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Kein Studium für Arme

Studentenstreiks im ostafrikanischen Tansania unterdrückt

Von Janna Degener *

Nachdem die rund 30000 Bachelor-Studierenden von sieben staatlichen Hochschulen gegen die Streichung von Regierungsgeldern und Korruption bei der Vergabe von staatlichen Stipendien protestiert hatten, wurden sie kollektiv exmatrikuliert und die Universitäten für zwei Monate geschlossen. Inzwischen hat der Studienalltag wiederbegonnen - jedoch ohne die »Störenfriede«.

Auf dem grünen Campushügel der University of Daresslaam (UDSM) scheint wieder der Alltag eingekehrt zu sein: Durch offenstehende Türen sieht man, wie die Professoren in Hörsälen ihre Vorlesungen abhalten, Studenten laufen mit Heften und Büchern unter dem Arm über den Campus oder sitzen im Schatten der Bäume im Gras und diskutieren. Kaum zu glauben, daß die Unileitung hier, an der renommiertesten der tansanischen Universitäten, vor rund sechs Monaten nach dreitägigen Studentenstreiks sämtliche Studierende mit Polizeihilfe und unter Einsatz von Maschinengewehren, Wasserwerfern und Barrikadenräumern aus den Wohnheimen geworfen und vom Campus verwiesen hat, um die Universität - wie es damals hieß - für unbestimmte Zeit zu schließen. Wie die tansanische Zeitung The Citizen berichtete, wurden damals zudem vereinzelte Köpfe des Studentenprotestes und aktive Mitglieder der Studentenorganisation DARUSO, der alle immatrikulierten Studierenden angehören, wegen »Aufhetzung ihrer Kommilitonen« verhaftet. Wiedereinschreiben durften sich zwei Monate später nur diejenigen, die keine koordinierende Rolle bei den Streiks übernommen hatten und die sich von den Forderungen der Protestbewegung distanzierten.

Als Grund für das rigorose Vorgehen gegen die Proteste wurde eine interne Regelung genannt, laut der Studierenden das Streiken verboten ist. Tatsächlich darf die Universitätsleitung, so heißt es in der Studienordnung, in die Aktivitäten der Studentenorganisation eingreifen, wenn »der Frieden und die Ruhe an der Universität gefährdet sind«.

Hintergrund der Proteste ist eine aktuelle Gesetzesänderung, die von der tansanischen Regierung im Rahmen einer als »Cost Sharing Policy« bekannten Umstrukturierung des Bildungssystems umgesetzt wurde: Nachdem sich die während Präsident Nyereres »afrikanischem Sozialismus« eingeführte staatliche Komplettfinanzierung der Studenten unter dem Eindruck einer kriselnden Wirtschaft und der sich verändernden globalen politischen Lage für die Einparteienregierung Tansanias Mitte der achtziger Jahre nicht mehr tragen ließ, wurde in Tansania im Kreise einer durch IWF und Weltbank unterstützten schrittweisen Wirtschaftliberalisierung diese Cost Sharing Policy für das Bildungssystem eingeführt, die über einen längeren Zeitraum hinweg beginnend ab 1992 in mehreren Phasen eine finanzielle Entlastung des Staates ermöglichen und zu einer generellen Umverteilung im Bildungssystem führen soll.

Im Rahmen des Cost-Sharing-Programms wurden von den Universitäten Studiengebühren eingeführt, die sich auf mehrere tausend US-Dollar pro Jahr und Student belaufen. Die Regierung bot allen Studierenden im Gegenzug Kredite, die diese Studiengebühren vollständig deckten. Doch damit ist nun auch Schluß. In der vorerst letzten Phase, die 2006 eingeläutet wurde, stellt die Regierung nur noch Kredite zur Deckung von 60 Prozent der anfallenden Gebühren zur Verfügung.

Nachdem die Verteilung der Gelder zunächst von den Studienleistungen abhing, richtet sich die Höhe des Stipendiums seit vergangenen erfolgreichen Studentenprotesten nun nach den finanziellen Verhältnissen der Studierenden -- eine Regelung, die aufgrund korrupter Strukturen jedoch zu einer ungerechten Verteilung der Gelder führt. »Wer reich ist und gute Beziehungen hat, bekommt nach wie vor 100 Prozent seiner Kosten erstattet, während viele Arme sich das Studium jetzt überhaupt nicht mehr leisten können«, beklagen viele Studenten.

Ob diese Situation sich jetzt, da die Protestgruppe zerschlagen ist, noch ändern wird, ist unter Studierenden derweil umstritten. Während einige durch das brutale Vorgehen der Universitätsleitung den Glauben an ein demokratisches Unileben verloren haben, vermuten andere, daß die nächsten Proteste nicht lange auf sich warten lassen. »Wir sind erwachsene Leute, und wir bilden uns schon selbst unsere Meinung«, meint etwa eine Studentin, die sich weiterhin für eine faire Vergabe der Stipendien einsetzen möchte. Es werde sich sicherlich eine neue Protestgruppe bilden, meint sie. Schließlich könnten diese Probleme nicht über die Köpfe der Studierenden hinweg gelöst werden.

* Aus: junge Welt, 20. Mai 2009


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