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"Sie haben auf uns geschossen"

Thailändische Armee räumte Tempel im Zentrum der Hauptstadt

Einen Tag nach dem massiven Militäreinsatz gegen die oppositionellen Rothemden und den anschließenden Zerstörungen ist in Bangkok gespannte Ruhe eingekehrt.

Obwohl noch der Qualmgeruch ausgebrannter Ruinen über Thailands Hauptstadt Bangkok liegt, begann die Stadtverwaltung am Donnerstag (20. Mai) mit den Aufräumarbeiten. Stacheldraht wurde eingerollt, die teils abgebrannten Gummireifen, aus denen die Demonstranten Barrikaden gebaut hatten, wurden abtransportiert. Im Kerngebiet der Demonstranten im Ratchaprasong-Viertel hatte die Armee am Donnerstag nach 24 Stunden noch immer nicht die volle Kontrolle erlangt. Sie verfolgte nach eigener Darstellung versprengte Rothemden, die sich mit dem Ende der Proteste nicht abfinden wollten. Vereinzelt waren Schüsse zu hören. Am Siegerdenkmal bedrängten etwa 100 Rothemden Polizisten, berichtete die »Bangkok Post«. Die Regierung verlängerte die nächtliche Ausgangssperre bis Sonntag (23. Mai).

Die Angaben über die Opferzahlen gingen auseinander. Mindestens 14 Menschen kamen bei den Zusammenstößen am Mittwoch (19. Mai) ums Leben, damit erhöhte sich die Zahl der insgesamt seit Beginn der Proteste Mitte März Getöteten auf 82. Ein Tempel, in dem Hunderte Rothemden – darunter Frauen und Kinder – Zuflucht gesucht hatten, nachdem ihre Führung sich ergeben hatte, war am Mittwochabend in die Schusslinie geraten. »Sie haben auf uns geschossen«, berichtete Manat Kaetphet, einer der Flüchtlinge. Am Donnerstag wurden dort mehrere Leichen geborgen.

35 Gebäude gingen nach dem Ende der Militäraktion in Flammen auf, darunter das mehrstöckige Central-World-Einkaufszentrum. Es brannte völlig aus. Die Oppositionsbewegung UDD, die die Proteste gegen die Regierung seit Mitte März koordiniert hatte, appellierte an ihre Anhänger, den Widerstand aufzugeben. »Meine Botschaft ist: Unser Kampf ist gerecht und geht weiter, aber wir sollten unserem Ärger nicht durch Randalieren Luft machen«, sagte Kokaew Pikulthong, der innerhalb der UDD bislang im Hintergrund agiert hatte, nach Angaben der Zeitung »The Nation«.

Am Donnerstag (20. Mai) stellten sich weitere Anführer der UDD der Polizei. darunter Veera Musigkapong und Weng Tojirakarn. Veera rief die Demonstranten auf: »Ich möchte, dass ihr unser Prinzip der Gewaltlosigkeit beibehaltet.«

* Aus: Neues Deutschland, 21. Mai 2010


Teurer Machtkampf

Die Unruhen in Thailand treffen besonders hart den Tourismussektor

Von Michael Lenz, Bangkok **


Leere Hotelbetten, Rückgang bei Reisebuchungen, Kellner ohne Arbeit - die Tourismusbranche und deren Beschäftigte haben die Folgen der politischen Krise in Thailand zu tragen.

Das wird nach Naturkatastrophen oder anderen Krisen häufig gesagt: Die Wirtschaft nimmt Schaden. Was im Klartext heißt, dass Banken und große Firmen etwas weniger Profit machen. In Thailand wird in diesen Tagen des blutigen Machtkampfs sichtbar, dass auch die kleinen, ja die ganz kleinen Leute zur Wirtschaft gehören. Doch bei diesen hinterlässt der Einkommensverlust nicht nur eine unschöne Delle in der Bilanz, sondern wird zu einer existenziellen Frage.

Nop ist so einer. Sein Geld verdient der 32-Jährige normalerweise als Kellner in einer Bar auf der Silom Straße. Wegen der Unruhen, die diese Straße besonders in Mitleidenschaft gezogen hat, ist die Kneipe seit zwei Wochen zu und Nop hat keine Arbeit mehr. »Ich bin zu meiner Familie in die Provinz Singburi gefahren«, berichtet er am Telefon. »Hier habe ich wenigstens zu essen. Ob mein Job noch existiert, wenn ich wieder nach Bangkok komme, weiß ich noch nicht.«

So wie Nop geht es in diesen Tagen Vielen, die in Bangkok als Kellner, Taxifahrer, Masseure, Go-go-Girls und -Boys oder als Hotelangestellte arbeiten und wie die Rothemden aus der ärmsten Region Isaan im Nordosten stammen: Die Politkrise bedroht ihren Arbeitsplatz. Auf mindestens ein Prozent, schätzen Experten, werde Thailands Wirtschaftswachstum durch die bürgerkriegsähnlichen Ereignisse verzichten müssen. Und es kann noch mehr werden, denn noch sind die Unruhen nicht wirklich vorbei und die Kosten der Brandanschläge auf Banken, Regierungsgebäude sowie Bangkoks größte Shopping-Malls noch nicht bekannt. Investoren, so die Angst, könnten durch die zunehmend instabile Lage abgeschreckt werden.

Am härtesten betroffen ist der Tourismussektor, der mit einem Anteil von mehr als sechs Prozent am Bruttoinlandsprodukt die wichtigste Devisenquelle des südostasiatischen Landes ist. Der »Tourism Council of Thailand« rechnet mit einem Einbruch, der die Branche umgerechnet 300 Millionen Euro kosten wird. Befürchtet wird, dass bis 20 Prozent weniger Urlauber in diesem Jahr nach Thailand kommen werden. Schon in den vergangenen Wochen ist die Zahl der Ankünfte auf Bangkoks Flughafen Suvarnabhumi um mehr als 10 000 Passagiere pro Tag zurückgegangen.

Die Auslastung der Hotels in Bangkok liegt derzeit lediglich zwischen 10 und 25 Prozent. Das Luxushotel Hyatt Erawan, das im Zentrum des von den Rothemden besetzten Geschäftsviertels liegt, hat seit Wochen sogar eine Auslastungsrate von null Prozent. Dies trifft aber auch kleine preisgünstige Unterkünfte wie das »Vincent's« in der Soi Ngam Duplee, dessen sieben Zimmer seit zwei Wochen leer stehen. Bei den Buchungen für den Juni sieht es mau aus.

Das nächtlich Ausgehverbot, das bis zum Wochenende über Bangkok sowie andere touristische und wirtschaftliche Zentren wie den Badeort Pattaya am Golf von Siam oder Chiang Mai im Norden, allesamt Hochburgen der Rothemden, verhängt worden war, fügt der siamesischen Volkswirtschaft und dem Ruf Thailands weiteren Schaden zu.

Die Regierung von Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva arbeitet bereits an finanziellen Rettungspaketen für die Wirtschaft. In der Zentrale des Fremdenverkehrsamtes wird an Konzepten für Marketingkampagnen gefeilt, die das Vertrauen in das Reiseland Thailand wiederherstellen soll. Damit hat man seit der Besetzung der Flughafens von Bangkok im November 2008 schon einige Erfahrung. Aber ob es nutzt? Politische Beobachter sind sicher: die Rothemdentragödie war nicht der letzte Akt.

** Aus: Neues Deutschland, 21. Mai 2010


Bangkok räumt auf

Von Detlef D. Pries ***

Man stelle sich vor, das thailändische Drama hätte sich auf dem Globus ein paar Zentimeter weiter nördlich zugetragen: In Peking etwa hätten Bauern aus der Provinz - geführt von Intellektuellen und unterstützt von städtischen Niedrigverdienern - mit der Forderung nach ehrlichen Wahlen und materieller Teilhabe am Reichtum des Landes ein Geschäftsviertel besetzt. Nach zwei Monaten und zwei Dutzend Toten hätten Armee und Polizei dem »Chaos« mit Waffengewalt ein Ende bereitet. Die Zahl der Toten wäre auf 82 gestiegen, die der Verletzten ginge in die Hunderte.

Sich dies vorzustellen, erfordere nicht sehr viel Fantasie, wird mancher sagen. Bleibt also genügend Vorstellungskraft für die Beantwortung einiger Fragen: Wer in der »freien« westlichen Welt würde in solchem Falle die »unendliche Geduld« der betroffenen Regierung würdigen? Wer würde mitleidsvoll die wirtschaftlichen Verluste beklagen, die das Land in den zwei Monaten hinnehmen musste? Wer würde nach den Drahtziehern der Revolte im Ausland fragen und danach, wer die Besetzer für den Protest bezahlt? Wer würde die ehrliche Empörung und die friedlichen Absichten der Demonstranten bezweifeln und schließlich über das blutige Ende unter der Überschrift »Peking räumt auf« berichten, das »endlich« gerade noch unterdrückend?

Aber die Tragödie spielte sich in Thailand ab. Dessen Premier Abhisit Vejjajiva kann darauf verweisen, dass er von keiner ausländischen Regierung wegen der Armeeoperation verurteilt wurde. Schließlich hat er doch nur die eigene und die Macht der alten Elite erhalten wollen.

*** Aus: Neues Deutschland, 21. Mai 2010 (Kommentar)


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