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Gegen Amnestie

Zehntausende protestieren in Thailands Hauptstadt Bangkok gegen neues Gesetz. Angst vor Rückkehr von Expremier Thaksin Shinawatra

Von Thomas Berger *

Mehrere zehntausend Menschen haben in Bangkok am Montag gegen ein in der Vorwoche vom Unterhaus des Parlaments verabschiedetes Amnestiegesetz protestiert. Frühestens am Freitag und spätestens kommenden Montag muß sich der Senat als zweite Kammer mit dem Papier befassen. Zugleich wächst der Druck auf Premierministerin Yingluck Shinawatra.

Im Geschäftsviertel Bang Rak zogen nach Polizeiangaben mindestens 8000 Menschen mit Trillerpfeifen durch die Hauptstraße Thanon Silom. Veranstalter und Beobachter sprachen von über 10000 Teilnehmern. An einer großen Kreuzung, wo Hunderte Regierungsgegner seit Wochen in einem Camp ausharren, vereinigten sich mehrere Demonstrationszüge verschiedener Gruppen, um gemeinsam weiter durch die Innenstadt zu ziehen. Mehrere zehntausend Teilnehmer bahnten sich thailändischen Medien zufolge dann ihren Weg bis zum Sanam Luang, einer großen Freifläche unmittelbar neben den bekanntesten Tempelanlagen der Metropole. Dozenten und Studenten der renommierten Thammasat-Universität stellten sich nahezu geschlossen hinter die Widerstandsfront gegen das Gesetz. Die Rektoren von 14 Hochschulen haben die Regierung dringend zum Einlenken aufgefordert. Eine Art Warnung äußerte auch Armeechef General Prayuth Chan-Ocha: Shinawatra müsse die Konfrontationen dringend beenden und eine Lösung finden, sonst müsse das Militär eingreifen.

Auf dem Höhepunkt ähnlicher Protestwellen hatte die damalige Armeeführung 2006 mit einem unblutigen Putsch die Macht ergriffen und Expremier Thaksin Shinawatra, den älteren Bruder der heutigen Ministerpräsidentin, während eines Auslandsaufenthaltes gestürzt. Seither lebt er im Exil. Was die Demonstranten in so großer Zahl auf die Straße treibt, ist die Sorge, der vor allem bei der armen Landbevölkerung im Norden und Nordosten noch immer populäre Politiker und Ex-Milliardär, dessen Vermögen zum Teil vom Staat eingezogen wurde, könnte auf Basis des Gesetzes demnächst eine Rückkehr wagen. Die von einem Mitglied der Regierungspartei Pheu Thai ursprünglich eingebrachte Vorlage hatte eine Amnestie nur für Teilnehmer jener Protestaktionen vorgesehen, die das Land seit 2006 immer wieder erschütterten. Die sogenannten Gelbhemden, radikale Thaksin-Gegner, hatten 2008 zeitweise beide Hauptstadt-Flughäfen besetzt und für Chaos gesorgt.

Im Frühjahr dagegen gehörten die Straßen des Zentrums eher den Rot-hemden, die mit der heutigen Regierung sympathisieren. Viele ihrer einstigen Anführer sind aber ebenfalls gegen den geänderten Gesetzentwurf, weil dieser nun wesentlich breiter gefaßt ist. Damit würde eine Amnestie auch für die Verantwortlichen des Militäreinsatzes gegen die Rothemden in Frage kommen, bei dem am 19. Mai 2010 Dutzende Demonstranten getötet wurden. Ob die Vorlage allerdings den Senat passiert, ist ungewiß, da die Regierung dort nicht über eine solch deutliche Mehrheit wie im Abgeordnetenhaus verfügt.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 5. November 2013


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