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Gerangel in Genf um kleinsten Konsens

Verhandlungen der syrischen Konfliktparteien wenig hoffnungsvoll / US-amerikanischer Nahostexperte erwartet "absolut nichts"

Von Karin Leukefeld *

Verhandlungspoker hinter verschlossenen Türen: Die syrischen Konfliktparteien setzten ihre Gespräche am Montag in Genf unter Vermittlung des UN-Sondergesandten Lakhdar Brahimi fort.

Nur wenige Stunden, nachdem UN-Syrienvermittler Lakhdar Brahimi in Genf am Sonntagabend die Einigung beider syrischer Parteien auf eine Waffenruhe und humanitäre Hilfe in der Stadt Homs verkündet hatte, dementierte ein Mitglied der Delegation der Nationalen Koalition am Montagmorgen die Vereinbarung.

Man habe nicht die »Wegschaffung der Zivilisten aus den belagerten Stadtteilen« gefordert, erklärte Anas Abdeh vor Journalisten am Sitz der Vereinten Nationen in Genf. Man verlange die »schrittweise Aufhebung der Belagerung« durch die syrischen Streitkräfte sowie Zugang für Hilfskonvois. Zuvor hatte Abdeh erklärt, man habe die Zusage von drei Brigaden für eine Waffenruhe. Über das Verhalten der Gruppen »Islamischer Staat in Irak und in Syrien« und Nusra-Front könne er aber nichts sagen. Die Altstadt von Homs gehört zu den ältesten Wohngebieten der Christen im Mittleren Osten. Weil sie nicht bereit waren, sich dem bewaffneten Aufstand anzuschließen, waren sie von bewaffneten Gruppen seit Frühsommer 2012 systematisch vertrieben worden.

Brahimi hatte am Sonntagabend in Genf erläutert, dass man bei der gemeinsamen Gesprächsrunde am Vormittag einer Lösung »zumindest für die Zivilbevölkerung« in der Altstadt von Homs sehr nahegekommen sei. Die Regierungsdelegation habe zugesagt, dass Frauen, Kinder und alte Leute die Viertel jederzeit verlassen könnten. Von den männlichen Zivilisten, die die Viertel verlassen wollten, brauche man eine Namensliste, um sicherzugehen, dass keine Kämpfer darunter seien. Der Gouverneur von Homs habe mit Sicherheitskräften, Armee und mit dem UN-Team in Syrien gesprochen und den Zugang für Hilfslieferungen umgehend in Aussicht gestellt. Ein Hilfskonvoi sei fertig und warte auf seinen Einsatz. Letztlich werde das Geschehen aber nicht von den in Genf anwesenden Parteien, sondern vor Ort entschieden. Brahimi hatte beide Verhandlungsdelegationen aufgefordert, mit Äußerungen gegenüber der Presse zurückhaltend zu sein.

Ein weiteres Thema am Sonntag war die Situation von Gefangenen, Verschleppten und Entführten. Die syrische Regierungsdelegation forderte die Gegenseite auf, eine Liste der Personen vorzulegen, die sich in der Gewalt der von der Nationalen Koalition kontrollierten bewaffneten Gruppen befänden. Die Regierung soll Frauen, Kinder und alte Menschen aus den Gefängnissen freilassen. Die Regierungsdelegation setzt den Kampf gegen Terrorismus an erste Stelle, die Koalition die Absetzung von Präsident Baschar al-Assad.

Der ehemalige Syrienbeauftragte im US-Außenministerium, Frederic Hof, sagte bei einer Tagung im Aspen-Institut, er erwarte »absolut nichts« von den Gesprächen in Genf. Dennoch sei es wichtig, präsent zu sein, meinte Hof, der am Zustandekommen des Genfer Abkommens von 2012 beteiligt war. Nur so könne man die Bedingungen für den politischen Prozess mitbestimmen. Die syrische Regierung mache »das Thema des politischen Übergangsprozesses sehr nervös«, darum solle »die USA ihren ganzen Einfluss einsetzen, um (…) genau dieses Thema im Mittelpunkt zu halten«. Die Nationale Koalition könne zudem die internationale Bühne nutzen, um sich darzustellen und ihre »Politiker, Soldaten und Aktivisten« zu präsentieren, die in einer zukünftigen Regierung eine Rolle spielen könnten.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 28. Januar 2014


»Assad muß gehen«

Getäuschte Öffentlichkeit: Wie der wirkliche Inhalt der Genfer Vereinbarung verschleiert wird

Von Karin Leukefeld **


Das Ende des Krieges in Syrien und der Beginn eines politischen Prozesses, der von den Syrern selber geleitet werden soll, ist das erklärte Ziel der syrisch-syrischen Gespräche am Sitz der Vereinten Nationen in Genf. Die auch als »Genf II« bezeichneten Gespräche sollen die Genfer Vereinbarung (Genf I) umsetzen, auf die sich am 30. Juni 2012 die Vetomächte des UN-Sicherheitsrates geeinigt hatten. Syrer waren weder bei der Diskussion noch bei der Unterzeichnung der Vereinbarung zugegen. Die USA, Großbritannien und Frankreich weigerten sich, die Genfer Vereinbarung in eine UN-Resolution umzuwandeln, wie Rußland und China es vorgeschlagen hatten.

Die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton gab unmittelbar nach der Unterzeichnung des Abkommens gegenüber Journalisten die Interpretation vor, mit der seitdem westliche Medien und die von den »Freunden Syriens« unterstützte Nationale Koalition die Genfer Vereinbarung erklären. Der syrische Präsident Baschar Al-Assad werde nicht Teil der Lösung sein, sondern müsse zurücktreten, damit die Genf-I-Vereinbarung umgesetzt werden könne. Das ist inzwischen die Hauptforderung der Delegation der Nationalen Opposition bei den Genfer Gesprächen.

Die Vereinbarung selber spricht an keiner Stelle von der Rolle des syrischen Präsidenten, geschweige denn von Al-Assad. An erster Stelle in dem Dokument steht die Umsetzung des »Sechs-Punkte-Plans«, die der Vorgänger von UN-Vermittler Brahimi, Kofi Annan, im April 2012 für einen Waffenstillstand in Syrien vorgelegt hatte. Die Einhaltung der sechs Punkte durch alle Parteien (Dialog zwischen Regierung und Opposition, Waffenstillstand, humanitäre Hilfe, Freilassung von Gefangenen, Bewegungsfreiheit für Journalisten, friedliches Organisations- und Versammlungsrecht) wird in dem Dokument als Voraussetzung für den Beginn eines politischen Übergangsprozesses bezeichnet. In Punkt 9 (a) des zwölf Punkte umfassenden Genf-I-Abkommens wird gefordert:

»Die Bildung einer Übergangsregierung, die ein neutrales Klima schaffen kann, in dem der Wechsel stattfinden kann. Die Übergangsregierung soll über alle exekutive Macht verfügen. Sie könnte Mitglieder der jetzigen Regierung und der Opposition und anderer Gruppen umfassen (…)«.

Die Forderung »Assad muß gehen« gehört indes fast zu jeder öffentlichen Syrien-Äußerung von US-Außenminister John Kerry, anderen Politikern der Staatengruppe »Freunde Syriens« und der von diesen anerkannten Nationalen Koalition. Beschuldigungen und Drohungen gegen den syrischen Präsidenten stehen wie die Rücktrittsforderung in der PR-Strategie der Delegation der Nationalen Koalition bei den Genf-II-Gesprächen ganz oben. Verschleiert wird damit nicht nur der wirkliche Inhalt der Genfer Vereinbarung, sondern auch die Tatsache, daß die Delegation der Nationalen Koalition weder ein politisches Programm noch die Interessen der syrischen Bevölkerung vertritt. Zudem hat die Gruppe mit dem kürzlichen Austritt des Syrischen Nationalrates gut ein Drittel ihrer Mitglieder verloren.

George Jabbour von der Syrischen Gesellschaft der Vereinten Nationen (Damaskus) kritisierte im jW-Gespräch, daß die Teilnahme »respektabler Oppositionsgruppen aus Syrien« bei den Genf-II-Gesprächen verhindert worden sei. Diejenigen, die in Genf als »Opposition« aufträten, seien tatsächlich eine Delegation der Staaten, die die Nationale Koalition unterstützten, insbesondere der USA, Frankreichs und Saudi Arabiens. Für ihn sehe es so aus, als spreche die syrische Regierungsdelegation in Genf »mit den USA und Frankreich, nicht mit der syrischen Opposition«.

Tatsächlich agieren im Hintergrund der beiden Delegationen »Expertenteams« der USA und Rußlands. Das US-Team berät die Nationale Koalition, das russische die Regierungsdelegation. Aus Kreisen des nicht nach Genf eingeladenen Nationalen Koordinationskomitees für Demokratischen Wandel (NCC) war inzwischen zu hören, daß man sich auf eine Genf-III-Gesprächsrunde vorbereite. An der müßten dann auch der Iran und ein breites Spektrum syrischer Oppositionsgruppen teilnehmen.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 28. Januar 2014


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