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Die Mühen der Evakuierung

In der umkämpften syrischen Stadt Homs haben es die humanitären Helfer weiter schwer

Von Karin Leukefeld, Homs *

Seit mehr als einem Jahr wird die Stadt Homs umkämpft und die Spuren des Krieges sind sichtbar. Inzwischen finden hin und wieder mühselige Evakuierungen und Hilfslieferungen statt.

Die Straße von Damaskus nach Homs ist wieder frei. Bei Qaboun, Harasta und Douma, wo vor wenigen Wochen noch erbitterte Gefechte zwischen den syrischen Streitkräften und Kampfverbänden tobten, fließt der Verkehr zügig über die Autobahn in Richtung Norden. Weil der zentrale Busbahnhof zerstört ist, sind die Überlandbusse am Rande der Autobahn wie an einer Schnur aufgereiht, Männer halten große Plakate in die Luft, auf denen zu lesen ist, wohin der Bus fährt, neben dem sie stehen: Deir Ezzor, Khamishly, Homs. Morgennebel liegt über den östlichen Vororten Qaboun und Harasta. Kein Stein scheint mehr auf dem anderen zu liegen – wo einst Millionen Menschen lebten, Handwerk und Handel blühte, breitet sich heute eine Ruinenlandschaft aus.

Nur wenige militärische Kontrollpunkte sind entlang der Autobahn nach Homs zu passieren, nach knapp eineinhalb Stunden ist die Stadt erreicht. Joseph, der Fahrer, ist häufig mit ausländischen Journalisten unterwegs und kennt einige Sicherheitskräfte persönlich. Ein Schreiben des Informationsministeriums erleichtert zusätzlich den Weg. »Informationsministerium, eine deutsche Journalistin«, sagt Joseph an einem Kontrollpunkt. Der Soldat lacht und antwortet: »Innenministerium, ein Wachhabender, gute Fahrt!«

Für diesen Tag, den 18. Februar, ist die Evakuierung von einer Gruppe älterer Christen aus der Altstadt von Homs geplant. In der vom Militär abgeriegelten Altstadt um den historischen Uhrenplatz warten Freiwillige der Shabab-Al-Khair-Gesellschaft, Journalistenteams und Fahrzeuge des Syrischen Arabischen Roten Halbmonds (SARC) auf ihren Einsatz. Doch dann wird die Evakuierung abgesagt, große Enttäuschung macht sich breit.

Obwohl die Kampfzone in der Altstadt von Homs nur wenige Hundert Meter entfernt liegt, müssen die Menschen, die dort heraus wollen, einen mehrere Kilometer langen Marsch auf sich nehmen. Die Evakuierungszone, die zwischen Talal al-Barazi, dem Gouverneur von Homs und den Kampfgruppen unter Vermittlung der Vereinten Nationen festgelegt worden ist, befindet sich weit von der Altstadt entfernt. Zweimal habe er versucht, mit seinen Töchtern und dem kranken Vater die Altstadt zu verlassen, erzählt der 44-jährige Witwer Farhan al-Najjar. Beim ersten Mal seien sie von den Kämpfern beschossen worden, die sie von der Flucht abhalten wollten. Beim zweiten Mal seien sie vier Stunden durch einen Abwassertunnel gelaufen, bis sie endlich aus der Kampfzone heraus waren. Al-Najjar blickt zu seinem Vater hinüber, dem Tränen über das Gesicht laufen.

Zuflucht hat die Familie vorerst im Al-Andalus-Zentrum gefunden. Das Schulgebäude nimmt die Menschen auf, die unter Vermittlung des UN-Botschafters in Syrien, Yacoub al-Hillou, aus der Altstadt von Homs evakuiert werden konnten. 1366 Zivilisten konnten vom Syrischen Arabischen Roten Halbmond und anderen Hilfsorganisationen versorgt worden, darunter 550 Männer im kampffähigen Alter (16-55). Wer keine Bleibe bei Verwandten hat, kann zunächst in diesem Zentrum bleiben, sagt der Leiter Mohammad Amar. Die 550 Männer werden befragt, ihre Aussagen überprüft und können dann gehen. Am 20. Februar tritt eine Amnestie für diese Männer in Kraft, die Präsident Baschar al-Assad verfügt hat.

Derzeit halten sich noch etwa 300 dieser Männer dort auf, darunter auch Mohammad Amar Abduldaim, ein ehemaliger Spieler beim Fußballteam Al-Karama in Homs. Er sei als Aktivist in die Altstadt von Homs gegangen, um mit seinen Internetkenntnissen zu helfen, erzählt der 25-Jährige ohne Scheu. Das Verhalten und Vorgehen der bewaffneten Gruppen aber habe ihn schockiert. Nun warte er darauf, dass seine Papiere geprüft würden und er wieder nach Hause gehen könne. »Vielleicht kann ich wieder bei Al-Karama spielen«, sagt er nachdenklich. Aber er wisse nicht, ob seine früheren Kollegen ihn wieder aufnehmen würden. Dann verabschiedet er sich und geht hinaus auf den Schulhof, wo in der Sonne Stühle aufgestellt sind und die Menschen in kleinen Gruppen zusammensitzen. Mitarbeiter der UNO laufen hin unter her, vor den beiden Containerbüros von UNICEF und UNO stehen Leute und warten.

Auf dem Rückweg führt der Weg über eine Brücke, von der aus die südwestlichen Stadtteile von Homs zu sehen sind. Eine breite Straße führt von dort nach Baba Amr, dem Viertel, wo vor zwei Jahren eine mörderische Schlacht tobte. Die Straße ist leer, ein militärischer Kontrollpunkt verhindert die Zufahrt. Niemand ist nach Baba Amr zurückgekehrt. Lange wird es dauern, bis die sichtbaren und unsichtbaren Kriegsschäden überwunden sein werden. Immerhin beginnt der nächste Tag mit einer guten Nachricht: Die Gruppe von Christen konnte am frühen Morgen aus der Altstadt von Homs evakuiert werden.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. Februar 2014


Streit in der syrischen Rebellenarmee

Neuer Generalstabschef trifft auf Ablehnung **

Mehrere Kommandeure der Freien Syrischen Armee (FSA) haben dem neuen Generalstabschef der Rebellentruppe ihre Gefolgschaft verweigert. Der FSA-Militärrat mit Sitz in der Türkei habe die Absetzung des alten Generalstabschefs, General Salim Idriss, eigenmächtig getroffen. »Wir erkennen sie nicht an«, heißt es in einer Videobotschaft der Kommandeure, die am Dienstag im Internet veröffentlicht wurde.

Der Militärrat hatte am Sonntag mitgeteilt, Idriss werde durch Abdel Illah al-Baschir, einen Kommandeur aus der Provinz Al-Kuneitra, ersetzt. Die FSA tauschte auch den Stellvertreter von Idriss aus. Wie aus Oppositionskreisen in Istanbul verlautete, ging die Absetzung von Idriss auf Meinungsverschiedenheiten mit dem »Verteidigungsminister« der selbsternannten Oppositionsregierung, Asaad Mustafa, zurück. Außerdem hatte es Streit um die Zuteilung von Waffenlieferungen durch General Idriss gegeben.

Im Bemühen um eine Resolution zur humanitären Lage in Syrien haben sich die UN-Botschafter der 15 Mitglieder des Sicherheitsrates erneut getroffen. Jordaniens Vertreter Prinz Seid al-Hussein äußerte Hoffnung, noch diese Woche einig zu werden. Litauens Botschafterin Raimunda Murmokaite bezeichnete dies als »zu früh«, ihr russischer Kollege Vitali Tschurkin sagte, es sei »nicht produktiv«, überhaupt eine Frist anzusetzen.

Am Sitz der Vereinten Nationen in Genf sind die Belagerungen durch die syrischen Konfliktparteien als Kriegsverbrechen scharf verurteilt worden. Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad aber auch Rebellengruppen hätten schätzungsweise 240 000 Menschen in deren Wohnorten von der Außenwelt abgeschnitten und hungerten sie aus, warnte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, am Mittwoch.

Die Konsequenzen für die Menschen seien verheerend, erklärte Pillay. Unter der brutalen Strategie hätten vor allem die Schwächsten wie Alte, Kinder und auch Frauen zu leiden. In den eingeschlossenen Dörfern und Städten sei die medizinische Versorgung zusammengebrochen, und es grassiere der Hunger. Viele Menschen seien an den Folgen des Mangels gestorben.

Die Einheiten des Assad-Regimes würden zusätzlich die Ortschaften aus der Luft und mit Artillerie unter Feuer nehmen. Durch den Beschuss seien etliche Menschen getötet oder verletzt worden, Gebäude und die Infrastruktur seien zerstört worden.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. Februar 2014


Siege warfare in Syria violates humanitarian, human rights laws – UN report ***

19 February 2014 – An estimated 240,000 Syrian remain trapped in areas under siege resulting in severe hardship, suffering and deaths of civilians, in clear breach of the obligations under international human rights and humanitarian laws, the United Nations today reported.

The analysis, based on information collected between April 2013 and 20 January of this year by the Office of the UN High Commissioner for Human Rights (OHCHR), focuses on ongoing sieges imposed by Syrian Government forces and pro-Government militias, as well as by armed opposition groups, in particular, in the Governorates of Rural Damascus, Damascus, Homs and Aleppo.

Under international humanitarian law, parties to a conflict must also allow safe passage for protected persons out of the besieged area. They must guarantee that the wounded and sick are collected and cared for, and must not destroy objects indispensable to the survival of the civilian population through indiscriminate bombardments and attacks.

The paper states that the Government appears to have violated all the above requirements.

An orthopaedic doctor in Old Homs informed OHCHR in an interview via Skype that he could not perform simple spinal-cord operations, which in some cases caused paralysis, according to the human rights document.

“Dozens of cases of fracture and limb-related injuries have ended up in amputations or death,” the authors wrote about some of the damage and destruction in Rural Damascus.

The paper states that “parties to the conflict have prevented the movement of people, goods and supplies through a system of barricades and checkpoints, adding to the hardship of civilians who are facing life-threatening shortages of food, water, electricity, fuel and medical supplies.”

“On occasion, civilians have reportedly been prevented from fleeing through barricades and checkpoints manned by different Government military and security agencies,” it notes.

In cases of Government-enforced sieges, these have been coupled with shelling and aerial bombardment, which have resulted in significant loss of life and have damaged or destroyed objects indispensable to the survival of the civilian population.

In the Ghouta area of Rural Damascus, where more than 173,000 people are believed to be trapped, some residents are living with hardly any food or other basic necessities, according to the paper, with a number of deaths reported due to inadequate healthcare and nutrition.

Religious clerics have reportedly issued edicts allowing residents to eat cats and dogs in order to survive, it is reported.

The chemical attack in the district of al-Muadhamiya in August last year also left many medical staff incapacitated and unable to treat others.

In Yarmouk, a Palestinian refugee camp south of Damascus, dozens of deaths have been reported, including from starvation, the consumption of rotten food, the chronic shortage of medical supplies, and due to the lack of medical expertise to treat sick people and pregnant women trapped in the camp, the paper states.

UN High Commissioner for Human Rights Navi Pillay said the analysis confirmed the devastating impact of the sieges on civilians, and denounced the lack of steady access into certain besieged areas.

“The Security Council is continuing to fail Syrians by not even managing to agree on measures to ensure the provision of basic necessities to people,” she said.

“International human rights law and international humanitarian law require parties to the conflict to ensure rapid, continued and unimpeded passage of humanitarian relief to all civilians in need, and not ad-hoc deliveries and operations,” said Ms. Pillay, stressing that the obligation to respect international humanitarian law is not conditional on compliance by other parties to the conflict.

On the ground in Syria today, the Government and the Syrian Arab Red Crescent evacuated 11 more civilians from the Homs, including a child, according to the Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA).

An estimated 600 males, including some children under 18, have been brought to the Al Andalus shelter facility for screening since evacuations began on 7 February, a UN spokesperson said. About half of those people have been released so far.

“The United Nations continues to advocate for the speedy release of all children from the facility and calls for the protection of all civilians under international humanitarian and human rights laws,” the spokesperson told journalists in New York.

The UN Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) remains unable to gain access to Yarmouk for the eleventh consecutive day, spokesperson Christopher Gunness said.

“We remain ready to resume our suspended food distributions and we hope that the assurances we have been given will soon translate into a situation on the ground that allows us to move ahead,” Mr. Gunness said.

Meanwhile, in Nubul and Zahra in northern Aleppo – where multiple armed opposition groups have trapped almost 45,000 people since July 2012 – food, fuel and medical supplies are being blocked from entering through checkpoints.

A lack of running water has reportedly forced some residents to dig wells without the necessary sanitary precautions, with elderly and children at particular risk of getting sick from the deteriorating sanitation conditions.

*** UN News Centre, 19 February 2014; http://www.un.org


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