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Saudi-Arabien – Hauptstörfaktor in Syrien

Solange das Königshaus weiter einen Kurs der Konfrontation verfolgt, haben Verhandlungen wenig Chancen

Von Karin Leukefeld *

Die zweite Runde der Syrien-Friedensgespräche soll am Montag in der Schweiz beginnen. Dies ist möglich, nachdem auch die offizielle syrische Seite ihre Teilnahme am Freitag zugesagt hatte.

Wenn am heutigen Montag in Genf die zweite Runde der syrisch-syrischen Gespräche beginnt, kommt auf den Syrien-Vermittler der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, den Algerier Lakhdar Brahimi, keine leichte Aufgabe zu. Die Positionen liegen weit auseinander. Der syrische Informationsminister Omran al-Zoubi erklärte, die Regierungsdelegation wolle das sogenannte Genfer Abkommen vom Juni 2012 »Punkt für Punkt« abarbeiten, obwohl man an seiner Formulierung nicht beteiligt gewesen sei.

Die von den USA und den westlichen »Freunden Syriens« unterstützte Delegation der Nationalen Koalition, des im Exil konstituierten Oppositionsverbundes (Etilaf), konzentriert sich weiter auf die Forderung nach dem Rücktritt von Präsident Baschar al-Assad. Gespräche zwischen Etilaf und Vertretern des oppositionellen Nationalen Koordinationskomitees für Demokratischen Wandel in Syrien in Kairo über eine Erweiterung der oppositionellen Delegation hatten vergangene Woche keine Annäherung gebracht.

Hinter den Kulissen drängen Russland und die USA offenbar die regionalen Drahtzieher des Krieges in Syrien an einen eigenen Verhandlungstisch. Der Äußerung des türkischen Präsidenten Abdullah Gül, dass Ankara die Politik gegenüber Syrien »neu justieren« müsse, folgte der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Teheran, um über die Sicherheitslage in der Region zu sprechen. Waffenlieferungen und der Strom von Kämpfern, die in dem NATO-Staat Türkei gesammelt, ausgebildet, ausgerüstet und dann nach Syrien geschickt werden, sind innerhalb der NATO-Staaten inzwischen offenbar thematisiert worden. Die Sorge, dass die Kampfhandlungen in Syrien auch dessen Nachbarn erfassen könnten, scheint die USA und ihre Verbündeten zum Umdenken zu bewegen.

Saudi-Arabien, das mit Katar und weiteren Staaten des Golfkooperationsrates zu den größten Geldgebern und Ausrüstern diverser Kampfverbände in Syrien gehört, scheint allerdings kaum bereit, seinen Kurs auf Destabilisierung der Assad-Regierung zu stoppen. Der ehemalige saudische Geheimdienstchef Prinz Turki bin Faisal al-Saud warf erst kürzlich auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos den USA vor, Damaskus gegenüber nicht hart genug vorzugehen. Washington wisse nicht, was es wolle. Er fordere die US-Amerikaner auf, »im Sicherheitsrat eine Resolution durchzusetzen, damit Streitkräfte entsandt werden, um die Kämpfe in Syrien zu stoppen«, sagte Faisal. Er sage nicht, »dass die Sunniten (nach Syrien, K. L.) in den Kampf ziehen sollen«, so Faisal, der Iran beschuldigt (schiitische) Milizen in Syrien kämpfen zu lassen. Der einzige Weg, um »diese (Schiiten) Leute da raus zu kriegen«, sei eine internationale, von den USA und ihren Verbündeten geführte Militäroperation. Der saudische Prinz, der nach seiner Geheimdienstkarriere Botschafter seines Landes in Großbritannien und den USA war, gilt als scharfer Kritiker der Annäherungspolitik von US-Präsident Barack Obama gegenüber Iran.

Die libanesische Zeitung »Al Akh-bar« berichtete, dass Washington dem saudischen Königshaus bereits Ende vergangenen Jahres eine umfangreiche Dokumentation vorgelegt haben soll. Es sei darin um mit Saudi-Arabien in Verbindung gebrachte terroristische Aktivitäten in Syrien, Irak, Libanon, Jemen und selbst in Russland gegangen. Nach US-Lesart ist das nicht mit dem amerikanisch-saudischen Schutzabkommen aus dem Jahr 1945 vereinbar. Die Dokumentation liegt demnach dem UN-Sicherheitsrat vor und dürfte auch in Berlin bekannt sein.

Riad, das vor allem im militärischen Bereich von den USA abhängig ist, reagierte schnell. Am 3. Februar erließ der saudische König Abdullah ibn Abdulaziz eine umfangreiche »königliche Anordnung«, die jeden Saudi, der sich an terroristischen Aktivitäten beteiligt, mit hohen Haftstrafen droht. Die saudische Presseagentur veröffentlichte den Text, wonach »jeder, der sich an feindseligen Handlungen außerhalb des Königreichs beteiligt oder darin verwickelt ist oder der sich einer radikalen religiösen und geistigen Gruppe oder Strömung anschließt«, bestraft werde. Angehörige der saudischen Streitkräfte, die das täten, müssen demnach mit Haftstrafen rechnen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 10. Februar 2014


Freie Fahrt zum Krieg nach Syrien

Türkei Transitland für deutsche Islamisten **

Die Türkei hat bislang nur in Einzelfällen Islamisten aus Deutschland auf ihrem Weg in den syrischen Bürgerkrieg aufgehalten und zurückgeschickt. Aus dem Jahr 2013 seien weniger als zehn Fälle bekannt, in denen die Behörden Dschihadisten nach Deutschland abgeschoben hätten, erklärte das Bundesinnenministerium auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag.

Seit längerem gibt es Kritik aus Europa, die Türkei tue zu wenig gegen die Durchreise ausländischer Kämpfer ins Nachbarland Syrien. Einen türkischen Medienbericht, wonach die Türkei sehr wohl groß angelegte Aktionen gegen europäische und auch deutsche Islamisten gestartet habe, wies die Bundesregierung ausdrücklich zurück.

Die türkische Zeitung »Habertürk« hatte im Dezember berichtet, die dortigen Behörden hätten 2013 insgesamt 1100 angereiste Dschihadisten aus Europa festgenommen und in ihre Heimat zurückgeschickt. Der Großteil der Kämpfer sei aus Deutschland, Belgien, Frankreich und den Niederlanden gekommen. Einen Bericht darüber habe Ankara an die Regierungen jener Länder geschickt.

Die Bundesregierung wisse von alldem nichts, wie sie nun erklärte. Auch der erwähnte Bericht aus Ankara sei nicht bekannt. Es gebe lediglich die Erkenntnisse über die »weniger als zehn« abgeschobenen Islamisten. Zwei davon hätten »Kampferfahrung« gehabt.

Eine offizielle Bestätigung für die angebliche Abschiebewelle habe es von türkischer Seite nie gegeben. Beobachter werteten den Bericht als Versuch Ankaras, den Vorwürfen aus Europa und im eigenen Land entgegenzutreten. Auch die türkische Opposition hatte der Regierung vorgeworfen, den Aufmarsch radikaler Islamisten im Grenzgebiet zu Syrien erlaubt und damit dem Terror den Boden bereitet zu haben.

Die LINKE-Innenpolitikerin Ulla Jelpke, die die Anfrage gestellt hatte, sagte gegenüber dpa, es handele sich bei dem Bericht offenbar um eine »gezielte Fehlinformation«. »Offenkundig versucht die Erdogan-Regierung durch solche Falschmeldungen, Kritiker ihrer Syrien-Politik im eigenen Land und bei den westlichen Regierungen zu täuschen.«

Nach Einschätzung deutscher Sicherheitskreise könnte die Türkei deutlich mehr tun, um die Einreise ausländischer Kämpfer nach Syrien zu verhindern. Die Türkei sei ein Vorbereitungsraum für Dschihadisten aus Europa auf dem Weg in das Kriegsgebiet. »In der Türkei versammeln sie sich und gehen dann über die Grenze. Da wünscht man sich schon ein stärkeres Eingreifen der türkischen Behörden«, hieß es. »Die Zusammenarbeit ist durchaus verbesserungsfähig.«

Die Zahl der Islamisten, die von Deutschland Richtung Syrien ausgereist sind, ist in den vergangenen Monaten rasant gestiegen. Der Verfassungsschutz hat inzwischen mehr als 270 Ausgereiste gezählt.

** Aus: neues deutschland, Montag, 10. Februar 2014


Angst und Schrecken durch Fassbomben aus Helikoptern

Der UNO-Generalsekretär brandmarkt den Einsatz der geächteten Waffenart im syrischen Bürgerkrieg, obwohl Beweise für ihren Einsatz rar sind

Von Roland Etzel ***


Regierungstruppen sollen auch vergangene Woche im Kampf gegen Freischärler in Aleppo sogenannte Fassbomben eingesetzt haben. Der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte diese Praxis.

Am Wochenende wurde nicht zum ersten Mal davon berichtet, dass die syrische Luftwaffe Fassbomben abgeworfen habe. Dies sei vor allem in Großstädten wie Aleppo und Homs geschehen, wo Regierungsgegner sich in Stadtvierteln verschanzt hätten, die von Bodentruppen der Armee nur unter sehr hohen Verlusten zurückerobert werden könnten. Vor einem Bombardement durch Kampfflugzeuge schreckt die Armeeführung offenbar zurück.

Bei den Fassbomben soll es sich um mit Sprengstoff und Nägeln gefüllte zylinderförmige Metallbehälter handeln, die aus Hubschraubern abgeworfen werden und kurz vor oder nach ihren Auftreffen bei der Detonation eine besonders zerstörerische Wirkung entfalten. Die Opferzahl ist entsprechend hoch, trifft unterschiedslos Kombattanten wie Zivilisten und gehört deshalb zu den international geächteten Waffenarten. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat Luftangriffe der Regierung und den Einsatz von Fassbomben im syrischen Bürgerkrieg bereits mehrfach verurteilt, zuletzt am Freitag.

Laut dem Fernsehsender n-tv, der sich wiederum auf verschiedene Quellen – diffuse, aber auch die dpa – bezieht, seien durch Luftangriffe mit Fassbomben allein in der letzten Januarwoche in Syriens zweitgrößter Stadt Aleppo »nach Angaben von Aktivisten« mindestens 85 Menschen getötet worden, darunter viele Zivilisten und ein Dutzend Kinder. Wie die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) schrieb, habe die syrische Luftwaffe die mit dem Sprengstoff TNT gefüllten Fässer von Hubschraubern oder Flugzeugen aus auf von Rebellen beherrschte Viertel im Osten der Stadt abgeworfen. Allein im Stadtteil Tarik al-Bab seien so 33 Menschen getötet worden. Laut SOHR waren zuvor bei einem ähnlichen Angriff acht Kämpfer der islamistisch-fundamentalistischen Rebellengruppe Nusra-Front getötet worden.

In seiner Rüge nennt der UNO-Generalsekretär die Tötung von Zivilisten durch derlei Bomben ein unentschuldbares Verbrechen, selbst wenn dies nicht beabsichtigt gewesen sei. Der Einsatz dieser verbotenen Waffen ziehe in Wohngebieten eben vorhersehbar verheerende Folgen nach sich. So erklärte es Bans Sprecher Martin Nesirky. Bei den israelischen Angriffen auf zivile Viertel in Gaza Anfang 2009 hatte Ban allerdings diesbezüglich noch ein gewisses Verständnis für die bombardierende Seite gezeigt, obwohl auch damals geächtete Waffenarten eingesetzt wurden.

Im Falle der Fassbomben-Angriffe machte Nesirky keine Angaben, wann und wo diese nach Meinung der UNO erfolgt seien und auf welche Quelle man sich dabei bezieht. Es gibt darüber, wie es aussieht, wenig beweiskräftiges Material. Obwohl in den zurückliegenden Monaten mehrfach über Fassbomben-Abwürfe berichtet wurde, werden dabei fast immer dieselben Filmsequenzen gezeigt; häufig mit dem Zusatz, es handele sich um Informationen der SOHR, deren Angaben nicht überprüft werden könnten. Dass es Fassbomben-Angriffe gegeben hat, dürfte dennoch außer Zweifel stehen. Die syrische Armee, von der es heißt, sie stelle diese Sprengkörper in Eigenregie her, hat das zwar niemals eingeräumt. Ein Dementi gibt es von offizieller syrischer Seite bislang aber auch nicht.

Russland, dass voriges Jahr, als der syrischen Armee der Einsatz von Giftgas unterstellt wurde, vehement dementierte und eigenes Material zur Entlastung der Regierungstruppen unterbreitete, gibt sich zum Thema Fassbomben recht wortkarg. Die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti gibt dazu lediglich dürre AFP-Meldungen wieder und beruft sich ansonsten auf SOHR. Russische Autoritäten äußern sich öffentlich gar nicht und verweisen, so wie das Außenministerium am Donnerstag, gern darauf, dass man die Glaubwürdigkeit der von SOHR verbreiteten Informationen prinzipiell anzweifele.

* Aus: neues deutschland, Montag, 10. Februar 2014


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