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Hoffnungsvoller Beginn

Syrien-Vermittler von UNO und Arabischer Liga bewertet erste Woche der Genfer Konferenz vorsichtig positiv. Gespräche sollen am 10. Februar fortgesetzt werden

Von Karin Leukefeld *

Der Syrien-Vermittler von UNO und Arabischer Liga hat es geschafft. Mehr als eine Woche lang konnten der algerische Diplomat Lakhdar Brahimi und sein Mitarbeiterteam die beiden Delegationen der oppositionellen Nationalen Koalition und der syrischen Regierung miteinander ins Gespräch bringen. Der dreijährige Krieg in Syrien ist damit nicht beendet, doch es sei immer »gut, wenn Todfeinde anfangen, miteinander zu reden«, meinte der außenpolitische Sprecher der Partei Die Linke im Bundestag, Jan van Aken, im Deutschlandfunk.

Bei der abschließenden Pressekonferenz am Freitag in Genf sagte Brahimi, der Anfang sei »bescheiden, aber es ist ein Anfang, auf den wir aufbauen können«. Beide Parteien hätten sich »daran gewöhnt, in einem Raum zu sitzen«, so Brahimi. Es sei vorgekommen, daß die »eine Seite die Sorgen und Schwierigkeiten der anderen Seite akzeptiert« habe. Gerüchte, wonach sich die beiden Delegationsleiter, Außenminister Walid Muallem und der Präsident der Nationalen Koalition, Ahmed Dscharba, getroffen hätten, seien nicht korrekt, so Brahimi. Die Gespräche sollen am 10. Februar in Genf fortgesetzt werden, er und sein Team würden einen Themenkatalog dafür vorlegen. Die Nationale Koalition hat dem Termin bereits zugestimmt, die Regierungsdelegation sagte, der Termin müsse in Damaskus bestätigt werden.

Themen der Gespräche waren die humanitäre Hilfe, Gefangene und das jeweilige Verständnis des Genfer Abkommens, das von den P5, also den Vetomächten im UN-Sicherheitsrat, am 30. Juni 2012 vereinbart worden war. Am Donnerstag sprachen die beiden Delegationen über den Terror in Syrien, den keine der Seiten in Abrede gestellt habe, so Brahimi. In der langen Sitzung habe es »angespannte und gute Momente« gegeben. So habe die Regierungsdelegation dem Vorschlag der Delegation der Nationalen Koalition, eine Schweigeminute für alle Toten in Syrien einzulegen, egal von welcher Seite, »sofort zugestimmt«. Bei der nächsten Gesprächsrunde hoffe er auf eine Lösung für die Lieferung humanitärer Hilfe, sagte Brahimi. Für die Altstadt von Homs gebe es noch keine Einigung, doch nach langwierigen Verhandlungen seien am Donnerstag Hilfslieferungen in das palästinensische Flüchtlingslager Yarmuk im Süden von Damaskus gebracht worden.

Unbestätigten Meldungen zufolge wollen Vertreter der Delegation der Nationalen Koalition von Genf nach München zur Sicherheitskonferenz reisen, um sich dort mit US-Außenminister John Kerry zu besprechen. Die USA gelten als Sponsor der Nationalen Delegation, während Rußland die syrische Regierung unterstützt. Die Teilnahme der moderaten innersyrischen Opposition an den Gesprächen in Genf war durch eine Verschleppungstaktik der Nationalen Koalition verhindert worden. Das russische Außenministerium teilte derweil mit, daß Außenminister Sergej Lawrow mit Dscharba am 4. Februar in Moskau zusammentreffen wird.

Einen Tag vor dem Ende der Genfer Syrien-Gespräche wurden von seiten der »Freunde Syriens« erneut Schuldzuweisungen an die Regierung in Damaskus und Präsident Baschar Al-Assad in Umlauf gebracht. Die USA gingen davon aus, »daß einige Elemente des syrischen Programms zur Produktion biologischer Waffen weit über den Entwicklungsstand vorangeschritten« seien, sagte NSA-Chef James Clapper der Nachrichtenagentur AFP. Derzeit wäre eine »eingeschränkte Produktion von (Krankheits-)Erregern möglich«. Brian Becker vom Vorstand der US-amerikanischen Antikriegskoalition ANSWER bezeichnete die Äußerungen als Ablenkungsmanöver. Die USA wollten damit rechtfertigen, daß man Waffen an Gruppen in Syrien liefere und damit den Bürgerkrieg weiter anheize, sagte Becker im russischen Nachrichtensender Russia Today.

US-Verteidigungsminister Chuck Hagel warf derweil der Regierung in Damaskus vor, den Abtransport der chemischen Waffen zu verschleppen. Die Regierung sei dafür »verantwortlich, diese Verpflichtung zu erfüllen«, so Hagel, der am Wochenende ebenfalls an der Münchner Sicherheitskonferenz teilnehmen wird. Am vergangenen Montag hatte die zweite Ladung hochgefährlicher Chemiewaffenbestände Syrien über den Hafen Lattakia verlassen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 1. Februar 2014


Falsche Freunde Syriens

Karin Leukefeld über Teilnehmer der Friedensgespräche in Genf, die nicht an den Verhandlungstisch gehören **

Die USA, die Europäische Union und die arabischen Golfmonarchien, kurz: die »Freunde Syriens«, haben beschlossen: Der syrische Präsident Bashar al-Assad muss abdanken. Sie und die von ihr unterstützte Nationale Koalition haben diese Forderung zum Kern des vor eineinhalb Jahren ausgehandelten Genfer Abkommens erhoben. Das Abkommen ist die Grundlage der Syrien-Gespräche, die seit rund einer Woche erneut in Genf stattfinden. Die »zentrale Frage« der Friedenskonferenz für die Nachrichtenagentur dpa lautet: »Soll es mit oder ohne Assad weitergehen?« Angela Merkel, Nicolas Sarkozy, David Cameron und Catherine Ashton hatten diese Frage bereits im Sommer 2011 beantwortet. Damals schrieb die »Süddeutsche Zeitung«: »Der Westen fordert Syriens Präsident zum Rücktritt auf.«

Das Genfer Abkommen wurde ein knappes Jahr später beschlossen. Darin geht es jedoch nicht um Assad. Es geht vielmehr um einen Waffenstillstand für Syrien und den Abzug bewaffneter Kräfte auf allen Seiten. Es geht um humanitäre Hilfe, den Dialog zwischen den Konfliktparteien sowie die Freilassung von Gefangenen und Entführten. Und es geht darum, dass die Menschen in Eigenregie einen politischen Übergangsprozess in ihrem Land einleiten – ohne Einmischung von außen.

Als tausende Syrer zu Beginn des Arabischen Frühlings für Demokratie und Menschenwürde demonstrierten, forderten sie politische Veränderung. Die Menschen wollten ein Mehrparteiensystem, die Aufhebung des Ausnahmezustandes, die Reform des Justiz- und Bildungswesens und die Freilassung von politischen Gefangenen. Sie setzten sich ein für wirtschaftliche Teilhabe, für Arbeitsplätze für die Jugend und für die Kontrolle von Geheim- und Sicherheitskräften, die zu einem Staat im Staate geworden waren. Landbesitzer forderten höhere Entschädigungszahlungen für enteignete Ländereien, Frauen wollten das Kirchenrecht und die Scharia eindämmen. Nichts davon war bisher Thema bei den Genfer Gesprächen. Die »Freunde Syriens« haben mit der Nationalen Koalition eine »Opposition« an den Verhandlungstisch gebracht, die nur eine Forderung kennt: Assad muss weg!

Dass die Nationale Koalition keine politische Perspektive für das vom Krieg gezeichnete Mittelmeerland vorlegt, liegt daran, dass sie das Instrument politischer Interessen ist. Nicht der Syrer, sondern der »Freunde Syriens«. Allen voran der USA, die die moderate, selbstbewusste Opposition ignoriert. Dann Saudi-Arabiens, das in Syrien Iran bekämpft und dafür den jahrhundertealten Religionsstreit zwischen Schiiten und Sunniten im Islam mit Geld und Waffen wieder anheizt. Die Nationale Koalition ist außerdem das Instrument Frankreichs, das seine koloniale Mentalität gegenüber der Levante noch immer nicht überwunden hat, und anderer Staaten, die im Orbit der USA Außenpolitik machen.

Russland und Iran, die die syrische Regierung an den Verhandlungstisch in der Schweiz gedrängt haben, konnten ebenso wenig wie die Vereinten Nationen die Teilnahme der Oppositionellen durchsetzen, die eine politische Vision jenseits von Waffen und Gewalt entwickelt haben. Zu dieser Opposition zählt zum Beispiel die Bewegung »Den Syrischen Staat aufbauen«, die sich die Schulung der Zivilgesellschaft zur Aufgabe gemacht hat. Ihr Vorsitzender, Louay Hussein, kritisiert jüngst die ständige Forderung nach dem Rücktritt des Präsidenten. Daneben existiert die »Allianz des Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel in Syrien«. Sie machte vor einigen Jahren mit drei Forderungen auf sich aufmerksam: keine Gewalt, keine ausländische Einmischung, keinen konfessionellen Krieg. Außerdem gibt es das Bündnis »Syrische Frauen für Demokratie«, das einen Entwurf für eine demokratische Verfassung vorgelegt hat, und die kurdische Partei der demokratischen Union, die mehr Autonomie für die Minderheit reklamiert.

Keiner dieser Akteure wurde zu der Konferenz eingeladen. Einem tiefgreifenden Friedensprozess in Syrien nutzt das nicht.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 1. Februar 2014


LINKE: »Böse Propaganda« gegen Syrien

Van Aken gegenüber »nd« zu Chemiewaffenabrüstung ***

Als »mutwillig böse Propaganda« hat LINKE-Bundestagsmitglied Jan van Aken gegenüber »neues deutschland« Vorwürfe an Syrien bezeichnet, die Regierung verzögere die vereinbarte Chemiewaffen-Vernichtung.

Frankreichs Außenminister Laurent Fabius hatte Damaskus am Donnerstag beschuldigt, vereinbarte Termine nicht eingehalten zu haben. Er forderte von der Staatengemeinschaft »Wachsamkeit«. Es müsse aufgepasst werden, »dass Syrien seine Verpflichtungen einhält«, erklärte Fabius in Paris. Seit Jahresbeginn hätten erst weniger als fünf Prozent der insgesamt rund 800 Tonnen Chemikalien Syrien verlassen. Die Regierung von Präsident Baschar al-Assad bestreitet das.

Der ehemalige Biowaffeninspektor van Aken hält die Aussage von Fabius für unseriös: »Nicht fünf, sondern 30 Prozent der tatsächlichen Chemiewaffen sind bereits außer Landes. Bei den genannten 800 Tonnen handelt es sich größtenteils um chemische Vorläufersubstanzen. Von den zirka 100 Tonnen tatsächlichen C-Waffen befinden sich jetzt 32 auf dem US-Schiff, das sie vernichten soll. Dass dieses Schiff nicht eher klar war, ist nicht Assads Schuld. Um es deutlich zu sagen: Es handelt sich hier um mutwillig böse Propaganda.«

Die syrischen Bürgerkriegsgegner haben unterdessen ihre einwöchigen Verhandlungen in Genf ohne konkrete Vereinbarungen für einen Weg zum Frieden beendet. Die nächste Runde ist für den 10. Februar geplant.

*** Aus: neues deutschland, Samstag, 1. Februar 2014


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