Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wofür kämpfen Thailands "Rothemden"?

Vorsitzende Thida Thavornseth: "Die Regierung sollte die Geduld des Volkes nicht zu sehr strapazieren!" *


nd: Sie haben den Internationalen Strafgerichtshof aufgefordert, die Verantwortlichen für die brutale Niederschlagung der Bangkoker Massenproteste im Mai 2010 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen. Warum Ihr Gang nach Den Haag?

Thavornseth: Wenn wir gute Gerichte in Thailand hätten, wäre das nicht notwendig gewesen. Aber unsere Gerichte handeln nicht im Einklang mit dem Willen des Volkes, deshalb haben wir uns zu diesem Schritt gezwungen gesehen. Außerdem gibt es in der thailändischen Gesetzgebung keinen Straftatbestand »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«. Deswegen ist der Internationale Strafgerichtshof unsere einzige Hoffnung.

In Bangkok wird inzwischen viel über eine Rückkehr des vom Militär 2006 gestürzten Premiers Thaksin Shinawatra aus dem Exil nach Thailand spekuliert.

Alle Rothemden wollen, dass Thaksin zurückkommt. Aber sie verstehen: Wenn er jetzt heimkehrt, wird er in Thailand nicht am Leben bleiben. So lange es keine Rechtsstaatlichkeit gibt, kann Thaksin nicht zurück. Zuerst brauchen wir eine neue Verfassung, das hat Priorität. Die Verfassung, die nach dem Putsch 2006 auf Betreiben des Militärs ausgearbeitet wurde, lehnen wir ab.

Unser Land wird von elitären Gruppen kontrolliert: Militär, Justiz und Aristokratie. Insbesondere Militär und Justiz arbeiten zusammen gegen das Volk: Jedes Mal, wenn die Armee geputscht hat, ist das von den Gerichten nachträglich abgesegnet worden. Dagegen kämpfen wir Rothemden: Wir wollen, dass dieses Land dem Volk gehört. Wir wollen echte Demokratie und kein Spiel, dessen Regeln von einer Gruppe von Leuten bestimmt werden, die die Macht an sich gerissen haben.

Mit Yingluck Shinawatra haben die Rothemden »ihre Frau« an die Regierung gebracht. Die Premierministerin versucht, ein gutes Verhältnis zu Armeechef Prayuth Chan-ocha zu demonstrieren. Nicht allen Rothemden gefällt dieser Kuschelkurs. Schließen Sie sich der Kritik an?

Wir verstehen, dass Yingluck Shinawatra alles versucht, um ihre Regierung im Amt zu halten. Wir, die Vereinigte Front für Demokratie gegen Diktatur, sind aber eine andere Organisation als die Puea-Thai-Partei, auf die sich die Regierung stützt. Wir wollen Thailand und seine Gesellschaft verändern. Wir wollen Rechtsstaatlichkeit durchsetzen und die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Wir unterstützen die Regierung, aber wir warnen sie auch: Sie soll die Geduld des Volkes nicht zu sehr strapazieren. Wir warnen - als Freunde, nicht als Feinde!

Nachdem die Regierung angekündigt hat, eine Kommission für die Verfassungsreform zu gründen, hat die oppositionelle Demokratische Partei prompt Beschwerde beim Verfassungsgericht eingelegt - mit der Behauptung, die Monarchie solle abgeschafft werden. Das Gericht hat den Antrag zwar zurückgewiesen, aber wie kann das Projekt angesichts des harten Widerstands gelingen?

Wir müssen das einfach durchsetzen. Deshalb haben wir unseren Anhängern gesagt, dass jetzt die nächste Runde des Kampfes begonnen hat, die wir mit einer neuen Strategie und mit Verstand führen werden. Als ersten Schritt wollen wir den Wissensstand der Menschen verbessern: Vor allem die Rothemden an den Wurzeln der Bewegung sollen die Machtverhältnisse im Land verstehen und die Ziele, für die wir kämpfen. Daher gründen wir mobile politische Schulen überall im Land, sogar in Hotels oder Tempeln. Davor bekommen unsere Gegner - die Demokratische Partei von Expremier Abhisit Vejjajiva - inzwischen Angst: weil wir auf diese Weise die Gesellschaft von unten verändern.

Aber Putschgerüchte verstummen nicht. Was würden Sie persönlich tun, wenn wieder Panzer durch Bangkok rollen? Gehen Sie wieder in den Dschungel wie schon 1976 nach dem Massaker an der Thammasat-Universität, mit dem die Armee Studentenproteste unterdrückte?

Nein, nein, nein! Das wird nicht nötig sein. Momentan zählen die Rothemden 15 Millionen Anhänger, so viele Menschen haben nämlich die Puea-Thai-Partei gewählt. Mit den Unterstützern erreichen wir gut 20 Millionen, und wir arbeiten täglich daran, diese Basis zu verbreitern. Deshalb dürfte den Militärs klar sein, dass es ziemlich schwierig werden würde, eine Wiederholung des Putsches von 2006 zu versuchen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 23. Juli 2012


Zurück zur Thailand-Seite

Zurück zur Homepage