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Nun in Genf an getrennten Tischen

Bei den Syrien-Friedensverhandlungen geht es in Neunergruppen in direkte Gespräche

Von Karin Leukefeld, Genf *

Der iranische Präsident Hassan Ruhani hat am Donnerstag vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos (Schweiz) zu freien Wahlen in Syrien als Chance für ein Ende des Blutvergießens dort aufgerufen.

Nach der Auftaktveranstaltung zu der auch als Genf II bezeichneten Syrien-Konferenz im 360 Kilometer von Davos entfernten Montreux sind die beiden syrischen Delegationen in der Schweiz geblieben, aber nach Genf weitergezogen. Am Donnerstag trafen sie sich getrennt mit dem UNO-Sondervermittler Lakhdar Brahimi, um sich auf das weitere Vorgehen zu einigen.

Der Mittwochabend in Montreux endete mit sehr unterschiedlichen Interpretationen der Genf-I-Vereinbarung und des Ziels der Auftaktveranstaltung vom Juni 2012 und des beginnenden politischen Prozesses für Syrien. UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon begrüßte auf seiner abschließenden Pressekonferenz, dass beide Delegationen nach Montreux gekommen und damit ihre Bereitschaft zu Gesprächen gezeigt hätten. Der politische Prozess müsse »unter Leitung der Syrer« stattfinden und die »territoriale Integrität, Einheit und Souveränität« Syriens gewährleisten. UN-Außenminister John Kerry nutzte seine anschließende Begegnung mit Hunderten Journalisten erneut, um den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ins Zentrum seiner Kritik zu stellen. Assad habe es mit der Gewalt gegen die Bevölkerung in Syrien erst ermöglicht, dass terroristische Gruppen entstehen konnten, so Kerry. Es sei keine Frage, dass es für Assad und seine Familie und Unterstützer in Syrien keine Zukunft gebe.

Der syrische Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, Baschar al-Jaafari zeigte sich enttäuscht vom Ablauf und »Format« der Auftaktveranstaltung. Die meisten Redner seien der syrischen Regierung gegenüber feindlich aufgetreten, er habe die Ermutigung zu einem innersyrischen Dialog vermisst. Jaafari verwies auf Hunderte Eingaben, die er beim UN-Sicherheitsrat eingereicht habe und die den Schmuggel von Waffen und Kämpfern nach Syrien belegten sowie die Finanzierung durch Katar, Saudi-Arabien und andere Staaten in der Region. Die syrische Regierung sei gekommen, um über die Genf-I-Vereinbarung zu verhandeln. Die bestehe aber aus »einem Paket und nicht aus einigen ausgewählten Punkten«, so der Botschafter.

Der bisher vom Mitarbeiterstab Brahimis ausgearbeitete Plan sieht vor, dass beide Delegationen mit jeweils neun Personen zwar an zwei getrennten Tischen, wohl aber im gleichen Raum sitzen sollen. An einem dritten Tisch dazwischen sitzen die UN-Vermittler. Jeder Delegation ist ein eigenes »Expertenteam« aus sechs Personen zugeordnet, dem Team sollen Militärs und Techniker angehören. In einem weiteren Raum befinden sich je eine Delegation Russen und der US-Amerikaner, die ebenfalls von Experten begleitet werden.

Die Gespräche könnten bis zu acht Tage dauern, hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärt. Beide Delegationen konnten je ein Thema benennen, über das verhandelt werden sollte. Die Delegation der oppositionellen Nationalen Koalition hat das Thema »Humanitäre Hilfe« eingebracht. Die Delegation der syrischen Regierung will über den »Kampf gegen den Terrorismus« sprechen. Weitere Themen, wie die Bildung einer Übergangsregierung, eine Verfassungsgebende Versammlung und Neuwahlen sollen in dieser ersten Gesprächsrunde nicht behandelt werden.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 24. Januar 2014


Folter in Syrien

Geheuchelte Empörung

Von André Scheer **


In Syrien wird gefoltert! Nachdem britische, türkische und US-amerikanische Medien pünktlich vor Beginn der Friedensverhandlungen in Montreux und Genf Fotos mutmaßlicher Folteropfer veröffentlicht haben, überschlagen sich auch hierzulande Fernsehnachrichten und Tageszeitungen mit Horrorberichten. Kritisches Hinterfragen der anonymen Quelle – fast immer Fehlanzeige. Selbst der Hinweis darauf, daß mit dem Golfemirat Katar eine direkt auf seiten der Aufständischen in den syrischen Krieg verwickelte Macht den wie gerufen kommenden Bericht in Auftrag gegeben hat, wird oft unterschlagen.

Dabei ist die systematische Folter in syrischen Gefängnissen seit Jahren und Jahrzehnten kein Geheimnis. Die Aufmerksamkeit, die die Zustände dort plötzlich bekommen haben, steht jedoch in auffälligem Kontrast zu dem geringen Platz, den Berichte über Mißhandlungen vor Beginn des Krieges gefunden haben – als der syrische Präsident Baschar Al-Assad noch als Partner vom »Westen« umworben wurde.

Wer erinnert sich an Muhammad Haidar Zammar? Der im syrischen Aleppo geborene deutsche Staatsbürger war im Dezember 2001 in Marokko festgenommen und an den US-Geheimdienst CIA übergeben worden. Dieser verschleppte den mutmaßlichen Islamisten nach Syrien einem Bericht des US-Magazins Time zufolge übersandten die nordamerikanischen Behörden Fragen nach Damaskus. Diese stellten die syrischen Kollegen dann dem Gefangenen. Auch Fragen des deutschen BND sollen auf diesem Weg beantwortet worden sein. Das sei für die Ermittler bequem gewesen, weil sie nicht damit konfrontiert waren, wie die Syrer zu den Antworten kamen.

Der frühere UN-Sonderberichterstatter über Folter, Manfred Nowak, berichtet in seinem 2012 erschienenen Buch »Die Alltäglichkeit des Unfaßbaren« ebenfalls über die enge Kooperation der Geheimdienste der USA und Jordaniens mit den syrischen Behörden und nennt den Fall des kanadischen Staatsangehörigen Maher Arar, der 2002 in New York festgenommen, nach Jordanien geflogen und dann an die syrische Grenze gebracht worden war. Die Folter übernahmen dann die Syrer. Später erhielt er für die erlittenen Mißhandlungen von der kanadischen Regierung, die seine Freilassung betrieben hatte, eine Entschädigung in Höhe von umgerechnet sieben Millionen Euro. Haidar Zammar sitzt hingegen bis heute im syrischen Gefängnis – von einem Einsatz der Bundesregierung für den deutschen Staatsbürger ist nichts bekannt.

Die derzeitige Medienkampagne um die abscheulichen Folterungen hat also wenig mit ehrlicher Empörung zu tun – sehr viel aber mit dem Versuch, eine politische Lösung des Konflikts in Syrien zu verhindern. Es gibt mächtige Kräfte, die kein Interesse an Frieden in der Region haben. Die Führungen in Katar, Saudi-Arabien und der Türkei sowie große Teile des Establishments in den USA, Großbritannien und Deutschland gehören dazu.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 23. Januar 2014


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