem Urteilsspruch leichtfertig als gescheitert abzutun, wäre das Gefährlichste, was seine Gegner tun könnten. Ist doch das Rennen noch immer völlig offen. Die Demokratische Partei (DP) des amtierenden Regierungschefs Leekpai kann sich ausrechnen, daß sie vom Wahlvolk beträchtlich gerupft wird, schreibt man der stärksten Kraft in der Sechs-Parteien-Koalition doch am ehesten die nun verhaßte Orientierung an den Vorgaben von IWF und Weltbank und den damit verbundenen sozialen Einschränkungen zu. Allerdings könnte es dem Premier gelingen, sich mit dem gegenwärtigen Bündnis insgesamt noch einmal eine knappe Mehrheit zu sichern. Deshalb versicherte er sich auch der Loyalität der Bündnispartner, denn ein vorzeitiges Auseinanderbrechen der keineswegs leicht handhabbaren Koalition wäre das Aus für die Hoffnungen auf eine Wiederwahl. Chuan Leekpai, darin sind sich Freunde, Beobachter und selbst Kritiker einig, ist ein guter Taktiker, der es versteht, mit seinen Partnern umzugehen und Differenzen auszuräumen. Damit hat er seinem Rivalen Thaksin einiges voraus, der als zugeknöpft und selbstherrlich gilt. Da keine der rund 50 antretenden Parteien allein auf eine Mehrheit hoffen kann, wäre es für eine Koalition unter seiner Führung schwierig, eine gesamte Legislaturperiode mit all den absehbaren Stolpersteinen zu überdauern.
Eine wichtige Stütze für Leekpai ist Industrieminister Suwat Liptapanlop, Chef der Chart Pattana Partei. Er gilt als der kommende Mann, der in einigen Jahren selbst auf dem Premiersposten sitzen dürfte. Vorerst aber ist er eine relativ loyale Nummer zwei in der Regierung, der mit seiner Partei auf Platz drei hinter Demokraten und Thai Rak Thai landen dürfte. Obwohl damit wahrscheinlich umworbenes Zünglein an der Waage, wird ihm nachgesagt, daß er weiter zu Leekpai halten und seinen eigenen Aufstieg vorbereiten wird.
Wie in Thailand üblich, finden sich auch diesmal bei den Kandidaten komplette Familien, zum Teil sogar auf den Listen rivalisierender Parteien, und das Ausspielen von Vater und Sohn oder Geschwisterpaaren hat einen besonderen Einfluß in vielen Wahlkreisen. Allerdings gibt es auch einige Neuheiten im aktuellen Wahlkampf zu beobachten, insbesondere die ungewöhnlich hohe Zahl von Frauen. Von den 256 Kandidaten für die 37 Parlamentssitze der Hauptstadt sind immerhin 90 weiblich - ein Rekord in der politischen Geschichte des Landes. Rund ein Viertel der Frauen unter den Kandidaten landesweit findet sich in Bangkok, was nicht nur generell ein Stadt-Land-Gefälle signalisiert, sondern vor allem auf das gute Abschneiden der weiblichen Bewerber bei den jüngst abgehaltenen Gouverneurswahlen in der Metropole zurückzuführen ist.
Aus: junge welt, 4. und 5. Januar 2001In Thailand finden an diesem Wochenende dank einer neuen Verfassung die demokratischsten und freiesten Gesamterneuerungswahlen in der Geschichte des Landes statt. Allerdings scheint bereits festzustehen, dass ein ehrgeiziger, aber in Sachen Korruption nicht über jeden Verdacht erhabener Unternehmer-Politiker den Sieg erringen wird.
mo. Bangkok, 5. Januar
Schon wenige Tage nachdem Thailands bisheriger Ministerpräsident, Chuan Leekpai, im November das Parlament aufgelöst und den 6. Januar als Termin für Neuwahlen festgesetzt hatte, begann die fünfköpfige Nationale Wahlkommission in ihren modernen Bangkoker Büros an Platzmangel und akuter Atemnot zu leiden. Täglich schleppten Helfer noch mehr Säcke mit Parfumreis, Kartons voller Seife, Speiseölkanister, Küchen- und Armbanduhren mit aufgedruckten Konterfeis von Wahlkandidaten, T-Shirts in Parteifarben mit eingefalzten Banknoten und dergleichen mehr herbei - alles Güter, mit denen sichBewerber um die 500 Parlamentssitze verbotenerweise die Stimmen von Wählern hatten erkaufen wollen. Die Gegenstände waren von aufrechten Bürgern als Beweismittel für den Bestechungsversuch bei der Kommission und ihren Unterabteilungen in den 76 Provinzen abgegeben worden.
Bald erwies sich auch das Zumieten eines Lagerhauses als ungenügend zur Bewältigung des nie abbrechenden Stroms von Wahlgeschenken. Im Kommissionsbüro herrschte zudem trotz der hochpotenten Klimaanlage ein penetranter Gestank von faulenden Früchten und fermentierterFischsauce - einer wichtigen Zutat vieler thailändischer Gerichte. Darum ging die Kommission laut Theerasak Karnasuta, ihrem Vorsitzenden, dazu über, die Beweismittel nur noch zu photographieren und zu katalogisieren und danach derPolizei zur Verwertung oder Beseitigung zu überlassen.
Theerasak und seine vier Kommissionskollegen gelten gegenwärtig als die mächtigsten Männer im Staat. Ihr Gremium ist auf Grund der 1997 in Kraft gesetzten neuen Verfassung geschaffen worden. Diese wird hierzulande auch «die Volksverfassung» genannt, weil sie auf die weitere Demokratisierung und vor allem auch auf die Beseitigung der jahrzehntealten politischen KrebsübelThailands abzielt: des halbfeudalistischen Systems von Patronage und Klientelismus sowie der «Geldpolitik» und des Stimmenkaufs bei der Neubestellung der Volksvertretungen. Um der neuen Gesetzeslage auch Nachachtung verschaffen zu können, ist die Kommission mit dem Rechtausgestattet worden, Kandidaten schon bei blossem Verdacht auf Stimmenkauf aus dem Rennenum die reiche Pfründen versprechenden Parlamentssitze zu nehmen.
Das Wirken des Überwachungsgremiums scheint einigen Erfolg zu haben. Die Kommissionäre weisen darauf hin, dass sie bisher erst drei Kandidaten die «rote Karte» zeigen mussten. Weiteren mindestens 150 von insgesamt 3700 Bewerbern droht die Eröffnung eines Verfahrens wegen Missbräuchen, allerdings nur falls sie aus dem Urnengang als Gewinner hervorgehen sollten. Bezüglich des steten Zustroms beschlagnahmter Wahlgeschenke sagen die Kommissionäre, es sei ja klar, dass so tief verwurzelte Unsitten wie der Stimmenkauf nicht über Nacht ausgerottet werden könnten. Insgesamt sei der jetzige Wahlkampf aber der sauberste und fairste seit der Abschaffung der absoluten Monarchie 1932.
Auch auf die Beobachtung von Wahlkämpfen spezialisierte thailändische Bürgerinitiativen teilen diese Einschätzung im grossen Ganzen. Skeptiker in diesen Kreisen äussern allerdings auchden Verdacht, wegen der rigiden neuen Gesetzgebung und Überwachung hätten korrupte Politiker ihre Stimmenkaufmanöver einfach besser vor den Augen der Öffentlichkeit abgeschirmt als in früheren Wahlkämpfen. Kritiker, unter ihnen eine Reihe thailändischer Journalisten, gehen noch einen Schritt weiter und bezichtigen die erst 1998 vom schwerreichen Telekommunikations-Magnaten Thaksin Shinawatra gegründete und geführte Populistenpartei Thai Rak Thai («Thais lieben Thai») des «Mega-Stimmenkaufs», der alle anderen Wahlgeschenke überflüssig und wirkungslos gemacht habe.
Tatsächlich stellt Thaksin in seiner Wahlplattform in Aussicht, falls er nach einem Wahlsieg als Ministerpräsident die neue Regierung bilden könne, werde der Staat den immer noch unter den Folgen der Asienkrise leidenden Banken die schwere Last «fauler Kredite» abnehmen. Zwecks Ankurbelung der Wirtschaft werde er überdies ein dreijähriges Zinszahlungsmoratorium für die mehrheitlich ebenfalls schwer verschuldeten Bauern erlassen und jedem der 70 000 Bauerndörfer aus dem Staatssäckel einen jährlich erneuerbaren Kredit von 1 Million Baht (40 000 Franken) gewähren.
Stimmenkauf im herkömmlichen Sinne wie von den Kritikern moniert ist das natürlich nicht, sondern Thaksin hat nur, wie auch in reifen westlichen Demokratien nicht unbekannt, sehr vollmundige Wahlversprechen abgegeben. Allerdingshat der Populist damit den Nerv der Bevölkerungsmehrheit voll getroffen. Zwar hat die vonMinisterpräsident Chuan Leekpai von der Demokratischen Partei angeführte Koalitionsregierung nüchtern betrachtet das von der Asienkrise von 1997 wirtschaftlich hart gebeutelte Land durchaus erfolgreich wieder auf Wachstumskurs geführt und Schritt für Schritt zahlreiche der notwendigen Reformen angepackt. Doch die städtische Unterschicht und vor allem die 80 Prozent der Bevölkerung, die in ländlichen Gebieten leben, spürenbisher noch wenig von dieser unspektakulär verlaufenden Erholung. Zumal viele Thais sich inden letzten Jahren an Beutelsuppen, schnell löslichen Kaffee und Eistee sowie an Fertignudeln gewöhnt haben, erwarten sie nun auch für die Wirtschaftskrise eine «Instant-Lösung». Weil Chuan ehrlicherweise im Wahlkampf klarmachte, dass er eine solche auch weiterhin nicht werde liefern können, laufen Wähler und Politiker seit Monaten scharenweise in Thaksins Lager über - ungeachtet dessen, dass die meisten Fachleute dessen wirtschaftliche Heilsbotschaft als unrealistisch, ja sogar als schädlich für den bisherigen erfolgreichen Genesungsprozess einstufen.
Sämtliche Wahlumfragen der letzten Wochen deuten jedenfalls darauf hin, dass Thaksins Partei beim Urnengang am Samstag einen in Thailands Geschichte beispiellosen Erdrutschsieg erringen, aber die absolute Mehrheit der Parlamentssitze knapp verfehlen wird. Zumal also auch der wahrscheinliche neue Ministerpräsident Thaksin zur Bildung einer Regierung auf Koalitionspartner angewiesen sein wird, könnte man seinen vermutlichen Grosserfolg als harmlosen Ausflug derThais in den Populismus einstufen - eine Erfahrung, die im Laufe der Demokratisierung die meisten Völker einmal machen müssen.
Doch es gibt noch einen weiteren Grund dafür, dass viele in- und ausländische Beobachter im erwarteten Sieg Thaksins nicht einen Schritt vorwärts im Demokratisierungsprozess, sondern einen solchen direkt in eine mittlere politische Katastrophe hinein sehen. Der zwischen Unternehmensführung und Politikerkarriere hin- und herpendelnde Thaksin ist nämlich vor wenigen Tagen von der Nationalen Antikorruptionskommission schuldig gesprochen worden, 1997, als er für einige Monate Mitglied der Regierung war, bei der gesetzlich vorgeschriebenen Deklarierung seiner Vermögenswerte «absichtlich und unehrenhaft» Milliardenwerte verheimlicht zu haben. An sich zieht ein solcher Schuldspruch in Thailand automatisch ein fünfjähriges Verbot jeglicher Amtsübernahme nach sich. Deshalb legten die Mehrheit der thailändischen Medien und selbst einige seiner politischen Freunde nach dem Urteil Thaksin nahe, im Interesse der Nation aus dem Wahlkampf auszuscheiden. Doch dieses Ansinnen wies dieser, den fast sicheren Wahlsieg als Krönung seines persönlichen Werdegangs so dicht vor der Nase, empört von sich und legte gegen das Urteil Berufung beim Obersten Gerichtshof ein, der innert maximal acht Monaten abschliessend über den Fall urteilen muss.
So bietet sich nun für Thailands Zukunft als wahrscheinlichstes Szenarium dar, dass Thaksin die Wahlen gewinnt und in einigen Wochen, nach den landesüblichen zähen Verhandlungen um die Bildung einer Mehrparteienkoalition, Ministerpräsident wird, nur um nach ein paar Monatenvom Obersten Gerichtshof zum Rücktritt gezwungen und für fünf Jahre aus der aktiven Politik verbannt zu werden. Einmal abgesehen vom abenteuerlichen Kurs, den Thaksin bei der Verfolgung seiner populistischen wirtschaftspolitischen Ziele offenbar einzuschlagen entschlossen ist, würden diese Aussichten eine länger anhaltende politische Unsicherheit schaffen, die dem Investitionsklima keineswegs zuträglich ist. Überdies stellt sich die Frage, wie Thaksins Wählerschaft auf seine allfällige Absetzung reagieren wird. Diese Kreise sahenteilweise schon im Urteil der Antikorruptionsbehörde nur einen «Versuch der abgetakeltenPolitikerkaste», den «Erlöser» von der Machtübernahme abzuhalten.
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 6. Januar 2001