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Umkämpftes Lager

Palästinensische Einheiten versuchen, Jarmuk von den Truppen des "Islamischen Staats" zu befreien

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

»Herzlich willkommen, wir freuen uns, dass ausländische Journalisten hierher kommen.« Der General der syrischen Streitkräfte spricht leise, während er den kroatischen Kollegen und mich aufmerksam mustert. Ununterbrochen lässt er die islamische Gebetskette Misbaha durch seine Finger gleiten. An seiner Uniform trägt er drei Sterne und einen Adler. Als ein junger Soldat mit einer Kanne des traditionell zur Begrüßung gereichten, tiefschwarzen Beduinenkaffees auf ihn zugeht, weist der General ihn mit einer Kopfbewegung an, zuerst die Gäste zu bedienen.

Wir sitzen in einem kargen Büro am Rande von Muchaiyem-Jarmuk, dem palästinensischen Flüchtlingslager, dessen Einwohner im November 2012 von bewaffneten Gruppen vertrieben wurden. Doch erst mit dem Vormarsch der Milizen des »Islamischen Staates« (IS) schaffte es das Lager in die internationalen Schlagzeilen.

Der General unterstreicht, dass im Lager Palästinenser gegen die Al-Nusra-Front und »Daesch« kämpften, wie die arabische Abkürzung des IS lautet. »Hier gibt es keine syrischen Soldaten, denn Jarmuk wird von den Palästinensern kontrolliert.« Die Lage sei sehr unübersichtlich, weil es so viele verschiedene Kampfgruppen gäbe. Die Al-Nusra-Front, die Al-Qaida nahesteht, sei die stärkste; ihr Büro befindet sich nur wenige hundert Meter entfernt.

Gegen die bewaffneten Gruppen haben 14 palästinensische Organisationen Einheiten aufgestellt. Unter der Führung des »Generalkommandos« (PFLP-GC), »Intifada« und den »Nationalen Verteidigungskräften« versuchen sie die Islamisten zu vertreiben. Etwa 25 Prozent des Lagers sei von Daesch befreit, sagt der General. Im südlichen Teil des Lagers seien schätzungsweise 6.000 Zivilisten verblieben, die eine Evakuierung ablehnten. »Vermutlich sind sie Angehörige der Kämpfer«, erklärt der General. Mehr wisse man über sie nicht.

Ali Mustafa, Direktor der Zentralbehörde für die palästinensischen Flüchtlinge, berichtet, dass internationale, syrische und palästinensische Hilfsorganisationen Lebensmittel, Medikamente und Tabletten für die Reinigung von Wasser in Jarmuk verteilt hätten. Nachdem sie wiederholt von Daesch angegriffen worden seien, würden die Hilfsgüter zum östlichen Teil des Lagers an die Palästina-Straße gebracht, die Jarmuk von Tadamoun trennt. Dort könnten sie von den Menschen abgeholt werden – sofern es die Lage zuließe. Etwa 1.000 Familien, zirka 8.000 Personen, seien evakuiert worden.

Bevor der General sich verabschiedet, um die Journalisten in das Lager gehen zu lassen, wendet er sich an mich: »Warum will Deutschland unsere Regierung ändern? Was würde Frau Merkel sagen, wenn jemand das in ihrem Land tun würde? Deutschland kennt den Krieg, warum unterstützt es die bewaffneten Gruppen und den Krieg in Syrien? Warum will Deutschland Syrien spalten?«

Kurz darauf werden wir von palästinensischen Kämpfern an der Ali-Al-Kharbouch-Straße empfangen, die wir in Richtung Süden laufen. Verkohlte Mauern, zerborstene Scheiben, durch die wir in das Innere der dicht aneinander gebauten Häuser sehen können. Wie in anderen Kriegsgebieten bahnten man sich den Weg von einem Haus zum nächsten, indem große Löcher in die Wände geschlagen wurden.

Bis zum »Zigarettenkreisel« habe man Muchaiyem zurückerobert, sagen die Palästinenser. Doch weiter als bis zum Ende der Al-Kharbouch-Straße sollen wir nicht gehen, dort sei es gefährlich. Immer wieder tauchen Kämpfer in den Ruinen auf und blicken neugierig der Gruppe hinterher. Müde und ausgezehrt sehen die Männer aus. Manche sind jung, andere haben weiße Haare. Der Ton ist rau, Gewalt, Tod und Verbitterung prägen ihren Alltag.

Vor dem Lager, am Batikah-Platz, kommt ein alter Mann auf uns zu, als hoffe er, bei uns Hilfe zu finden. Er habe bei der Polizei einen Bericht abgegeben, erzählt der Mann und hält uns ein dicht beschriebenes Blatt Papier mit offiziellen Stempeln entgegen.

Ahmed Jousef Jabali heiße er. Er sei 1943 im palästinensischen Haifa geboren worden und 1948 mit seinen Eltern nach Damaskus gekommen. Mitten in der Nacht hätte Daesch ihn in seinem Haus überfallen. Die Islamisten hätten ihn geschlagen und hinausgejagt. Alles was er besessen habe, sei zerstört und gestohlen worden. Bereitwillig lässt sich der Mann fotografieren, bevor er weiter seines Weges geht. »Hoffentlich wird alles eines Tages wieder gut«, murmelt er. »Allah möge uns beschützen.«

* Aus: junge Welt, Samstag, 18. April 2015


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