Der Ton der Verzweiflung
In Syrien ist der Krieg allgegenwärtig. Unzählige Tote, zerstörte Häuser, steigende Preise für die wichtigsten Produkte zum Überleben
Von Karin Leukefeld, Damaskus *
Eine schwarze Rauchsäule steigt über Damaskus auf. »Jobar«, sagt der Fahrer und meint, dass in dem Vorort Jobar östlich von Damaskus wohl wieder heftig gekämpft wird. »Vielleicht wurde ein Tanklager getroffen«, überlege ich, denn das, was dort brennt, ist kein gewöhnliches Feuer. »Oder ist es vielleicht Jarmuk«, sage ich dann, um den Gedanken gleich wieder zu verwerfen. Jarmuk liegt südlich des Stadtzentrums, vielleicht steht diese Rauchsäule wirklich über Jobar.
Für einen Moment wird es still im Auto. Weit breitet sich Damaskus und sein Umland in der vor uns liegenden Ebene aus. Dunst hängt über der syrischen Hauptstadt, die nach vier Jahren Krieg noch immer wie ein Fels in der Brandung liegt. Hunderttausende Inlandsvertriebene haben mehr schlecht als recht eine Bleibe gefunden: in Schulen und Sportstadien, in einfachen Hotels, jedes Zimmer, das noch frei war, hat vielen Personen Platz gemacht. Doch werden die Menschen je ihre Häuser und Werkstätten, ihre Gärten und Geschäfte wiedersehen? Viele glauben nicht mehr daran, dass es bald Frieden in Syrien geben könnte und sind in alle Himmelsrichtungen geflohen. »Alle, die jetzt in Europa oder auch in den Flüchtlingslagern sitzen, werden nicht zurückkommen«, ist der Fahrer überzeugt. »Wo sollen sie hin, was sollen sie tun, wer wird ihnen, uns helfen, Syrien wieder aufzubauen«, fragt er mit einem deutlichen Ton der Verzweiflung. Alles ist dreimal so teuer wie noch vor wenigen Monaten, sagt er. Benzin, Diesel, Heizöl, Gas, »selbst der Preis für das vom Staat subventionierte Brot ist gestiegen: von 25 auf 35 Syrische Pfund, umgerechnet etwa 40 Eurocent. Für Menschen, die nichts haben, ist das zu viel.
Stille tritt ein im Auto. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach, während der Wagen auf den letzten großen Kontrollpunkt vor der Hauptstadt zufährt. Wie wird es den Freunden und Bekannten ergangen sein, frage ich mich. Wie wird die Stadt aussehen? Heftige Windböen treiben Staub, Dreck und die allgegenwärtigen Plastiktüten vor sich her durch die Straßen. Cafés und Geschäfte schließen ihre Türen, die Leute halten schützend die Hände vor das Gesicht. Katzen verkriechen sich unter leeren Kartonagen und Treppen, der Verkehr staut sich in den Straßen.
Wenn ich nach Damaskus komme, ist das Informationsministerium eine meiner ersten Adressen. Dort reiche ich meine Interview- und Gesprächswünsche mit offiziellen Regierungsvertretern ein. In den Räumen der Pressestelle herrscht geschäftiges Treiben. Leute kommen und gehen, irgendjemand stellt einen heißen Kaffee vor mich auf den Tisch und bittet noch um Geduld. Dann treffe ich Basil, der seit vielen Jahren mit Journalisten arbeitet. »Weißt Du noch, als wir in Zaida Zeyneb die Reportage über die irakischen Flüchtlinge gemacht haben? In der Masgouf Braterei hat es doch wirklich sehr nach Fisch gerochen«, erinnerte er sich im vergangenen November augenzwinkernd an eine unserer ersten Begegnungen vor fast zehn Jahren. »Meine Frau hat die Jacke tagelang auf dem Balkon gelüftet«. Als wir uns kennenlernten, lebte Basil mit seiner Familie noch in Jarmuk, das sie 2012 verlassen mussten, weil bewaffnete Gruppen von Süden her immer näher rückten.
Heute wirkt Basil bedrückt, kein Scherz, kein Lächeln: »Mein Bruder ist gestorben«, sagt er und drückt meine Hand. »Bete für uns«. Ein Jahr hatte der Bruder im Koma gelegen, nachdem Splitter einer Mörsergranate sich in seinen Kopf und sein Gehirn gebohrt hatten. Er hatte einen Freund ins Krankenhaus bringen wollen, der bei dem Mörserangriff verletzt worden war, dann wurde er selber getroffen. Monatelang kämpften Ärzte und Angehörige um das Leben des 45jährigen Familienvaters, doch kurz vor Ostern hatte sein Körper alle Kraft verloren, und er starb. Lange hatte Basil über das Schicksal seines Bruders nicht gesprochen. »Jeder hier in Syrien hat so viel Leid zu tragen, da habe ich über das unsrige nicht auch noch reden wollen.«
Wir sitzen bei einem Tee zusammen, und Basil erzählt, dass auch Issam nicht mehr lebt. Issam hatte eine Gruppe von Journalisten 2012 bei einem Besuch in Duma begleitet und damals bei Gesprächen für mich übersetzt. 2013 war Issam dann zum Militärdienst eingezogen worden. In Rakka wurde er von Kämpfern des »Islamischen Staats« (IS) als Soldat der syrischen Armee hingerichtet. »Erst haben wir gedacht, es gibt so viele Syrer mit dem gleichen Namen, sicherlich wird es nicht »unser« Issam sein, der da in Rakka getötet wurde«, erzählt Basil. Aber dann hätten sie Fotos des Toten im Internet gesehen und wussten, es war doch »ihr« Issam.
»Alle träumen von Deutschland«, sagt am Nachmittag Raschid S., ein Geschäftsmann, dessen Kinder in alle Welt verstreut sind. Für ihn kommt es nicht in Frage, Syrien zu verlassen, doch einer seiner besten Freunde ist in der Nähe von München angekommen, erzählt er. »120 Kilometer ist er gelaufen, durch Wälder, Dörfer, über Berge und wieder durch Wälder, nur um von Syrien wegzukommen.«
* Aus: junge Welt, Donnerstag, 9. April 2015
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