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Geschäfte mit der Flüchtlingshilfe

Der Krieg in Syrien hat im Libanon einen neuen Markt geschaffen

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Der Krieg in Syrien hat die vorhandenen politischen Gräben im Libanon vertieft. Während die von Saudi-Arabien, den USA und anderen westlichen Staaten unterstützte Zukunftspartei von Saad Hariri bewaffnete Gruppen in Syrien mit Geld, militärischer Ausrüstung und Kämpfern unterstützt, kämpft die mit dem Iran verbündete libanesische Hisbollah an der Seite der syrischen Streitkräfte. Derzeit verteidigen Zehntausende Anti-Assad-Kämpfer im Qalamungebirge im syrisch-libanesischen Grenzgebiet ihre letzte noch offene Nachschublinie aus dem Libanon; Hisbollah und die syrische Armee wollen diese schließen.

Wichtiger Umschlagplatz für die bewaffneten Gruppen ist der Ort Arsal in der östlichen Bekaa-Ebene. Von hier führen viele Straßen und Schmuggelpfade durch die Qalamunberge nördlich von Damaskus. Außerdem ist Arsal Anlaufstelle für Verletzte und Auffangort für syrische Zivilisten, die vor den Kämpfen fliehen. Die lokale libanesische Bevölkerung aus Arsal sieht sich heute von den Kampfverbänden und deren Unterstützern völlig an die Wand gedrängt. Wohnungen, Häuser, Hotels werden von Kämpfern und für Flüchtlinge gemietet. Der Arbeitsmarkt ist vom Kampfgeschehen bestimmt, die örtliche libanesische Polizei und das Militär stehen Kämpfern gegenüber, die nicht davor zurückschrecken, ihr Rückzugsgebiet mit Waffen zu verteidigen. Gut ein Dutzend Soldaten der libanesischen Armee wurden 2013 getötet, als sie versuchten, Basislager der Kämpfer in Arsal aufzulösen.

Arsal war auch der Ort, wo vor wenigen Tagen die Übergabe von 13 entführten Nonnen und drei ihrer Helferinnen stattfand. Die 16 Frauen waren Anfang Dezember von der islamistischen Nusra-Front aus dem Thekla-Kloster in Maalula entführt worden. Die Hauptverhandlungen für ihre Freilassung wurden vom Chef des libanesischen Geheimdienstes, Abbas Ibrahim, geführt. Nach Informationen der libanesischen Nationalen Nachrichtenagentur (NNA) wurde Ibrahim von seinem Amtskollegen aus Katar, Ghanem Al-Kubeissi, unterstützt, der offenbar über gute Kontakte zur Nusra-Front verfügt. Im Gegenzug ließ die syrische Regierung Frauen frei, die sie wegen »Unterstützung von terroristischen Gruppen« inhaftiert hatte. Ibrahim sprach von mehr als 150 gefangenen Frauen, die freigelassen werden sollten. Der syrische Informationsministers Omran Al-Zorbi hingegen erklärte, es seien 25 Frauen freigelassen worden, die »kein Blut an ihren Händen« gehabt hätten.

Jenseits der Sicherheitsprobleme, die durch den Schmuggel von Waffen und Kämpfern entstehen, hat das Elend der Flüchtlinge einen neuen Markt geschaffen. Einzelpersonen und Organisationen müssen die Flüchtlinge unterbringen und mit Nahrung, Schulen für die Kinder und medizinisch versorgen. Skrupellose Geschäftsleute vermieten einzelne Zimmer für viel Geld an ganze Familien. Selbst wer in einem Zelt auf einem Feld Zuflucht gefunden hat, muß dem Eigentümer des Feldes monatlich bis zu 200 US-Dollar bezahlen. Frauen werden zur Prostitution gezwungen.

An dem »Geschäft mit der Hilfe« für die Flüchtlinge wolle man sich nicht beteiligen, sagt Rabih Deiraki von der Kommunistischen Partei Libanon in Beirut. »Wir helfen, soweit es unsere Ressourcen zulassen. An dem Wettkampf um internationale Spendengelder beteiligen wir uns nicht.« Marie Debs, die zweite Generalsekretärin der KP und Sprecherin für Internationales, ist überzeugt, daß eine Lösung in Syrien weit entfernt ist. Die Hauptkontrahenten Rußland und der Westen lägen nun in einem geopolitischen Streit in der Ukraine. Streitpunkt in Syrien seien die »großen Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer und im Land selbst«, sagt Debs. Die USA und Europa wollten Zugriff auf das Gas und eine Gaspipeline aus Katar durch Syrien, um nicht mehr auf das Gas aus Rußland angewiesen zu sein. Für den Libanon werde es politisch erst dann vorangehen, wenn der Krieg in Syrien beendet sei, so Debs. Am 15. Februar 2014 hatte der Libanon erstmals das Auswahlverfahren zur Förderung der großen Gasvorkommen vor der libanesischen Küste eröffnet. Mehr als 40 internationale Organisationen nehmen daran teil. Doch die nächsten Konflikte sind programmiert. Israel beschuldigt den Libanon, in »israelischen Hoheitsgewässern« Gas stehlen zu wollen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 14. März 2014


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