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Giftige Spekulationen

Frankreichs Präsident Hollande wirft Syrien ohne Beweise Chemiewaffenangriff vor

Von Karin Leukefeld *

Die UN-Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) hat am Ostersamstag den »zügigen« Abtransport chemischer Waffen aus Syrien als »positiv« beschrieben. Die holländische Diplomatin Sigrid Kaag, die als OPCW-Sonderkoordinatorin den Abtransport der Chemiewaffen vor Ort überwacht, erklärte, daß »die kurze Frist«, die der syrischen Regierung seitens des UN-Sicherheitsrats zum Abtransport ihres Chemiewaffenbestandes eingeräumt worden sei, angesichts des aktuellen Transportverlaufs eingehalten werden könne. Mit einer weiteren Ladung, die am Samstag aus dem syrischen Hafen Lattakia abtransportiert worden war, habe Syrien »etwa 80 Prozent seiner Chemiewaffen« außer Landes geschafft oder vernichtet. Syrien habe zudem leere Senfgasbehälter »vollständig zerstört« und setze die »Schließung von Produktions- und Lagerstätten« fort. Die Frist für Abtransport und Zerstörung syrischer Chemiewaffenbestände war Anfang März um zwei Monate auf Ende April 2014 verkürzt worden. Wegen anhaltender Angriffe bewaffneter Gruppen war der Abtransport Ende März jedoch kurzzeitig unterbrochen worden.

Ungeachtet der offiziellen OPCW-Erklärung beschuldigte der französische Präsident François Hollande am Ostersonntag die syrische Regierung erneut, Chemiewaffen eingesetzt zu haben. In einem Interview mit dem Radiosender Europa 1 räumte Hollande allerdings ein, er habe »keinen Beweis«. Er wisse nur, »was wir von diesem Regime gesehen haben, die fürchterlichen Methoden, die es einsetzen kann, und die Ablehnung jeglichen politischen Übergangs«, so Hollande. Der französische Außenminister Laurent Fabius sprach im gleichen Sender von »Anzeichen, die noch verifiziert werden müssen, daß es kürzlich chemische Angriffe gegeben« habe.

Hollande und Fabius bezogen sich vermutlich auf Meldungen, wonach in dem Ort Kafar Sita in der Provinz Hama vor etwa 10 Tagen Chlorgas eingesetzt worden war. Das syrische Fernsehen hatte Kämpfer der Al-Nusra-Front beschuldigt und von zwei Toten berichtet. Mehr als 100 Personen hätten schwere Atemnot gehabt. Nicht näher bezeichnete »Aktivisten« hatten gegenüber der in London ansässigen »Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Syrien« die syrische Luftwaffe für den Angriff verantwortlich gemacht. Demnach soll es »mehr als 100 Fälle von Erstickung« gegeben haben. Übers Internet verbreitete Filmaufnahmen sollten die Angaben untermauern. Darin waren Personen in einem Krankenhaus zu sehen, die um Luft rangen.

Mitte April hatte das syrische Außenministerium sich bereits an den UN-Sicherheitsrat und an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gewandt und auf »Berichte, Studien und dokumentierte Untersuchungen« hingewiesen, die von einer »direkten oder indirekten« Verwicklung der USA, Frankreichs, der Türkei und Saudi-Arabiens in verschiedene Angriffe mit chemischen Waffen in Syrien ausgingen. Der US-Journalist Seymour Hersh hatte unter Berufung auf ehemalige Beamte des US-Außenministeriums und der CIA darüber berichtet. Der britische Journalist Robert Fisk bestätigte im Londoner Independent, daß die Al-Nusra-Front im August 2013, unterstützt von der Türkei, chemische Substanzen im Umland von Damaskus eingesetzt habe. Die US-Administration wisse das, erklärte das syrische Außenministerium, das forderte, daß der der Sicherheitsrat die involvierten Staaten stoppen müsse. Die türkische Regierung hat die Anschuldigung als »Lüge« bezeichnet.

Das syrische Parlament hat am gestrigen Ostermontag derweil offiziell den Präsidentschaftswahlkampf eröffnet. Kandidaturen können bis zum 1. Mai eingereicht werden, hieß es in Damaskus. Die nach Ablauf der zweiten siebenjährigen Amtszeit von Präsident Baschar Al-Assad turnusgemäßen Wahlen sollen am 3. Juni stattfinden. Ob Gruppen der syrischen Opposition sich daran beteiligen werden, ist unklar. Im Ausland lebende Syrer können in den jeweiligen syrischen Botschaften ihre Stimme abgeben. Überschattet wurde der Wahlkampfbeginn von einem Angriff mit Mörsergranaten, bei dem Unbekannte ebenfalls am Montag unweit des Parlamentsgebäudes zwei Personen töteten und 36 weitere verletzten.

* Aus: junge Welt, Dienstag 22. April 2014


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