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Militärisch irrelevant

US-Kongreß ermächtigt Präsident Obama, eine syrische Fremdenlegion aufzustellen. Die stünde aber erst in einem Jahr zur Verfügung

Von Knut Mellenthin *

US-Präsident Barack Obama hat am Sonnabend ein Ausgabengesetz unterzeichnet, das das finanzielle Überleben seiner Regierung zumindest bis zum 11. Dezember sicherstellt. Teil des umfangreichen Pakets ist ein Zusatz, der die Regierung ermächtigt, »angemessen überprüfte« Syrer für den Kampf gegen die Mörderbanden der in Syrien und im Irak aktiven Gruppe »Islamischer Staat« (IS) auszubilden, auszurüsten und zu versorgen.

Die Ergänzung war zuvor am Mittwoch vom Abgeordnetenhaus mit 273 gegen 156 Stimmen und am Donnerstag vom Senat mit 78 gegen 22 Stimmen gebilligt worden. In beiden Häusern des Kongresses spaltete das Votum sowohl die Demokraten als auch die Republikaner. Im Abgeordnetenhaus stimmten 85 Demokraten und 71 Republikaner gegen das Syrien-Amendment, im Senat zehn Demokraten und zwölf Republikaner. Die demokratischen Gegenstimmen kamen ausschließlich von Kriegsskeptikern. Die meisten Republikaner, die den Zusatz ablehnten, befürworten dagegen ein stärkeres direktes Eingreifen der USA sowohl in Syrien als auch im Irak. Bei vielen Republikanern verbindet sich das mit der auch von zahlreichen Demokraten geteilten Forderung, daß Obama für seinen neuen Krieg die Zustimmung des Kongresses einholen muß.

Der Syrien-Zusatz gilt zunächst nur so lange wie das gesamte Ausgabengesetz, also bis zum 11. Dezember. Anschließend müßte die Regelung erneuert oder verlängert werden. Sie enthält außerdem Festlegungen zu Überprüfungs- und Kontrollmechanismen. Im Gegensatz zur vorherrschenden Tendenz der Agenturmeldungen werden mit dem Zusatz nicht die 500 Millionen US-Dollar bewilligt, die Obama vom Kongreß für dieses Vorhaben gefordert hatte. Er besagt lediglich, daß das Pentagon die erforderlichen Finanzmittel bei den Verteidigungsausschüssen beider Häuser beantragen kann und ermächtigt es darüber hinaus, für diesen Zweck Gelder und Sachunterstützung bei ausländischen Regierungen einzuwerben.

Das Amendment enthält keine Angabe, wie viele Syrer in das Programm aufgenommen werden sollen. Es beschreibt die in Frage kommenden Kreise lediglich vage als »angemessen überprüfte Elemente der syrischen Opposition und andere angemessen überprüfte syrische Gruppen und Individuen«. Der zweite Teil des Satzes ist unverständlich und läßt den Verdacht aufkommen, daß auch Söldner ohne spezielle politische Motivation und Bindung, insbesondere aus dem syrischen Exil, rekrutiert werden könnten. Als Zweck der Maßnahmen wird die »Verteidigung des syrischen Volkes« gegen die Angriffe des IS und »die Sicherung des unter Kontrolle der syrischen Opposition stehenden Territoriums«, nicht jedoch der Kampf gegen die Regierung in Damaskus genannt.

Generalstabschef Martin E. Dempsey und Verteidigungsminister ­Charles Hagel gaben in der vergangenen Woche bei Kongreßanhörungen einige Informationen zu dem Ausbildungs- und Ausrüstungsprojekt. Demnach geht es zunächst um rund 5000 Personen. Die Ausbildung soll hauptsächlich in Saudi-Arabien stattfinden und zwischen acht und zwölf Monaten dauern. Insgesamt würden nach Aussage Dempseys 12000 Mann benötigt, um »die befreiten Gebiete in Syrien zu kontrollieren und die Grenze zum Irak wiederherzustellen«. Diese Zahl erscheint allerdings erstaunlich niedrig. Nach jüngster Schätzung der CIA verfügt allein der IS in Syrien über 14000 bis 20000 Kämpfer. Andere islamistische Banden kommen hinzu, und nicht zuletzt müßte sich die von den USA auf die Beine gestellte Fremdenlegion auch gegen die syrischen Streitkräfte behaupten.

Schon das Rekrutieren von 5000 Personen für die erste Phase des Projekts wird kaum lösbare Schwierigkeiten aufwerfen. Insgesamt käme das Vorhaben selbst bei günstigstem Vorlauf zu spät, um militärisch relevant zu werden. Es bleibt abzuwarten, wie Obama dieses Problem lösen will.

* Aus: junge Welt, Montag 22. September 2014

Anmerkung:
Die Antwort auf die am Ende des Artikels aufgeworfene Frage beantwortete Obama einen Tag später: Am 23. September ließ er den kurdisch besiedelten Teil des nördlichen Syrien bombardieren: mit Marschflugkörpern, Kampfflugzeugen und bewaffneten Drohnen. Siehe hierzu: Protest gegen US-Luftkrieg in Syrien / Friedensratschlag: "flagranter Bruch des Völkerrechts". (Anm.: AGF)



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