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Extremisten haben reichlich Zulauf

Damaskus will im Kampf gegen die Dschihadisten kooperieren – Berlin lehnt Zusammenarbeit ab *

Der Vormarsch der Dschihadisten in Syrien und Irak sorgt für internationale Empörung und den Zustrom von neuen Kämpfern.

Die syrische Staatsführung hat sich zur Beteiligung am internationalen Kampf gegen die Dschihadistengruppe »Islamischer Staat« (IS) bereit erklärt. Damaskus sei »zur Kooperation und Koordination auf regionaler und internationaler Ebene bereit, um den Terrorismus zu bekämpfen«, teilte Außenminister Walid al-Muallim am Montag mit. Auch wolle Syrien eine Resolution des UNO-Sicherheitsrates zu der Frage mittragen. Sämtliche Einsätze auf syrischem Staatsgebiet müssten aber mit Damaskus abgesprochen werden, warnte Muallim. Alles andere werde als »Aggression« gewertet.

Die Bundesregierung lehnte eine Zusammenarbeit mit der syrischen Führung unter Staatschef Baschar al-Assad am selben Tag ab. Diese habe »unglaubliches Unrecht auf sich geladen«, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. »Unterschiedliche Formen von Unrecht« dürften nicht gegeneinander aufgewogen werden.

Nach ihrem Vormarsch in Syrien und Irak erhält die Terrorgruppe unterdessen weiteren Zulauf. Allein am Wochenende hätten sich mehr als 300 Männer anderer oppositioneller Milizen den IS-Extremisten angeschlossen, berichtete die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Montag. Deren Leiter Rami Abdel Rahman sagte der Nachrichtenagentur dpa, insgesamt habe die Gruppe in Syrien inzwischen rund 50 000 Kämpfer. Etwa 20 000 davon kämen aus dem Ausland – vor allem aus dem arabischen Raum und aus Europa.

Bereits in der vergangenen Woche hatten die Menschenrechtsbeobachter von einem enormen Zulauf für die Extremisten berichtet. Seit Juli hätten sich diesen etwa 6300 Kämpfer angeschlossen, hieß es. Ein Grund für den Zulauf dürfte neben den militärischen Erfolgen der Dschihadisten vor allem auch die Bezahlung sein. Die Terrorgruppe hatte am Wochenende im Osten Syriens den strategisch wichtigen Militärflughafen Al-Tabka eingenommen.

Nach UNO-Erkenntnissen hat »Islamischer Staat« grausame Massaker verübt. Neben Massenmorden würden die sunnitischen Extremisten in Irak systematisch Vergewaltigungen begehen und Menschen in die Sklaverei zwingen, erklärte UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay am Montag. Mindestens 670 Häftlinge seien am 10. Juni von der IS-Miliz im Gefängnis in der Stadt Mossul ermordet worden, weil sie keine Sunniten waren. »Ich fordere die internationale Gemeinschaft auf, die Schuldigen an diesen teuflischen Verbrechen nicht straflos davonkommen zu lassen«, erklärte Pillay.

Ein nach fast zwei Jahren Geiselhaft in Syrien frei gelassener US-amerikanischer Journalist befindet sich inzwischen in Israel. Ein früherer Mitarbeiter des israelischen Militärgeheimdienstes bestätigte am Montag Berichte, denen zufolge Peter Theo Curtis nach seiner Freilassung über die Golanhöhen nach Tel Aviv gebracht wurde. Nach Angaben von US-Außenminister John Kerry war Curtis Gefangener der mit der Terrororganisation Al Qaida verbundenen Al-Nusra-Front.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 26. August 2014


Und jetzt Syrien

US-Regierung bereitet Kriegsausweitung vor und will sich »durch Grenzen nicht einschränken lassen«

Von Knut Mellenthin **


Die US-Regierung ist grundsätzlich bereit, die im Irak geflogenen Luftangriffe gegen den »Islamischen Staat« (IS) auch auf Ziele in Syrien auszuweiten. Es mangelt dafür allerdings an genauen Erkenntnissen, und es könnte nach Ansicht mancher Militärexperten nicht nur Wochen, sondern sogar Monate dauern, sich diese zu schaffen. Das war der Stand am Wochenende.

Während ranghohe Militärs und Mitglieder der US-Administration das Thema auffallend lebhaft und offen in die Öffentlichkeit tragen, hüllt sich Barack Obama, der nicht nur Präsident, sondern laut Verfassung auch Oberkommandierender der Streitkräfte ist, in Schweigen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, daß beispielsweise der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater, Ben Rhodes, sich ohne Genehmigung seines Chefs zum Thema äußern würde. Rhodes erzählte Reportern am Freitag, daß die Ermordung des US-Journalisten James Foley durch den IS »ein Terrorangriff auf unser Land« sei. Jede Strategie zur Bekämpfung des IS, so Rhodes weiter, müsse sich »mit beiden Seiten der Grenze befassen – Irak und Syrien. Durch Grenzen werden wir uns nicht einschränken lassen.«

Auch General Martin Dempsey, der Vorsitzende des Generalstabs der Streitkräfte, handelt vermutlich mit Obamas Einverständnis, wenn er auf Pressekonferenzen und im Gespräch mit verschiedenen Medien kein Blatt vor den Mund nimmt. Man könne den IS nicht besiegen, »ohne sich mit dem Teil der Organisation zu befassen, der in Syrien und von Syrien aus operiert«, sagte Dempsey am Donnerstag. Die Stützpunktgebiete des IS müßten angegriffen werden »auf beiden Seiten dessen, was gegenwärtig im Grunde eine nicht existierende Grenze ist«. »Luftangriffe können dabei nur eine kleine Rolle spielen.« Voraussetzung sei aber, daß die USA in der Region eine Koalition zustande bringen, die über einen längeren Zeitraum den Kampf gegen den IS aufnimmt.

Zu Wort meldete sich auch John Allen, General im Ruhestand, der bis Februar 2013 Kommandeur der internationalen Streitkräfte in Afghanistan war. In einem Kommentar für eine Militärzeitung schrieb er, die USA und ihre Verbündeten müßten »von Mossul im Osten über seine gesamte Ausbreitung bis nach Westsyrien hin« gegen den IS vorgehen. Syrien sei ein »failed state«, dessen Souveränität keinerlei Respekt verdiene.

Die New York Times berichtete am Freitag, daß in der Obama-Adminstration zur Zeit darüber diskutiert werde, ob sich der Präsident für die geplante Kriegsausweitung ein Mandat des Kongresses holen sollte, und welche Form dafür die zweckmäßigste wäre. Die seit dem 8. August geflogenen Luftangriffe gegen irakische Ziele – mittlerweile sind es rund 100 – laufen aufgrund der sogenannten War Powers Resolution. Diese Ermächtigung zur Kriegführung ohne Kongreßbeschluß gilt aber genau genommen nur für 60 Tage, also bis Anfang Oktober. Zur Not könnte Obama sich immer noch auf die Generalvollmacht zum weltweiten »Kampf gegen den Terrorismus« berufen, die der Kongreß nach dem 11. September seinem Vorgänger George W. Bush erteilte. Vieles spricht aber dafür, daß sich Obama, zumal wenn er den Krieg wirklich auf Syrien ausdehnen will, ein neues Mandat des Kongresses holen wird, um nicht nur die oppositionellen Republikaner, sondern auch zögernde Kräfte in seiner eigenen Partei einzubinden.

Unterdessen geht der Terror des IS im Irak weiter. Die UNO warnte am Sonnabend, daß in Amerli, rund 180 Kilometer nördlich von Bagdad, eine neues »Massaker« drohe. Der kleine Ort ist seit 70 Tagen vom IS und dessen Verbündeten eingeschlossen, es gibt keinen Strom und kaum noch Trinkwasser und Nahrungsmittel. Die etwa 20000 Bewohner gehören der kleinen Volksgruppe der Turkmenen an und sind Schiiten. Hilfs- oder Rettungsaktionen für sie seien bisher nicht geplant, klagte der UN-Beauftragte für den Irak, Nikolaj Mladenow.

** Aus: junge Welt, Montag 25. August 2014


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