Auch Thailands neuer Premier unter Beschuss
Somchai Wongsawat sieht sich dem Vorwurf des Verfassungsbruchs ausgesetzt
Von Thomas Berger, Bangkok *
Somchai Wongsawat läuft Gefahr, als Premier mit der kürzesten Amtszeit in die Annalen der
thailändischen Geschichte einzugehen.
Der thailändische Senator Ruangkrai Leekijwattana hat eine Eingabe bei der Wahlkommission
eingereicht, weil Ministerpräsident Somchai Anteile an einer Internetfirma hält, die mit der
thailändischen Telekom in Geschäftsbeziehungen steht. Laut Artikel 48 der thailändischen
Verfassung dürfen politische Amtsträger nicht an Medien- und Telekommunikationsunternehmen
beteiligt sein, während Artikel 265 ihnen verbietet, Anteile an Firmen zu haben, die über staatliche
Konzessionen verfügen.
Die Wahlkommission, so ein Mitglied gegenüber der Tageszeitung »Bangkok Post«, wolle in den
nächsten Tagen entscheiden, ob sie Somchais Fall gesondert untersucht oder in die Aufgabe
eingliedert, die wirtschaftlichen Aktivitäten aller Parlamentsmitglieder unter die Lupe zu nehmen. In
diesem Zusammenhang laufen bereits Vorermittlungen gegen Somchais Tochter Chinnicha. Die
Multimillionärin, auch Abgeordnete, ist an einer Firma beteiligt, die mit der Elektrizitätsbehörde ihrer
Heimatprovinz zusammenarbeitet.
Senator Ruangkrai war bereits derjenige, der Somchais Amtsvorgänger Samak Sundaravej durch
eine ähnliche Anzeige zu Fall gebracht hatte: Ein Gericht war zu der Entscheidung gelangt, Samaks
Kochshow im Fernsehen, für die er eine »Aufwandsentschädigung« erhielt, sei ein
verfassungswidriges Verhalten. Samak musste seinen Hut nehmen, und statt ihn erneut für den
Posten des Premiers zu nominieren, hatten sich die Volksmacht-Partei (PPP) und die Koalition vor
wenigen Wochen auf Somchai verständigt. Der ehemalige Richter, weniger aufbrausend als Samak,
sollte helfen, die Lage angesichts der seit Monaten andauernden innenpolitischen Krise in Thailand
zu beruhigen. Längst steht aber Somchai ebenfalls unter Beschuss.
Es geht dabei nicht vordergründig darum, dass er mit der Schwester des ins britische Exil
geflüchteten früheren Premiers Thaksin Shinawatra verheiratet ist. Ob und wieweit Somchai von
London aus »ferngesteuert« wird, ließe sich juristisch ohnehin kaum klären. Längst aber haben
Kritiker andere Angriffspunkte ausgemacht. Auch Ruangkrai hält noch mindestens ein Geschoss in
Reserve, sollte sein erster Angriff fehlschlagen. Vermutlich verfüge der Premier über ein großes
Grundstück, das in seiner Vermögensdeklaration nicht aufgelistet gewesen sei, ließ der Senator
wissen.
Während die Ermittlungen gegen den Regierungschef erst am Anfang stehen, könnte der noch vor
ihrem Abschluss seinen Posten verlieren. Dann nämlich, wenn das Oberste Gericht bestätigen
sollte, dass sich Funktionäre seiner Partei PPP der Wahlmanipulation schuldig gemacht haben. Laut
Gesetz kann dafür die gesamte Partei mit Auflösung bestraft werden. Eben dieses Schicksal hatte
die Vorgängerin der PPP, die Partei Thai Rak Thai (Thais lieben Thais), von Thaksin Shinawatra
2007 ereilt.
Seinen regulären Amtssitz hat Somchai noch nicht einmal betreten, denn der wird nach wie vor von
tausenden Aktivisten der Volksallianz für Demokratie (PAD) besetzt gehalten. Die
außerparlamentarische Oppositionsbewegung will nach Samak nun auch ihn und die gesamte PPPSpitze
stürzen. Zwar traf sich Chamlong Srimuang, einer der beiden prominentesten PAD-Führer, zu
einem kurzen Gespräch mit Regierungsunterhändler Chavalit Yongchaiyudh. Zum Ausgang des
kurzen Treffens aber gab es unterschiedliche Bewertungen: Chavalit sieht eine Einigung in
greifbarer Nähe, Chamlong hingegen betonte, dass ein Ende der Proteste nicht absehbar sei. Auch
ein Treffen von Premier Somchai mit Prem Tinsulanonda, Exgeneral, Regierungschef in den 80er
Jahren und engster Berater des Königs, dürfte kaum Fortschritte bringen. Prem stand 2006
angeblich hinter dem Militärputsch gegen Thaksin.
Die Krise lähmt die thailändische Politik schon seit etlichen Monaten und sorgt für traurige Rekorde.
Zum Beispiel im Außenamt, wo der im September vereidigte Minister Sompong Amornwiwat schon
der fünfte auf diesem Posten binnen neun Monaten ist. Sein Vorgänger Saroj Chavanavirat war
kaum 48 Stunden im Amt und hatte noch nicht einen Fuß in sein Ministerium gesetzt, als Samak und
mit ihm dessen Regierung entlassen wurde. Und auch dessen Vorgänger Tej Bunnag brachte es
lediglich auf 39 Amtstage.
* Aus: Neues Deutschland, 4. Oktober 2008
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