Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Damaskus dementiert Foltervorwürfe

Von Syrien: Friedensverhandlungen in Montreux nach vielen Reden vertagt

Während am Mittwoch im schweizerischen Montreux die Friedensgespräche über Syrien mit einem Redemarathon eröffnet und zunächst ohne konkrete Ergebnisse vertagt wurden, hält die Diskussion um die einen Tag zuvor von britischen, türkischen und US-amerikanischen Medien veröffentlichten Folterfotos, die aus einem syrischen Gefängnis stammen sollen, an. In Damaskus wies das Justizministerium den vom Londoner Rechtsanwaltsbüro Carter-Ruck erstellten Report als »haltlos« zurück. Er sei »politisiert«, und es mangele ihm an »Objektivität und Professionalität«, zitiert die staatliche Nachrichtenagentur SANA am Mittwoch aus dem in Damaskus veröffentlichten Statement. »Der Bericht ist eine reine Ansammlung von Fotos unidentifizierter Personen, von denen eine Anzahl ausländische Terroristen verschiedener Nationalitäten waren, die bei Angriffen auf militärische Kontrollpunkte und zivile Einrichtungen gestorben sind«, kommentiert das syrische Justizministerium. Bei anderen soll es sich um Zivilisten und Angehörige des syrischen Militärs handeln, die von terroristischen Gruppen gefoltert und ermordet wurden, weil sie loyal zu ihrem Staat geblieben seien.

Auch die menschenrechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Annette Groth, äußerte den Verdacht, daß Verbündete der syrischen Opposition die Bilder produziert haben könnten, um so die Verhandlungen in Montreux zu torpedieren. Sie forderte eine unabhängige internationale Untersuchung: »Sollten sich die Bilder als authentisch herausstellen, müssen die Schuldigen vor ein syrisches Gericht gestellt werden.« Wenn die syrische Regierung oder die Aufständischen schuldig seien, sollten sich die Verantwortlichen vor einem internationalen Gericht verantworten müssen, forderte Groth.

Nach dem Auftakt in Montreux sollen die Syrien-Friedensverhandlungen ab Freitag in Genf fortgesetzt werden. (jW, 23.01.2014)

Im Folgenden dokumentieren wir die Reden des syrischen Außenministers und des UN-Generalsekretärs zur Eröffnung der Konferenz.


Dokumentiert: Die Reden des syrischen Außenministers und des UN-Generalsekretärs

Moment der Wahrheit

Syriens Belehrer werfen aus einem archaischen Glashaus mit Steinen. Die Genf-II-Konferenz steht vor der Wahl: Terrorismus gemeinsam bekämpfen oder unterstützen

Von Walid Al-Muallim *


[junge Welt dokumentiert auszugsweise die Rede des syrischen Außenministers Walid Al-Muallim zum Auftakt der Genf-II-Konferenz am gestrigen Mittwoch.]

Meine Damen und Herren, (…). Nie zuvor war ich in einer schwierigeren Situation. Meine Delegation und ich tragen die Last von drei Jahren der Not, durchlitten von unseren Landsleuten: das Blut unserer Märtyrer, die Tränen unserer Hinterbliebenen, die Qualen der Familien, die auf Nachrichten von ihren Liebsten warten – entführt oder vermißt – die Schreie unserer Kinder, deren zarte Finger zum Ziel von Mörsergranatbeschuß in ihren Klassenzimmern wurden (…). Meine Delegation und ich tragen auch die Hoffnung einer Nation für die kommenden Jahre: Das Recht jedes Kindes wieder sicher zur Schule zu gehen. Das Recht der Frauen, aus dem Haus zu gehen, ohne Angst zu haben, entführt, getötet oder vergewaltigt zu werden. Den Traum unserer Jugend, ihr großes Potential auszuschöpfen. Die Rückkehr zur Sicherheit, so daß jeder Mann seine Familie sicher zurücklassen kann, in der Gewißheit, daß er wiederkommen wird.

Es ist bedauerlich, meine Damen und Herren, daß in diesem Raum heute Repräsentanten von Ländern unter uns sind, die Blut von Syrern an ihren Händen haben, Länder, die Terrorismus exportiert haben zusammen mit Gnade für die Täter, so als ob es ihr gottgegebenes Recht wäre, zu bestimmen, wer in den Himmel kommt und wer in die Hölle. (…) Länder, die sich selbst die Autorität gegeben haben, anderen Legitimität zu verleihen oder zu verwehren, so wie sie es für richtig hielten, ohne jemals ihre eigenen archaischen Glashäuser zu betrachten, bevor sie Steine auf anerkannte befestigte Türme warfen. Länder, die uns schamlos über Demokratie, Entwicklung und Fortschritt belehren, während sie in ihrer eigenen Ignoranz und ihren mittelalterlichen Normen ertrinken. (…)

Lügen und Waffen

Sie haben Syrien belehrt, (…) während sie selbst im Schlamm von Versklavung, Kindesmord und anderen mittelalterlichen Praktiken versunken sind. Nach all ihren Bemühungen und darauffolgenden Scheitern sind ihre Masken von ihren zitternden Gesichtern gefallen und haben ihre perversen Ambitionen entblößt. Ein Verlangen, Syrien zu destabilisieren und zerstören, indem sie ihr nationales Produkt exportieren: Terrorismus. Sie haben ihre Petrodollar benutzt, um Waffen zu kaufen, Söldner zu rekrutieren und Sendezeit vollzustopfen, um ihre stumpfsinnige Brutalität unter der Tarnung der sogenannten »Syrischen Revolution, die die Hoffnungen des syrischen Volkes erfüllen wird« mit Lügen zu verschleiern.

Meine Damen und Herren, wie soll das, was passiert ist und Syrien weiter quält, diese Hoffnungen erfüllen? Wie können tschetschenische, afghanische, saudische, türkische oder sogar französische und englische Terroristen die Hoffnungen des syrischen Volkes bedienen und womit? Ein islamischer Staat, der vom Islam nichts als perverses weiß. Wahhabismus? Wer hat denn überhaupt erklärt, daß das syrische Volk es anstrebt, Tausende Jahre in der Vergangenheit zu leben?

In Syrien, meine Damen und Herren, werden schwangere Frauen abgeschlachtet und ihre Föten getötet; Frauen werden vergewaltigt, tot oder lebendig, in Praktiken, die so abscheulich, so niederträchtig und so widerlich sind, daß sie nur einer perversen Doktrin zugeschrieben werden können. In Syrien, meine Damen und Herren, werden Männer im Namen dieser Revolution vor ihren Kindern abgeschlachtet; schlimmer noch, das wird getan, während die Kinder dieser ausländischen Täter singen und tanzen. Wie können sogenannte Revolutionäre in Syrien das Herz eines Menschen verzehren und behaupten, Freiheit, Demokratie und ein besseres Leben voranzutreiben? Unter dem Vorwand der »Großen Syrische Revolution« werden Zivilisten, Geistliche, Frauen und Kinder getötet, Opfer werden wahllos in den Straßen und in Gebäuden in die Luft gesprengt, unabhängig von ihren politischen Ansichten oder Ideologien; Bücher und Bibliotheken werden verbrannt, Gräber ausgehoben und Artefakte gestohlen. Im Namen der Revolution werden Kinder in ihren Schulen ermordet und Studenten in ihren Universitäten, Frauen erpreßt, Moscheen werden beschossen, während Gläubige zum Gebet knien, Köpfe werden abgetrennt und in den Straßen aufgehangen, Menschen werden lebendig verbrannt in einem regelrechten Holocaust, den die Geschichte und viele Länder leugnen werden, ohne des Antisemitismus’ beschuldigt zu werden. (…)

Meine Damen und Herren, alles was sie gehört haben, wäre nicht möglich gewesen, wenn unsere angrenzenden Länder während dieser schweren Jahre gute Nachbarn gewesen wären. Leider waren sie davon weit entfernt; mit Rückenstechern im Norden, stummen Schaulustigen im Westen, einem schwachen Süden, gewohnt, dem Geheiß anderer zu folgen, oder dem müden und erschöpften Osten, noch immer taumelnd aufgrund der Pläne, ihn zusammen mit Syrien zu zerstören.

In der Tat wurde die Misere und Zerstörung, die Syrien erfaßt hat, durch die Entscheidung der Regierung Erdogan ermöglicht, diese kriminellen Terroristen einzuladen und aufzunehmen, bevor sie nach Syrien kamen. Offensichtlich sich nicht der Tatsache bewußt, daß der Zauber sich letztendlich gegen den Magier wendet, schmeckt sie jetzt langsam die sauren Keime, die sie gesät hat. Denn Terrorismus kennt keine Religion und ist nur sich selbst gegenüber loyal. (…) Trotzdem ist sie auf dem gleichen grausamen Pfad weitergegangen, in dem falschen Glauben, daß der Traum von Syyid Qutb und Mohammed Abdel Wahab letztendlich realisiert würde. Sie haben von Tunesien über Libyen bis Ägypten und dann in Syrien für Chaos gesorgt, entschlossen, eine Illusion zu erreichen, die nur in ihren kranken Köpfen existiert. (…)

Nachbarn legen Feuer

Einige Nachbarn haben in Syrien Feuer gelegt, während andere rund um den Globus Terroristen rekrutiert haben – und hier sind wir nun bei den schockierend absurden Doppelstandards: 83 Nationalitäten kämpfen in Syrien – niemand brandmarkt das, niemand verurteilt das, niemand überdenkt seine Position – und sie sprechen unverschämt weiter von der glorreichen syrischen Revolution! (…) Trotz allem ist das syrische Volk standhaft geblieben, und die Antwort waren Sanktionen für unser Essen, für unser Brot und unserer Kinder Milch, um unsere Bevölkerung verhungern zu lassen, sie in Krankheit und Tod zu treiben. Gleichzeitig wurden Fabriken geplündert und niedergebrannt, unsere Lebensmittel und Arzneiindustrie gelähmt; Krankenhäuser und Gesundheitszentren zerstört, Schienen und Stromleitungen sabotiert und selbst unsere Gebetsorte – christliche und muslimische – blieben nicht vom Terrorismus verschont.

Als all das scheiterte, drohte Amerika, Syrien anzugreifen, fabrizierte mit seinen Alliierten, westlichen und arabischen, die Geschichte über den Einsatz von Chemiewaffen, die es nicht einmal schaffte, ihre eigene Öffentlichkeit zu überzeugen, von unserer ganz zu schweigen. Länder, die Demokratie, Freiheit und Menschenrechte zelebrieren, haben leider nur die Sprache von Blut, Krieg, Kolonialismus und Hegemonie gesprochen. Demokratie wird mit Feuer aufgezwungen, Freiheit mit Kampfflugzeugen und Menschenrechte mit dem Morden von Menschen, weil sie sich daran gewöhnt haben, daß die Welt ihrem Geheiß folgt. Wenn sie etwas wollen, wird es passieren; wenn sie es nicht wollen, passiert es nicht. Sie haben achtlos vergessen, das die Angreifer, die sich in New York in die Luft gesprengt haben, der gleichen Doktrin folgen und aus der gleichen Quelle kommen, wie die, die sich in Syrien in die Luft sprengen. Sie haben achtlos vergessen, daß der Terrorist, der gestern in Amerika war, heute in Syrien ist, und wer weiß, wo er morgen sein wird. Was sicher ist, ist, daß er hier nicht aufhören wird. Afghanistan ist eine gute Lektion für jeden, der lernen will – jeden! Leider wollen die meisten nicht lernen, weder Amerika noch einige der »zivilisierten« westlichen Länder, die ihm folgen. (...)

Und plötzlich sind sie »Freunde ­Syriens« geworden. Vier dieser »Freunde« sind autokratische Unterdrückermonarchien, die nichts über einen zivilen Staat oder Demokratie wissen, während die anderen die gleichen Kolonialmächte sind, die Syrien vor nicht einmal hundert Jahren besetzt, geplündert und aufgeteilt haben. Wir sind hier als Repräsentanten des syrischen Volkes und des Staates, aber lassen es für alle klar sein (…), daß niemand die Autorität hat, einem Präsidenten, einer Regierung, einer Verfassung, einem Gesetz oder irgend etwas sonst Legitimität zu verleihen oder entziehen, außer dem syrischen Volk selbst. Daher wird jegliches Abkommen, das hier erreicht wird, Inhalt eines nationalen Referendums sein. (…) Heute, bei dieser Zusammenkunft arabischer und westlicher Mächte, haben wir eine einfache Wahl: Wir können uns entscheiden, Terrorismus und Extremismus zusammen zu bekämpfen und einen neuen politischen Prozeß zu beginnen, oder Sie können weiterhin Terrorismus in Syrien unterstützen. (…) Dies ist der Moment der Wahrheit und des Schicksals; laßt uns dieser Herausforderung stellen. Danke.

Übersetzung aus dem Englischen: Christian Selz

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 23. Januar 2014


Ban opens Syrian peace talks, urges all sides to seize ‘historic’ opportunity to end bloodshed **

22 January 2014 – Secretary-General Ban Ki-moon today opened a concerted new effort to end the brutal civil war in Syria, urging the Government, the opposition, and representatives of some 40 other countries and regional organization to seize the historic opportunity to end the bloodshed.

“After nearly three painful years of conflict and suffering in Syria, today is a day of fragile but real hope,” he told the opening session of the high-level segment of the United Nations peace conference on Syria in Montreux, Switzerland.

“For the first time, the Syrian Government and the Syria opposition, countries of the region, and the wider international community are convening to seek a political solution to the death, destruction and displacement that is the dire reality of life in Syria today.

All Syrians, and all in the region affected by this crisis, are looking to you gathered here to end the unspeakable human suffering, to save Syria’s rich societal mosaic, and to embark on a meaningful political process to achieve a Syrian-led transition.

“All Syrians, and all in the region affected by this crisis, are looking to you gathered here to end the unspeakable human suffering, to save Syria’s rich societal mosaic, and to embark on a meaningful political process to achieve a Syrian-led transition.”

Today’s meeting, designed to give international support to the efforts to resolve the deadly conflict that has torn Syria apart, will be followed on Friday by talks between the Syrian parties at UN headquarters in Geneva in what will be the first time that the Government and opposition meet at a negotiating table since the conflict started in March 2011.

The basis of the talks is full implementation of an action plan adopted in the so-called Geneva Communiqué of 2012, adopted at the first international conference on the conflict, and which calls for a transitional government to lead to free and fair elections.

But participants will also seek to make arrangements for humanitarian aid to flow into a country where well over 100,000 people have been killed and nearly 9 million others driven from their homes since the conflict erupted between the Government and various groups seeking the ouster of President Bashar al-Assad.

“You have an enormous opportunity and responsibility to render historic service to the Syrian people,” Mr. Ban said, specifically addressing the Syrian Government and opposition delegations.

“It is the most profound of tragedies that peaceful protests in Syria, calling for change, turned into a bloody civil war. If the Government leaders had listened more attentively and humbly to the concerns expressed by the people, this conference might not have been necessary. The disaster is now all-encompassing.”

He listed a litany of the war’s horrendous consequences – towns rendered unliveable by constant aerial bombardments; schools, hospitals, markets, homes and places of worship destroyed; car bombs, suicide and mortar attacks terrifying civilians; foreign fighters and radical groups imposing their own “destructive and dangerous” vision; over 6.5 million people internally displaced and over 2.3 million others, half of them children, fleeing to neighbouring countries.

Stressing that more than 9.3 million people within the country need humanitarian aid, over 2.5 million of them living in areas where access is seriously constrained or non-existent, Mr. Ban called on the Government and the opposition to allow immediate and full access to all those in need, particularly in besieged areas.

“Hundreds of thousands of people have been cut off from any assistance for months, with disturbing reports of malnutrition and desperate health conditions,” he said. “Food and medical and surgical equipment must be allowed in; the sick and wounded people must be allowed out.”

He stressed that the Syrians themselves have the primary responsibility to end the conflict, determine their political system and future, and start rebuilding their country, while the duty of all members of the international community, whether present at today’s conference or not, is to do everything within their power to help them achieve these goals.

The Geneva Communiqué sets out a number of key steps for a Syrian-led transition, starting with the establishment of a transitional governing body with full executive powers and providing for the restoration of public services and full observance of human rights, he noted.

“Great challenges lie ahead but they are not insurmountable,” he concluded. “How many more will die in Syria, lose their loved ones, be maimed for life or lose their homes if this opportunity is lost? There is no alternative to ending the violence and a political solution. That is why we are here.

“Let us prove to all that the world is able to unite and support the people of Syria as they embark on the path towards a peaceful, democratic and stable Syria.”

** UN News Centre, 22 January 2014; http://www.un.org


Zurück zur Syrien-Seite

Zur Syrien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage