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Versöhnung in Homs

Besuch im Al-Andalus-Zentrum: Aus der umkämpften Altstadt geflüchtete Syrer warten auf ihre Befragung durch die Armee und anschließende Freilassung

Von Karin Leukefeld, Homs *

Im Al-Andalus-Zentrum im westsyrischen Homs herrscht reges Treiben. Drei Geistliche von nahe gelegenen Moscheen kommen jeden Morgen, um mit den Menschen, die hier untergebracht sind, zu sprechen. Die ehemalige Schule beherbergt Vertriebene, derzeit vor allem Bewohner aus der Altstadt. Mehr als 1300 Menschen konnten seit Anfang Februar aus der Kampfzone evakuiert werden, darunter 550 Männer im waffenfähigen Alter (16 bis 55 Jahre).

Einer von ihnen ist der 28jährige Thaer Samir Nasr, der sich gerade von einem der Geistlichen verabschiedet. Er mache sich Sorgen, was mit ihm geschehen werde, nachdem er sich bei bewaffneten Gruppen in der Altstadt von Homs aufgehalten hatte. »Werden sie mich festnehmen, werde ich noch einmal zum Militär eingezogen werden und kämpfen müssen?«, fragt er. Seine Freunde, die um ihn herum stehen, nicken. Er habe seinen Militärdienst schon geleistet und wolle nicht noch einmal dahin. Auf die Frage, wie das Leben für ihn in der Altstadt gewesen sei, erzählt er, daß er eher zufällig da hineingeraten sei. Er habe in den Emiraten gearbeitet und seine Familie besucht, die in einem anderen Stadtteil von Homs, in Al-Wael, gelebt habe. Eines Tage habe er Verwandte in der Altstadt besucht und sei nicht mehr herausgekommen, als die Armee die Zugänge gesperrt habe. Die bewaffneten Gruppen hätten ihn dann gezwungen, für sie zu arbeiten, erzählt Nasr. »Sie haben mich gezwungen, eine Waffe zu tragen. Wenn ich es nicht getan hätte, hätten sie gesagt, ich sei ein Spion der Regierung.« Ohne mitzumachen, hätte er weder zu essen noch zu trinken gehabt.

Er sei wirklich überrascht, wie die Armee ihn nach der Evakuierung empfangen habe. Er habe einen Platz zum Schlafen, erhalte Kleidung, Essen und werde medizinisch versorgt. Und er bekomme Zigaretten, betont Nasr. »Eine Zigarette in der Altstadt kostete 4000 Syrische Pfund«, etwa 25 Euro. Immer, wenn sie überlegt hätten, das Gebiet zu verlassen, hätten die Kämpfer ihnen gesagt, daß die Armee sie töten würde.

Scheich Mohammed Amin ist einer der Geistlichen, die täglich in das Al-Andalus-Zentrum kommen, um mit den aus dem Zentrum Geflohenen zu sprechen. Die Menschen seien dort mit extremen religiösen Anschauungen konfrontiert worden. Der Islam in Syrien habe nichts mit radikalen Ansichten zu tun, die Evakuierten sollten wissen, daß sie sich mit der Gesellschaft versöhnen könnten. Am meisten sorgten die Männer sich darum, wie sie ihre Familien wiederfinden, wo sie wohnen und ob sie wieder arbeiten könnten.

In der abgeteilten Hälfte eines Klassenraums im ersten Stock der Einrichtung lebt die Familie von Farhan Al-Najjar. Der 44jährige ist mit seinen vier Töchtern und dem kranken Vater erst bei einem zweiten Versuch aus der Altstadt herausgekommen. Beim ersten Mal seien sie von Kämpfern beschossen worden, die sie von der Flucht abhalten wollten. Beim zweiten Mal seien sie vier Stunden durch einen Abwassertunnel gelaufen. Schließlich seien sie von der UNO und dem Syrischen Arabischen Roten Halbmond aufgenommen wurden. Seine Frau und sein Sohn seien bei der Explosion einer Bombenwerkstatt getötet worden, seine Mutter sei gestorben, weil sie krank und schwach gewesen sei und sie weder genügend zu essen noch Medikamente gehabt hätten. Sein alter Vater fährt sich mit der Hand über das Gesicht, um die Tränen zu verstecken. Bedrücktes Schweigen erfüllt den Raum. »Vor dem Krieg bin ich in die erste Klasse gegangen«, sagt da die kleine Bara mit klarer, lauter Stimme. Die Neunjährige kann sich erinnern, wie ihre Mutter und ihr kleiner Bruder gestorben sind. »Die Straße war voller Bomben und meine Mutter und mein Bruder lagen lange, lange da, bis mein Vater sie holen konnte.« Wenn sie wieder in die Schule gehen könne, wolle sie Karate lernen und bei den Vereinten Nationen arbeiten, sagt Bara dann. »Sie haben ein Herz und helfen.«

* Aus: junge Welt, Samstag, 22. Februar 2014


Sicherheitsrat will in Syrien Helfern helfen

Abstimmung über entsprechende Resolution geplant **

Seit drei Jahren werden Menschen in Syrien getötet, manchmal Hunderte an einem Tag. Der UNO-Sicherheitsrat ist dennoch bislang fast stumm geblieben. Das soll sich jetzt ändern.

Nach monatelangem Gerangel will der UNO-Sicherheitsrat an diesem Sonnabend über eine neue Syrien-Resolution abstimmen. Das teilten die UN-Vertretungen Frankreichs und Australiens in New York am Donnerstag (Ortszeit) per Kurznachrichtendienst Twitter mit. In der Resolution geht es um humanitäre Fragen. Alle Bürgerkriegsparteien werden aufgefordert, Zivilisten zu schonen und Hilfsorganisationen durchzulassen.

Der Entwurf von Jordanien, Luxemburg und Australien wird von Frankreich, Großbritannien und den USA unterstützt. Ob Russland und vielleicht auch China das Papier mit ihrem Veto blockieren wollten, war zunächst nicht klar.

Flächenbombardements und sogenannte Fassbomben sollen in dem Entwurf geächtet werden, weil die vor allem Zivilisten treffen würden. Der entscheidende Punkt ist die Frage, was bei einem Verstoß passiert. Ein erster Entwurf hatte eine klare Drohung mit Sanktionen enthalten. Russland hatte das abgelehnt und stattdessen gleich zwei Gegenentwürfe vorgelegt. Der eine zur humanitären Situation enthielt keinerlei Konsequenzen bei Verstößen. Der andere forderte einen gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus. Die Rebellen werden von der syrischen Regierung als Terroristen bezeichnet.

Der jetzige Entwurf spricht nur noch von »weiteren Schritten«, sollte sich eine der Konfliktparteien nicht an die UN-Forderungen halten. Als ständiges Sicherheitsratsmitglied kann Russland mit seinem Veto selbst eine 14-zu-1-Mehrheit blockieren. Diplomaten hoffen nun zumindest auf eine Enthaltung Moskaus.

Der Resolutionsentwurf wurde nach Angaben von Diplomaten in der Nacht zum Donnerstag »in blau« gesetzt. Mit diesem formellen Schritt wird ein Papier nach Verhandlungen für abstimmungsreif erklärt, bis zur Entscheidung müssen dann aber noch einmal 24 Stunden vergehen. Die Abstimmung hätte also frühestens am Freitag stattfinden können.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 22. Februar 2014


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