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"Eine Wahl wird unserem Land nicht helfen"

Syrien: Viele Frauen arbeiten in Komitees mit, die lokale Waffenstillstände aushandeln. Ein Gespräch mit Mouna Ghanem *


Mouna Ghanem ist Mitbegründerin des Netzwerks »Frauen für Frieden in Syrien«. Sie gehört auch dem Vorstand der oppositionellen Bewegung »Den syrischen Staat aufbauen« an.


Es gibt in Syrien mittlerweile lokale Waffenstillstände. Ist das ein gutes Zeichen für den Rest des Landes?

Die hatten wir schon vor zwei Jahren vorgeschlagen. Auch wenn es so lange gedauert hat – es ist es eine gute Entwicklung. Die Regierung zeigt sich entspannt, sie hat das Gefühl, die Kontrolle zurückgewonnen zu haben. Viele Menschen teilen diese Einschätzung. Die Auslandsopposition hat kaum Einfluß auf das, was hier geschieht. Nach allem, was ich höre, hat sie auch keine Zukunft in Syrien. Jetzt warten wir auf den Juni. Soviel ich weiß, sollen dann Präsidentschaftswahlen stattfinden.

Es gibt aber immer noch Krieg in Teilen des Landes, in manchen Gebieten hat die Regierung nichts mehr zu sagen. Wie kann man da Wahlen organisieren?

Sie plant das ein, sie wird schon einen Weg finden. Ich gehe übrigens nicht davon aus, daß internationale Beobachter zu den Wahlen zugelassen werden.

Was wird die Inlandsopposition tun, der Sie angehören?

Die Wahl boykottieren – die Mehrheit der Syrer ist einfach nicht in der Lage, an ihr teilzunehmen. Ich habe viel darüber nachgedacht, aber eine Wahl wird unserem Land nicht helfen.

Gibt es andere Stimmen innerhalb der Opposition?

Mir sind keine Diskussionen bekannt. In den vergangenen Jahren konnten leider nur sehr wenige Leute in der Opposition Vertrauen und Glaubwürdigkeit aufbauen, traurig genug.

Wir haben lange Jahre unter einem autoritären politischen System gelebt, aber wir wurden als Syrer im Ausland respektiert. Heute will jeder für sich Vorteile aus den Syrern herausschlagen.

Sie haben an den offiziellen Genfer Gesprächen über Syrien nicht teilgenommen, aber dort andere Kontakte gepflegt – mit welchem Ziel?

Wir hatten vor Beginn der Genfer Gespräche mehrere Umfragen zur Lage im Land gemacht, das Ergebnis wollten wir mitteilen. Ich hatte auch ein Gespräch mit dem deutschen Botschafter bei der UN in Genf, und es tut mir sehr leid, sagen zu müssen: Dieser Herr hat keine Ahnung von dem, was bei uns im Lande geschieht.

Worüber haben Sie mit ihm gesprochen?

Ich habe ihm gesagt, daß Deutschland und Europa nach drei Jahren ihr humanitäres Engagement ändern müssen. Wir haben Entwicklungshilfe nötig – brauchen aber niemanden, der unsere Menschen wie Tiere füttert. Wir brauchen Hilfe, um wieder in Würde leben zu können. Er entgegnete, das sei die Verantwortung von Bashar Al-Assad, er sei der Präsident.

Aber: Europa hat ihm die Legitimation entzogen und jetzt soll er verantwortlich sein?! Europa soll endlich aufhören, unseren Menschen falsche Versprechungen zu machen. Es reicht!

Haben Sie die Lage der Frauen in den Flüchtlingslagern angesprochen?

Ich habe ihm vorgehalten, daß Frauen in den Lagern sexuell mißbraucht werden und gefragt, warum seine Regierung nicht Druck auf die jordanische Regierung ausübt, damit sie gegen das Prostitutionsnetzwerk vorgeht, das sich im Zaatari Lager ausgebreitet hat. Er war schockiert, vermutlich weil ich anders mit ihm gesprochen habe, als die Leute vom Oppositionsbündnis Nationale Koalition. Er hat die gleichen Argumente benutzt wie sie.

Wie arbeitet das Netzwerk »Frauen für Frieden in Syrien«?

Wir sind sehr aktiv und bekommen immer mehr Mitstreiterinnen. Bei uns gibt es Seminare über »Frieden und Sicherheit« und zum Thema »Übergangsjustiz«. Alle denken, daß die Justiz in der Übergangsphase nach Ende des Bürgerkrieges die Aufgabe hat, die Mörder zu bestrafen.

Uns hingegen geht es nicht um Bestrafung, sondern um die Reform der Justiz, damit Rechtsstaatlichkeit einzieht. Es geht um Versöhnung, um Vergeben und Wiedergutmachung – aber nicht um Bestrafung. Viele unserer Frauen waren in den vergangenen Monaten an den Versöhnungskomitees beteiligt, die über lokale Waffenstillstände verhandelt haben.

Interview: Karin Leukefeld, Damaskus

* Aus: junge welt, Samstag, 8. März 2014


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