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Völkerrecht verletzt

US-Repräsentantenhaus stimmt für Bewaffnung syrischer Kriegspartei

Von Karin Leukefeld *

Das US-Repräsentantenhaus hat am Mittwoch mit deutlicher Mehrheit dafür gestimmt, irreguläre Kampfverbände in Syrien zu bewaffnen. 273 Abgeordnete stimmten dafür, daß die von den USA als »moderate« Opposition bezeichneten Aufständischen mit 500 Millionen US-Dollar ausgerüstet werden sollen, 156 Abgeordnete stimmten dagegen. Während der sechsstündigen Debatte protestierten Frauen der Organisation »Code Pink« unter dem Motto »Mehr Krieg = mehr Extremismus« gegen die Entsendung von mehr Waffen in die Kriegsregion. Sie wurden von Polizeikräften abgeführt.

Die US-Strategie sieht vor, daß arabische Staaten eine besondere Rolle bei dem Kampf gegen den Terror des »Islamischen Staates« (IS) einnehmen sollen. Saudi-Arabien soll mehr als 5000 »überprüfte« Kämpfer ausbilden, die dann gegen IS und gegen die Regierung von Baschar Al-Assad in den Krieg ziehen sollen.

Mit der Entscheidung setzt sich die US-Administration demonstrativ über die Charta der Vereinten Nationen hinweg, die in Artikel 2 Abs. 4 untersagt, die »territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates« mit der »Androhung oder Anwendung von Gewalt« in Frage zu stellen. In Kapitel VII der UN-Charta werden zudem Entscheidungen über Krieg und Frieden ausschließlich dem UN-Sicherheitsrat zuerkannt. Dieser hatte Mitte Juli die Resolution 2170 verabschiedet, die alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen auffordert, den »Strom ausländischer Kämpfer, die Finanzierung oder andere Unterstützung von islamistischen extremistischen Gruppen im Irak und Syrien« zu unterbinden. Ausdrücklich erwähnt werden der »Islamische Staat«, die Al-Nusra-Front und »andere extremistische Gruppen«.

Der syrische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Baschar Al-Dschafari, kritisierte, daß der von den USA ausgerufene Kampf gegen den Terrorismus »ohne Koordinierung mit Syrien« stattfinde. So wie er geplant sei, diene er lediglich dazu, »sich immer weiter in die internen Angelegenheiten dieser Region einzumischen«. Der Kampf gegen Terrorismus müsse im Rahmen der UN-Resolution 2170 geführt werden. Die Entscheidung der US-Administration, ausschließlich gegen IS kämpfen zu wollen, die Nusra-Front und andere Gruppen aber zu übersehen, sei eine klare Verletzung dieser Resolution.

Staaten, die sich an der Anti-IS-Allianz beteiligten, hätten enge Verbindungen zur Nusra-Front, die vom Sicherheitsrat ausdrücklich als »terroristisch« eingestuft worden sei, führte Al-Dschafari aus. Syrien habe dem UN-Generalsekretär Dutzende »offizielle Dokumente und Fakten« vorgelegt, die den direkten Kontakt der Nusra-Front zu den Geheimdiensten von Katar, Türkei, Saudi-Arabien und Jordanien bewiesen, sagte der Botschafter. Man habe auch über die »Telefonnummer eines katarischen Geheimdienstoffiziers informiert, der bei der ersten Entführung von philippinischen Blauhelmsoldaten 2013 Anordnungen gegeben« habe, doch niemand habe reagiert.

Anfang der Woche war bekanntgeworden, daß die Vereinten Nationen die Soldaten der UN-Friedensmission auf dem Golan (UNDOF) »aus Sicherheitsgründen« von ihren Stellungen im syrischen Teil der entmilitarisierten Pufferzone zwischen Israel und Syrien abgezogen haben. Grund sei, daß sich »die Lage auf der syrischen Seite und in der Pufferzone sehr verschlechtert« habe und »bewaffnete Gruppen auf UNDOF-Stellungen« vorrückten, hatte der Sprecher von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, Stéphane Dujarric, erklärt.

Al-Dschafari kritisierte die Entscheidung. Die Kämpfer der Nusra-Front hätten erfolgreich die UNDOF-Stellungen auf der syrischen Seite eingenommen und sich mit Waffen, Uniformen, technischer Ausrüstung und Fahrzeugen versorgt, »die das Emblem der Vereinten Nationen tragen«. Die UN-Stellungen, die 40 Jahre lang den Waffenstillstand zwischen Syrien und Israel erfolgreich kontrolliert hätten, seien nun zu Stellungen geworden, von wo »die syrische Armee und Zivilisten in ihren Dörfern« angegriffen würden, sagte er.

* Aus: junge Welt, Freitag 19. September 2014


Wenn Präsidenten schwören

Obamas Versprechen, keine Bodentruppen in den Irak zu schicken, und die Realität

Von Knut Mellenthin **


In den Militärkreisen der USA gibt es niemand, der im »Krieg« gegen die im Irak und Syrien aktive Organisation »Islamischer Staat« (IS) einen künftigen Einsatz eigener Bodentruppen kategorisch ausschließen würde. Zuletzt hatte das Generalstabschef Martin Dempsey am Dienstag bei einem Kongreß-Hearing offen und deutlich ausgesprochen.

Nur Barack Obama hält noch an seiner Fiktion fest, daß ausschließlich andere diesen Krieg für die USA führen und gewinnen müßten. Vor Soldaten des für den Nahen Osten zuständigen Kommandos Mitte in Tampa, Florida, versprach der Präsident am Mittwoch: »Die amerikanischen Militärangehörigen, die im Irak im Einsatz sind, haben keinen Kampfauftrag und werden keinen bekommen. (…) Als euer Oberkommandierender werde ich euch und den Rest unserer Streitkräfte nicht verpflichten, nochmals einen Bodenkrieg im Irak zu führen.«

Ein ganz klein wenig relativierte der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, kurz darauf den Schwur seines Chefs: Obama sei von Fall zu Fall bereit, über den Einsatz amerikanischer Soldaten in »vorgeschobenen Stellungen« – »forward-deployed positions« – als Berater irakischer Kampftruppen nachzudenken. Diese US-Offiziere könnten dann, wenn nötig, auch Luftunterstützung anfordern. Nichts anderes, behauptete Earnest, habe auch Dempsey befürwortet.

Das ist jedoch falsch. In Wirklichkeit hatte der Generalstabschef von zwei verschiedenen Dingen gesprochen. Zum einen erwähnte er die Möglichkeit, amerikanische Berater als »eingebettete« Begleiter irakischer Truppen unmittelbar an schwierigen Offensivoperationen teilnehmen zu lassen. Als konkretes Beispiel nannte er die Rückeroberung von Mossul. Das ist ungefähr das, worauf sich Earnest jetzt bezog. Darüber hinaus hatte Dempsey aber auch gesagt: Die von den USA geführte Koalition sei seiner Ansicht nach ein erfolgversprechender Weg. »Aber wenn sich das nicht bewahrheitet und wenn es Gefahren für die USA gibt, dann werde ich selbstverständlich zum Präsidenten gehen und ihm eine Empfehlung vorlegen, die den Einsatz von US-Bodentruppen beinhalten könnte.«

Das ist in der Tat so selbstverständlich, daß es interessant wäre, Obamas Gegenposition zu kennen: Hat er irgendeine wasserdichte Garantie, daß der Kampf gegen den IS ohne US-Bodentruppen zu gewinnen ist? Oder will er seine Militärintervention abbrechen, wenn die Dinge nicht wie gewünscht laufen? Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß Obama, wie alle US-Präsidenten vor ihm, die solche Versprechen abgaben, sich einfach nur über die Runden zu lügen versucht. Seit Juni hat er die Zahl der im Irak eingesetzten Soldaten und Offiziere auf 1 600 aufstocken lassen. Darunter sind 475 Militärangehörige, deren Entsendung Obama am Mittwoch voriger Woche bekanntgab. 125 sollen vom Boden aus die amerikanischen Luftangriffe unterstützen. 200 Männer und Frauen sollen die US-Militärmissionen in Bagdad und in Irbil, der Hauptstadt der Kurdenregion, verstärken. Die restlichen 150 Personen werden die schon vorhandenen etwa zwölf Beratergruppen verstärken, die direkt bei den irakischen Sicherheitskräften tätig sind.

In seiner Kampagne zur Präsidentenwahl 2008 hatte sich Obama dafür ausgesprochen, eine nicht definierte Zahl von US-Soldaten langfristig im Irak zu lassen. Sie sollten unter anderem die Autonomie der Kurdenregion im Nord­irak schützen, den »Kampf gegen Al-Qaida« fortsetzen, irakische Truppen ausbilden sowie Transportwege, Knotenpunkte und wichtige Objekte bewachen. In seinen letzten Amtsmonaten vereinbarte Obamas Vorgänger George W. Bush mit der irakischen Regierung den nahezu vollständigen Abzug aller US-Truppen bis zum Dezember 2011. Obama ließ bis zum letzten Moment mit Bagdad über seinen Wunsch verhandeln, 3000 bis 5000 US-Soldaten langfristig im Irak zu stationieren. Das scheiterte damals nur an der Weigerung des irakischen Parlaments, diesen Truppen rechtliche Immunität zu garantieren.

* Aus: junge Welt, Freitag 19. September 2014


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